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"Fuga dei cervelli" in Italien

Die so genannte "Flucht der Gehirne" ist ein ernsthaftes Problem für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Italien. Vor fünf Jahren bekamen deshalb in ganz Italien Universitäten eigene Finanzmittel, um die Attraktivität für die ins Ausland geflüchteten Forscher zu vergrößern. Doch dieses Sonderprogramm wird nun wieder gestoppt.

Von Claudia Russo | 17.05.2006
    Silvia Capelli ist müde, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommt: 12 bis 14 Stunden verbringt die 37jährige zwischen Computer und Labor in Grenoble. Manchmal, wenn es richtig rund geht, bleibt sie auch die ganze Nacht über dort und arbeitet. Gerade in diesen Nächten muss die promovierte Chemikerin oft an Italien denken – denn viel lieber wäre sie in ihrer Heimat. Doch gleich nach ihrer Promotion in Bern bekam sie vier Jobangebote in renommierten Forschungszentren. Alle waren im Ausland; der gut dotierte Job in Italien blieb ein Traum.

    "Ich habe mich oft für verschiedene Forschungsstellen in Italien beworben, aber ich habe es nie geschafft. Aber es ist kein Geheimnis, dass die ausgeschriebenen Forschungsstellen in Italien nicht nach Qualifikationen, sondern nach Kontakten vergeben werden. Und wer die nicht hat, hat natürlich kaum eine Chance"."

    So flüchteten jahrelang junge italienische Akademiker ins Ausland: In amerikanischen, englischen, französischen oder deutschen Labors fanden sie einen Arbeitsplatz. Dann die Wende: Vor fünf Jahren versprach die Berlusconi-Regierung, der so genannten "Fuga dei cervelli", der "Flucht der Gehirne" aus Italien ein Ende zu setzen. Das Forschungsministerium stellte den italienischen Universitäten einen Fonds zur Verfügung, um Forscher, die ins Ausland ausgewandert waren, wieder zurück nach Italien zu holen. Ein finanzieller Anreiz, der seine Wirkung nicht verfehlte: Insgesamt 500 Forscher bekamen auf diese Weise einen Zeitvertrag bis zu drei Jahren. Doch damit ist jetzt schon wieder Schluss. Grund: Das Programm wurde gekippt. Andrea Genazzani, Professor für Gynäkologie an der Universität Pisa, ist enttäuscht:

    ""Der Fonds für die Forscher aus dem Ausland war sehr nützlich und wäre auch weiterhin sinnvoll gewesen. Ich finde es wirklich Schade, dass er nun eingestellt wurde. Ich hoffe daher, dass die neue Regierung unter Romano Prodi diese Gelder wieder zur Verfügung stellen wird und dass Professoren und Forscher endlich nach ihrer Arbeit, nach ihren Fähigkeiten bewertet werden."

    Die italienische Forschung steckt in der Zwickmühle. Denn zum einem fehlen die staatlichen Ressourcen, um die Forschung an den Universitäten voranzutreiben: Der italienische Staat investiert lediglich 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Forschung. Der europäische Durchschnitt liegt bei 1,6 Prozent. Andererseits werden diese mageren Ressourcen für Akademiker ausgegeben, die nicht unbedingt immer Spitzenleistungen erbringen. Politische Kontakte sind da oft wichtiger als die Forschung selbst. Der Fonds für die Rückkehr ausgewanderter Forscher hatte zumindest etwas frischen Wind in die italienische Forschungswelt gebracht. Er holte auch die Akademiker zurück nach Italien, die nicht die nötigen Kontakte hatten, um einen Job in der italienischen Forschung zu bekommen. Denn wer zu weit weg wohnt, hat nun mal Pech gehabt.

    Auch die Chemikerin Silvia Capelli hatte lange gehofft, mit Hilfe des Fonds endlich in Italien Fuß fassen zu können. Denn obwohl sie mit ihrem Job in Grenoble sehr zufrieden ist: Eine Stelle in Italien ist für sie inzwischen zu einer Prinzipienfrage geworden:

    "Ich finde es sehr spannend, im Ausland zu arbeiten. In meinem Europäischen Forschungszentrum habe ich Kollegen aus 12 verschiedenen Ländern. Was mir fehlt, ist nur das Recht, in meinem Land Italien zu arbeiten. Wenn der Fonds für italienische Forscher aus dem Ausland jetzt wieder abgeschafft wird, wird die Lage noch schlimmer und das macht mich wirklich traurig."