Vier Stück Mensch, in kleine Kisten abgepackt; vier Fluchten, vier Mal Alptraum pur - das jüngste Stück des mittlerweile vielfach ausgezeichneten Dramatikers Thomas Freyer erzählt mit unerbittlich finstrer Phantasie Geschichten vom Eingesperrtsein im Ich wie im Wir; und letzter Ausweg scheint stets nur der Schritt ins Nichts zu sein: So viel Jugend und so viel Tod, so viel Sterbenlernen macht Angst auf der Bühne.
Zwei Geschwisterpaare stehen am Beginn des Experiments, und jede dieser Welten ist schwerst beschädigt und gestört - die von Robert und Marlen durch die finale Sterbenskrankheit des Vaters und die Flucht der Mutter: Der Sohn pflegt den Alten hingebungsvoll, und nicht nur ihn. Denn die Schwester hat sich nach der Implosion der Familie ganz in sich und ihr Zimmer zurück gezogen, wie in ein Gefängnis; der Bruder stellt ihr das Essen vor die Tür und holt dafür einen Eimer mit den Resten ab.
Befreundet ist Robert mit Jakob - dessen Mutter hat den Kopf voller Gott und stets einen Bet-Bruder an der Hand, während Vater bloß hohl schwatzt. Jakob ist längst voller Sehnsüchte nach Grenz- und Todeserfahrung; derweil mimt Schwester Mara oben in der Wohnung noch das behütete Töchterchen, mutiert aber unten im Keller zum billigen Flittchen für die Nachbarschaft - die kann haben, wer will.
Wohlstandsverwahrlost - der Begriff hat sich für derlei eingebürgert. Erstaunlich bei Freyers Geschwisterpaar indes ist - bei dieser Verwahrlosung, diesem Nicht-Leben scheinen sich Jakob und Mara quasi selber zuzuschauen. Ihr "Ich" ist stets auch jemand anders, besonders im Exzess; Maras tritt aus sich heraus und sieht der Nutte zu, die sie nicht ist; Jakob fantasiert davon, alles Blut aus sich heraus zu pressen: aus der Haut zu fahren.
Mit Jakobs Ausbruch beginnt die eigentliche Story - er sucht die Begegnung mit einem Schläger- und Killer-Trio, das marodierend durch die Nachbarschaft zieht; blutig geprügelt, landet er im Krankenhaus, flüchtet aber schnell und wird nun seinerseits zur Zeitbombe - schlägt einem Gassi-Geher den Schädel ein und verwandelt sich mit Hundis Hilfe zum Wolf; reißt als solcher dem eigenen Vater den Hohl-Kopf ab und legt ihn der Mama aufs Ehebett.
Derweil hat Robert den kranken Vater kranken Vater sein lassen und den Freund gesucht, gefunden aber nur dessen Schwester Mara - und mit ihr wächst in Folge einer schnellen Nummer so etwas wie Liebe. Derweil geriet zu Hause alles aus den Fugen; die psychotische Schwester verließ das Zimmer, fand den toten Vater - und erklimmt schlussendlich wohl das Dach des Hauses. Springen geübt hat sie schon öfter.
All das, von der Werwolf-Fantasie bis zum Todessprung, ist Albtraum und denkbare Wirklichkeit in einem; so jedenfalls hat es Freyer geschrieben. Und dem finstren Sog dieses zutiefst beunruhigenden (und deshalb so starken) Textes ist kaum zu entkommen.
Tilmann Köhler, schon seit geraumer Zeit Freyers idealer Partner und als Regisseur seinerseits der Senkrechtstarter jüngerer Zeit, treibt dem weithin monologischen Erzählen zunächst mal allen möglichen Realismus aus: Er steckt das Quartett in nicht mal manns- und weibshohe Wohn-Waben; das Bühnenbild von Karoly Risz zeigt vier Kisten, neben- und übereinander gestapelt, zwischen denen Bewegung nur an den äußeren Stahlstreben zwischen den Kisten möglich ist, und insofern immer nur halb über dem Abgrund.
Drin in diesen Gummizellen ganz aus weißen Wänden verfügen die vier jeweils über eine Mini-Video-Kamera, in die hinein sie zu Beginn unablässig und auch später immer wieder starren: Ich-bezogen so sehr, dass halt auch die Flucht immer nur wieder vor der Linse enden wird. Wenn da ein Halt ist in diesem kollektiven Absturz, dann ist das die Kamera. Die Monade kennt nur sich selbst.
Lange ließe sich nun über weitere philosophische wie psychologische Implikationen, auch über politische Ober- und Untertöne in Freyers fundamental finstrer Fabel phantasieren - ihre Klasse aber besteht darin, dass das Schreckensmosaik gerade keine klare Wahrheit hat; außer eben der des Grauens.
Köhlers kluger Zugriff nutzt die Abstraktion, um diesen dann doch ziemlich realen Grusel in Bilder zu übersetzen, die nur das Theater behaupten kann - und das junge hannoversche Ensemble-Quartett, Svenja Wasser und Mila Dargies, Sascha Göpel und Christoph Franken, gelangt mit diesem Autor und diesem Regisseur zu einem Maß von Wahrhaftigkeit, das der Beunruhigung des Textes selbst in nichts nachsteht.
