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Furunkel durch Fernsehen

Lena bekommt beim Fernsehen Hautausschlag. Reagiert sie auf das Hinrichtungsvideo Saddam Husseins allergisch? Oder wird die Allergie durch den Wettstreit mit ihrer Schwester um einen Mann hervorgerufen? Ungewöhnliche Kontexte konstruiert die junge Autorin Charlotte Roos in ihrem Theaterstück "Allergie", das im Theaterhaus Jena Premiere feierte.

Von Michael Laages |
    Überraschend zügig wird das Urteil vollstreckt - im Morgen-grauen des 30. Dezember 2006, vier Tage nach Verkündung des Todesurteils, wird Saddam Hussein gehenkt; und die mehr oder minder empörte Weltöffentlichkeit nimmt teil an diesem barbarischen Akt, weil ein Teilnehmer der Hinrichtung per Handkamera ein Video erstellt - das im übrigen bis heute im Internet einzusehen ist.

    Lena, eine der Figuren im neuen Stück von Charlotte Roos, hängt wie gebannt vor Radio und Bildschirm in diesen Tagen um die vorvorige Jahreswende herum; und sie reagiert, wie es scheint, allergisch im wortwörtlichsten Sinne - ihre Haut ist die Hölle, eine offene Wunde, sobald sie sie berührt - und sie berührt sie oft! -, kein Schlaf ist mehr möglich, nur noch der regelmäßige Hilfeanruf bei Lenas Schwester. Die liegt oft schon mit Lover Daniel, einem Koch, im Bett - macht sich aber erstens Sorgen und zweitens bald schon auf den Zug-Weg hin zur Schwester; Daniel hin, Daniel her.

    Derart symbiotisch sind die beiden Frauen, dass das große Jucken und Kratzen bald schon überspringt auf die "Ich”-Figur im Text von Charlotte Roos; selbstquälerisch hängt nun auch sie vor der Glotze und schaut sich wieder und wieder Saddams Ende an, aber auch das eines Bruders des Despoten, bei dessen unprofessioneller Hängung offenbar der Kopf abreißt.

    Ziemlich gruselig durchziehen abgerissene oder abgeschnittene Köpfe das ganze kleine Stück - schon zu Beginn ist von solch einem Schauer-Bild aus Lenas näherer Nachbarschaft die Rede; und als Daniel die Geliebte zunehmend an deren offenbar stark psychotische Schwester zu verlieren beginnt, versinkt er prompt in einer alptraumhaften Vision, in der er selbst, gemeinsam mit einer der Frauen - welcher, das wird nicht ganz klar -, der anderen den Kopf abtrennt; um ihn dann, ganz Profi-Koch, ordentlich im Topf zu kochen. Eijeijei!

    Allergien, das weiß auch der medizinische Laie, können in schlimmeren Fällen in den Wahnsinn treiben; dies ist ein besonders schlimmer Fall. Und nicht nur der TV-Horror um Saddam steckt dahinter - offenbar auch das ungeklärte Verhältnis der zwei Frauen in Bezug auf den einen Mann. Denn als Lena dann flüchtet zum eh schon ziemlich verstörten und gestressten Paar, landet sie plötzlich im Bett neben dem Quasi-Schwager. Da mögen dann auch die Schwestern nicht mehr miteinander telefonieren. Nicht mal mehr über Juckreiz.

    In "Gran Canaria - Die Unmöglichkeit einer Insel”, dem ersten Stück der gelernten Theaterfrau Roos, die schon inszenierte, bevor sie in Leipzig den Studiengang in Kreativem Schreiben absolvierte, führte eine private noch sehr schnell in eine politische Fabel; beim Blick auf die "Allergie” beglaubigt sich der Zusammenhang mit dem politischen Saddam-Motiv nicht ganz so zwingend. Eher schon "funktioniert” die Frauen-Konkurrenz um den Mann - doch um diesen Grundgedanken zu unterfüttern, wirkt wiederum die ganze Spektakelei um Hinrichtung und abgetrennte Köpfe ziemlich angestrengt.

    Die Uraufführungsinszenierung von Regina Wenig hilft auch nicht wirklich weiter; im Gegenteil - die junge Regisseurin mag womöglich das Ungleichgewicht im Text bemerkt und darauf hin versucht haben, mit szenischen Mitteln zu kontern: die nun aber noch viel monströser ausgefallen sind.

    Auf Kothurnen hat sie das Darsteller-Trio gestellt; jedenfalls zwingen die gefährlich hohen Schuhe aus Holzbrettern zu dieser antiken Assoziation. Für andere wirklich sie womöglich irgendwie japanisch - derlei Geh-Hilfen konnten aber im antiken Theater der Aktion eine gewisse Statuarik und Erhabenheit verleihen; hier sehen wir nur, wie schwierig es naturgemäß ist, sich mit derlei Klötzen unter den Füßen halbwegs ordentlich zu bewegen. Das Trio-Gepolter von Schuh-Holz auf Bühnen-Holz wird nur übertroffen vom Rumpel-Sound der bejahrten Drehbühne im Theaterhaus Jena, die mittendrin im Spiel ein paar Mal auf große Reise geht und die zwei hintereinander positionierten Ringe des Publikums, das um die Spielfläche herum sitzt, gegeneinander verschiebt. Weitere Effekte, womöglich gar dramaturgischer Art, sind jedoch nicht auf Anhieb zu erkennen.

    Obendrein gibt's über der Bühne einen Ring von hängenden Video-Monitoren, deren funktionaler Sinn sich ebenso wenig erschließt - in diesem angestrengt zusammen gewürfelten Sammelsurium aus Nicht-Bedeutung hätte es auch ein stärkeres Stück als das von Charlotte Roos ziemlich schwer gehabt. So bleibt die Grusel- und die Kopf-ab-Allergie fürs erste doch noch unbehandelt.