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Funkstelle für Mikrofone

Drahtlose Tonübertragung ist im Fernsehen seit 1958 üblich und inzwischen auch bei öffentlichen Musikproduktionen Standard. Doch wenn es nach der Politik geht, ist es damit spätestens 2015 vorbei. Zurück zum Kabel, heißt es dann. Hochwertige Mikrofone werden zu Schrott. Noch in diesem Jahr sollen die gesetzlichen Grundlagen verabschiedet werden. Weil dies so absurd klingt, ist die Medien-Branche relativ spät erwacht.

Von Jörg Wagner |
    Andrew Lloyd Weber, Schöpfer weltberühmter Aufführungen wie "Das Phantom der Oper" kündigte an, wenn sich die Mobilfunkbetreiber bei der Politik durchsetzen sollten, werde er keine Musicals mehr aufführen. Jeder Darsteller bräuchte ohne drahtlose Mikrofone eine kleine Kabeltrommel auf dem Rücken und Assistenten, die die Schnüre vor Verfitzung schützten.

    Das Musical Tabaluga von Peter Maffay. Ebenso undenkbar ohne drahtlose Mikrofonübertragung. Das Unvorstellbare könnte jedoch Realität werden, denn die sogenannten Frequenzbänder werden zur Zeit neu sortiert. Der Clou - neue Frequenzen für drahtlose Mikros sind nicht vorgesehen. Peter Maffay ist fassungslos:

    "Schwachsinn. Einfach Schwachsinn. Mit Verlaub. Das Fernsehen arbeitet damit. Die ganzen Sportübertragungen, ein riesengroßer Kreis von Musikern, die ganze Tonträgerindustrie. In Kindergärten, in Schulen, in Kirchen, überall ist diese Technologie vertreten. Sie wurde über Jahrzehnte hin entwickelt. Das halte ich für einen Schildbürgerstreich."

    Und das nicht nur in Deutschland, beklagt Matthias Fehr, Vorsitzender des extra dafür schnell gegründeten Verbands APWPT, der jetzt die Interessen der professionellen Anbieter von drahtlosen Produktionen vertreten soll. Denn allein in Deutschland wären 700.000 Mikrofone schlagartig Schrott.

    "Schildbürgerstreiche finden natürlich überall statt. Die haben auch nichts mit Nationen zu tun. Oder mit Lokalitäten. Sondern Schildbürgerstreiche entstehen in der Regel daraus, dass man zu wenig von einer Sache weiß und denkt auf der Grundlage vorhandenen Wissens kann man gut agieren. So auch in Deutschland, so auch in anderen Ländern."

    Der neue Verband sei der Versuch, der gewaltigen Lobbyarbeit von Mobilfunk- und Telekomanbietern entgegenzuwirken. Denn noch in diesem Jahr soll ein von der Bundesregierung im Sommer verabschiedeter Entwurf einer sogenannten "Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung" in Kraft treten.

    Gut gemeint, denn da, wo ein analoger Sender abgeschaltet wird, ist unter dem Stichwort "digitale Dividende" Platz für mehrere digitale Dienste. Doch offenbar nicht mehr für drahtlose Mikrofone und In-Ear- beziehungsweise Headset genannte Kopfhörersysteme. Vergessen oder absichtsvoll, betroffen wäre auch die ARD. Hans-Martin Schmidt vom ARD-Generalsekretariat:

    "Wir befürchten, dass in einem schnellen Prozess seitens des Bundeswirtschaftsministeriums und der Bundesnetzagentur hier einseitig die Interessen der Mobilfunkindustrie berücksichtigt wurden. Ohne alle anderen Beteiligten, die an einer interessengerechten Verteilung der Frequenzen ein Interesse haben, einzubinden. Schlimmstenfalls wären wir nicht mehr in der Lage, modern zu produzieren, das heißt mit Hilfe drahtloser Übertragungstechnik. Ein Beispiel: Allein beim Papstbesuch hatten wir schätzungsweise 1200 solcher drahtlosen Geräte im Einsatz."

    Auch die Mikrofonhersteller, die vielleicht am ehesten von der Zwangsräumung profitieren würden, sind schockiert. Und fordern sogar den Verbleib der Frequenzen am alten Platz, dem UHF-Band. Kein anderer Frequenzbereich sichert die hochwertige Tonübertragung. Heinrich Esser von Sennheiser:

    "Der Sender wird am Körper getragen. Der Performer bewegt sich auf der Bühne. Es sind Abschattungseffekte. Dadurch haben wir große Probleme mit Frequenzen, die in den Gigahertz-Bereich reingehen. Im VHF-Bereich hatten wir früher genug Probleme, darum sind wir ja in den UHF-Bereich gegangen, einfach was die Qualität der Übertragung anging. Aber selbst, wenn es ginge… Sie müssen davon ausgehen, wir sind heute Untermieter in einem Frequenzspektrum. Die einzige Möglichkeit, ein anderes zu bekommen: Entweder, wir bekommen es zugewiesen von der Politik, oder wir müssen es kaufen. Und jetzt versuchen Sie mal, einen Besitzer eines kleinen Theaters dazu zu bringen, sich Frequenzspektrum in einer Auktion zu kaufen. Das wird sehr, sehr schwierig werden."

    Bleibt nur, dass die verantwortlichen Politiker aufwachen, auch in ihrem Interesse, wenn sie weiter Gehör finden wollen. Ansonsten tönt es bald nur noch so. (Mobilfunksurren.)