Und wenn Hannovers Intendant Wilfried Schulz dann im nächsten Sommer in Dresden mit der Arbeit beginnt, hat er im Gepäck einen Haus-Regisseur, der - wie es aussieht - Stück um Stück Ensembles formen kann.
Zwei Geschwisterpaare stehen am Beginn des Experiments, und jede dieser Welten ist schwerst beschädigt und gestört - die von Robert und Marlen durch die finale Sterbenskrankheit des Vaters und die Flucht der Mutter: Der Sohn pflegt den Alten hingebungsvoll, und nicht nur ihn. Denn die Schwester hat sich nach der Implosion der Familie ganz in sich und ihr Zimmer zurück gezogen, wie in ein Gefängnis; der Bruder stellt ihr das Essen vor die Tür und holt dafür einen Eimer mit den Resten ab.
Befreundet ist Robert mit Jakob - dessen Mutter hat den Kopf voller Gott und stets einen Bet-Bruder an der Hand, während Vater bloß hohl schwatzt. Jakob ist längst voller Sehnsüchte nach Grenz- und Todeserfahrung; derweil mimt Schwester Mara oben in der Wohnung noch das behütete Töchterchen, mutiert aber unten im Keller zum billigen Flittchen für die Nachbarschaft - die kann haben, wer will.
Wohlstandsverwahrlost - der Begriff hat sich für derlei eingebürgert. Erstaunlich bei Freyers Geschwisterpaar indes ist - bei dieser Verwahrlosung, diesem Nicht-Leben scheinen sich Jakob und Mara quasi selber zuzuschauen. Ihr "Ich" ist stets auch jemand anders, besonders im Exzess; Maras tritt aus sich heraus und sieht der Nutte zu, die sie nicht ist; Jakob fantasiert davon, alles Blut aus sich heraus zu pressen: aus der Haut zu fahren.
Mit Jakobs Ausbruch beginnt die eigentliche Story - er sucht die Begegnung mit einem Schläger- und Killer-Trio, das marodierend durch die Nachbarschaft zieht; blutig geprügelt, landet er im Krankenhaus, flüchtet aber schnell und wird nun seinerseits zur Zeitbombe - schlägt einem Gassi-Geher den Schädel ein und verwandelt sich mit Hundis Hilfe zum Wolf; reißt als solcher dem eigenen Vater den Hohl-Kopf ab und legt ihn der Mama aufs Ehebett.
Derweil hat Robert den kranken Vater kranken Vater sein lassen und den Freund gesucht, gefunden aber nur dessen Schwester Mara - und mit ihr wächst in Folge einer schnellen Nummer so etwas wie Liebe. Derweil geriet zu Hause alles aus den Fugen; die psychotische Schwester verließ das Zimmer, fand den toten Vater - und erklimmt schlussendlich wohl das Dach des Hauses. Springen geübt hat sie schon öfter.
All das, von der Werwolf-Fantasie bis zum Todessprung, ist Albtraum und denkbare Wirklichkeit in einem; so jedenfalls hat es Freyer geschrieben. Und dem finstren Sog dieses zutiefst beunruhigenden (und deshalb so starken) Textes ist kaum zu entkommen.
Tilmann Köhler, schon seit geraumer Zeit Freyers idealer Partner und als Regisseur seinerseits der Senkrechtstarter jüngerer Zeit, treibt dem weithin monologischen Erzählen zunächst mal allen möglichen Realismus aus: Er steckt das Quartett in nicht mal manns- und weibshohe Wohn-Waben; das Bühnenbild von Karoly Risz zeigt vier Kisten, neben- und übereinander gestapelt, zwischen denen Bewegung nur an den äußeren Stahlstreben zwischen den Kisten möglich ist, und insofern immer nur halb über dem Abgrund.
Drin in diesen Gummizellen ganz aus weißen Wänden verfügen die vier jeweils über eine Mini-Video-Kamera, in die hinein sie zu Beginn unablässig und auch später immer wieder starren: Ich-bezogen so sehr, dass halt auch die Flucht immer nur wieder vor der Linse enden wird. Wenn da ein Halt ist in diesem kollektiven Absturz, dann ist das die Kamera. Die Monade kennt nur sich selbst.
Lange ließe sich nun über weitere philosophische wie psychologische Implikationen, auch über politische Ober- und Untertöne in Freyers fundamental finstrer Fabel phantasieren - ihre Klasse aber besteht darin, dass das Schreckensmosaik gerade keine klare Wahrheit hat; außer eben der des Grauens.
Köhlers kluger Zugriff nutzt die Abstraktion, um diesen dann doch ziemlich realen Grusel in Bilder zu übersetzen, die nur das Theater behaupten kann - und das junge hannoversche Ensemble-Quartett, Svenja Wasser und Mila Dargies, Sascha Göpel und Christoph Franken, gelangt mit diesem Autor und diesem Regisseur zu einem Maß von Wahrhaftigkeit, das der Beunruhigung des Textes selbst in nichts nachsteht.
Und wenn Hannovers Intendant Wilfried Schulz dann im nächsten Sommer in Dresden mit der Arbeit beginnt, hat er im Gepäck einen Haus-Regisseur, der - wie es aussieht - Stück um Stück Ensembles formen kann.