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Fußangel für Wikipedia

Am Donnerstag wurde es eng für Wikimania e.V., dem deutschen Trägerverein des Online-Lexikons Wikipedia. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg zwang per einstweiliger Verfügung die Enzyklopädisten, die Weiterleitung zur eigentlichen Datenbasis von Wikipedia zu sperren.

Manfred Kloiber im Gespräch mit Claudia Sanders |
    Manfred Kloiber: Claudia Sanders, was genau ist vorgefallen?

    Claudia Sanders: "Von Donnerstag bis Freitagmittag war die Adresse "Wikipedia.de" lahm gelegt - auf direktem Weg war die deutsche Wikipedia nicht zu erreichen. Wer allerdings auf die Hauptseite "Wikipedia.org" ging, konnte von dort aus ohne Probleme auf das deutsche Angebot zugreifen. Hintergrund ist eine einstweilige Verfügung eines Berliner Amtsgerichtes, die besagt, dass die Wikipedia den richtigen Nahmen des Hackers mit dem Pseudonym "Tron" nicht mehr in einem Lexikonartikel nennen darf. Dagegen ist der deutsche Wikipedia-Verein vorgegangen - gegen ihn richtete sich die Verfügung schließlich auch - mit dem Ergebnis, dass die Umleitung auf "Wikipedia.de" wieder aktiv geschaltet wurde, wenigstens bis zur mündlichen Verhandlung Ende Januar. Beantragt wurde die Verfügung durch die Eltern Trons."

    Kloiber: Wer war denn eigentlich Tron?

    Sanders: "Tron war ein Hacker, der in erster Linie kommerzielle Verschlüsselungssysteme unter die Lupe genommen hatte. Dazu gehören beispielsweise Telefonkarten oder Pay-TV-Systeme. Er hat sich mit diese Arbeit in Insider-Kreisen wie im Chaos Computer Club einen veritablen Namen geschaffen, nicht zuletzt deshalb, weil seine Diplomarbeit in eine ähnliche Richtung ging. Tron hieß mit bürgerlichem Vornamen Boris, und er wurde nur 26 Jahre alt. Er galt sechs Tage lang als vermisst, bevor man ihn erhängt fand in einem Park in Berlin. Das war 1998. Nach seinem Tod gab es viele Spekulationen und Verschwörungstheorien, wer ihn ermordet haben könnte. Doch die offiziellen Stellen kamen zu einem anderen Ergebnis. Sowohl die Mordkommission als auch die Staatsanwaltschaft sagten, Tron habe Selbstmord begangen. Doch seit seinem Tod beschäftigt sein Name nicht nur die Netzwelt immer wieder: es gibt ein Buch über ihn, das den Fall aufarbeitet. Vor kurzem ist ein weiteres Werk erschienen, allerdings ein fiktionaler Roman, in dem Tron die Hauptrolle spielt. Und auch da wird übrigens sein voller bürgerlicher Name genannt. Nicht zuletzt hat auch das die Wikipedia getan, die dem Hacker einen Lexikoneintrag widmet. Dieser Eintrag ist sehr sachlich und Trons Eltern bemängeln auch gar nicht den Inhalt dieses Artikels, sondern es geht ihnen einzig und allein darum, dass Trons Familienname genannt wird. Und damit beginnt jetzt die juristische Auseinandersetzung."

    Kloiber: Warum soll denn der Name nicht nochmals genannt werden? Gibt es da sachliche Gründe für oder handelt es sich um eine emotionale Angelegenheit?

    Sanders: "Es sieht so aus - und da bewegen wir uns etwas im Reich der Spekulation - als sei das auch eine sehr emotionale Sache. In der vergangenen Woche gab Trons Vater der Süddeutschen Zeitung ein Interview, in dem er sagte, er wolle, dass es endlich aufhören soll. Er hatte gehofft, dass Tron nun Ruhe hat. Aber das scheint offenbar nicht der Fall zu sein. Trons Eltern haben übrigens bereits im Dezember eine juristische Verfügung erwirkt, und zwar an denjenigen, der auch für Wikipedia verantwortlich ist, nämlich Jimmy Wales, der Gründer des Online-Lexikons. Er lebt in Florida, wo auch die Server angesiedelt sind, auf denen die Inhalte lagern."

    Kloiber: Muss denn Wikipedia immer damit rechnen, dass es bei solchen Fällen immer wieder Ärgern geben wird? Es ist ja ein Online-Lexikon, bei dem keine ständigen Redakteure über den Inhalt wachen.

    Sanders: "Erst einmal wird juristisch zu klären sein, das werden wir Ende des Monats wissen, inwieweit der deutsche Wikipedia-Verein überhaupt zuständig ist. Generell wird man aber wohl sagen müssen - Wikipedia ist jetzt fünf Jahre alt - der Welpenschutz ist ein wenig verloren gegangen. Es gibt viele Leute, die wohl ein Interesse daran haben, dass der eine oder andere Artikel anders aussehen sollte als er bisher vielleicht ist. So müssen sich die Wikipedianer schon darauf einrichten, dass sie mehrere zivilrechtliche Verfahren werden bearbeiten müssen. Unabhängig davon, wie dieses Verfahren ausgehen wird, bedeutet es auf jeden Fall eines: dass man erst einmal Anwälte bezahlen muss, die sich mit diesen Inhalten beschäftigen - und das dürfte mit ziemlicher Sicherheit auf Dauer die Wikipedia lähmen."