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Fußball
Balsam für die ostdeutsche Seele

Die 3. Liga ist derzeit für die ostdeutschen Fußballfans das Nonplusultra. Und so was wie eine Wiedergeburt der alten DDR-Oberliga. Damit steigt auch das Selbstbewusstsein.

Von Christoph Richter | 29.08.2015
    Jürgen Sparwasser (2. v. l.) und Manfred Zapf (3. v. l.) vom FC Magdeburg halten den Europapokal der Pokalsieger in die Höhe.
    Als der FC Magdeburg 2:0 gegen den AC Mailand gewann: Jürgen Sparwasser (2. v. l.) und Manfred Zapf (3. v. l.) vom FC Magdeburg halten den Europapokal der Pokalsieger in die Höhe. (Picture-Alliance / ASA)
    Der 1. FC Magdeburg, der im Dezember dieses Jahres sein 50-jähriges Gründungsjubiläum feiert, gewann 1974 im Rotterdamer Stadion De Kuip den einzigen Europapokalsieg einer DDR-Oberligamannschaft. Gegen keinen Geringeren als den AC Mailand, der damals von dem noch jungen Giovanni Trapattoni trainiert wurde.
    "Ja, es war ein Riesen-Ereignis gewesen, ganz klar. Das Thema wurde tagelang gefeiert",
    erzählt Hans-Georg Moldenhauer, der letzte Präsident des DDR-Fußballverbands und jetzige Ehrenpräsident des DFB. Bis 1973 war er der Torwart des 1. FC Magdeburg. Vergangene Zeiten. Denn seit dem Mauerfall dümpeln die Blau-Weißen in den unteren Ligen. Doch seit dem Aufstieg von Magdeburg in die 3. Liga im vergangenen Juni herrscht eine riesige Euphorie. Jetzt spielt man oben mit, ist drauf und dran sich zum Aufstiegskandidaten für die 2. Liga zu mausern. Balsam für die ostdeutsche Seele.
    "Er vermittelt Identifikation",
    sagt Dirk Pollak, Geschäftsführer eines großen Magdeburger Windanlagenherstellers. Seit 1968 geht er regelmäßig ins Stadion zum FCM, wie man in Magdeburg sagt. Zu einem Club, der zu den Top Five des DDR-Fußballs gehört hat, regelmäßig in den europäischen Wettbewerben vertreten war.
    "Wenn man sich den Einigungsprozess anguckt, wie der technisch gelaufen ist: Hervorragend. Aber es gibt eine technische Lücke: Die Ostdeutschen haben ihre Identifikation verloren. Durch das stetige Steigen der Lukrativität und der Werbewirksamkeit des Fußballs entdeckt man ein Stückchen Identität wieder."
    Nicht nur Magdeburg, auch Dresden, Aue, Halle, Erfurt, Rostock, Chemnitz und Cottbus – allesamt ehemalige DDR-Oberliga-Vereine – spielen in der 3. Liga. Weshalb schon von der Bundesliga des Ostens die Rede ist.
    "Und das genießen die Leute auch. Und da ich selber im Stadion sitze, bei jedem Spiel, merkt man auch wie glücklich die Leute sind. Die strahlen eine Glücklichkeit aus, die man so noch nicht gesehen hat."
    Zur Erinnerung: Seit 2009 ist kein Fußballclub aus den neuen Ländern erstligatauglich.
    Für Willi Polte – Gründungsmitglied der ostdeutschen SPD und Nachwende-Bürgermeister Magdeburgs – ist der Fußball nicht nur ein Imageträger für den Osten. Er unterstreicht, dass der Aufstieg vieler Vereine in die 3. Liga das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen insgesamt streichle.
    "Ich habe auch den Eindruck, dass über den Sport viel mehr an Prestige, an Selbstbewusstsein entsteht, als durch alle anderen Leistungen, die man hier vielleicht vollbringt, weil sie hier in viel größerem Maße, die Menschen aktiviert und erreicht."
    Ähnlich sieht es Michael Schädlich, der Präsident des Halleschen Fußballclubs, des HFC.
    "Ich habe den Aufstieg von Halle erlebt. Das Beeindruckendste ist nicht die sportliche Leistung, das Aufsteigen. Das Beeindruckendste ist, wenn sie spüren, dass der Tankwart, der nie beim Spiel war, stolz darauf ist, dass die Mannschaft aus Halle aufgestiegen ist. Das gibt dem Mann für seinen Job, für sein Leben ein Stück Selbstwertgefühl. Das wir unbedingt brauchen, um insgesamt weiterzukommen. Und das wird unterschätzt. Das werden sie sehr schwer – ich will niemandem zu nahe treten – mit Wasserball erreichen."
    Der aus dem voigtländischen Auerbach stammende Volkswirt Michael Schädlich warnt aber vor zu großer Euphorie. Und macht die allseits bekannte Rechnung auf,
    "dass nämlich die Situation des Fußballs in den neuen Ländern ein Spiegelbild des Wirtschafts-Standortes Ostdeutschland ist."
    Das Problem des Ostfußballs besteht darin, dass ein höherklassiger Fußball sich heute automatisch verbindet mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten, diesen auch zu spielen. Und da kommt der ostdeutsche Fußball an Grenzen, die nicht durch den Fußball gegeben sind. Sondern wenn sie eine 20prozentig geringere Wirtschaftskraft haben, ist es milchmädchenhaft, aber relativ logisch, dass sie auch 20 Prozent weniger Sponsorenaufkommen haben.
    Der sportliche Aufstieg der Ostvereine in die 3. Liga könne dem demografischen Wandel entgegen wirken, so Schädlich weiter, da die Regionen durch den Fußball auch massiv an Attraktivität gewännen. Auch weil Stadien Orte intensiver Gemeinschaftserlebnisse seien, die weit über den Schlusspfiff hinaus das Leben der Menschen bestimmen. Inwiefern allerdings gewaltbereite Gruppen und Hooligans die erhöhte Aufmerksamkeit für sich nutzen, wird die Zukunft zeigen. Der 1. FC Magdeburg hat das jedenfalls genau im Blick und schon mal angekündigt, bei Ausschreitungen durch eigene Fans die Punkte sofort dem Gegner zu überlassen.
    Von Europapokalabenden ostdeutscher Mannschaften wagt heute nicht mal der kühnste Fan zu träumen. Denn wirklich konkurrenzfähig ist der Fußball im Osten derzeit nicht. Einen Europapokalsieg wie ihn einst Magdeburg errungen hat: Heute so gut wie unmöglich.