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Fußball
Ein Komplott, aber ohne Mussolini

Die These, wonach Italiens Diktator Benito Mussolini höchstpersönlich für den ersten WM-Titel Italien gesorgt hat, ist nach Ansicht des italienischen Sporthistorikers Marco Impiglia nicht belastbar. Vielmehr habe eine schwedisch-italienische Allianz aus Funktionären den Azzurri den WM-Sieg ermöglicht.

Von Erik Eggers | 22.06.2014
    Porträtaufnahme von Benito Mussolini in Uniform
    Undatierte Aufnahme von Benito Mussolini (picture alliance / dpa)
    Manipulierte Mussolini die Fußball-WM 1934 in Italien? Sorgte der Duce höchstpersönlich für den ersten WM-Titel der Squadra Azzurra? Der italienische Sporthistoriker Marco Impiglia verneint diese Fragen in seinem grandiosen Aufsatz für den englischsprachigen Band "The FIFA World Cup", den die beiden deutschen Historiker Stefan Rinke und Kay Schiller im Wallstein Verlag herausgegeben haben. Dafür gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Dass aber die italienischen Organisatoren um den FIFA-Funktionär Giovanni Mauro das Turnier verschoben haben, davon ist Impiglia überzeugt. Die Indizienlage sei so erdrückend, dass man als Historiker sagen müsse: "Schuldig".
    Impiglia schildert den WM-Sieg Italiens als ein finsteres Komplott aus Funktionären und Schiedsrichtern, das seinen Anfang im Jahr 1932 nahm. Beim FIFA-Kongress in Stockholm habe Mauro, der 1934 OK-Chef in Italien wurde, dem schwedischen Fußballpräsidenten Anton Johansson den Weg in das International Board geebnet, der Regelkommission des Fußballs. Als Gegenleistung servierte der Skandinavier einen willfährigen Schiedsrichter: Johansson entsandte nicht den erfahrenen Otto Ohlsson zur WM. Sondern mit seinem Freund Ivan Eklind einen Schiedsrichter, der laut Impiglia gewillt war, alles zu tun, um Karriere zu machen.
    Das Kardinalproblem war, dass der italienische Fußballverband FIGC die Entscheidungshoheit für die Nominierung der Referees besaß. Und so entschieden sich die Italiener, nicht den belgischen Star-Schiedsrichter John Langenus die wichtigen Spiele pfeifen zu lassen – der hatte sich erdreistet, 1927 und 1928 Elfmeter gegen Italien gegeben zu haben. Auch hier bevorzugten sie mit Louis André Baert einen Belgier, unter dessen Leitung Italien noch nie ein Spiel verloren hatte. Mit dem Tessiner René Mercet, einem Freund Mauros, und dem Ungarn Mihaly Ivancsics habe der WM-Gastgeber insgesamt vier käufliche Schiedsrichter zur Verfügung gehabt, um Italiens Sieg sicherzustellen, so die These Impiglias.
    Baert und Mercet sorgten dafür, dass Italien die beiden Viertelfinalschlachten gegen Spanien mit seinem Wundertorwart Ricardo Zamora überstand; sie annullierten reguläre spanische Treffer und sanktionierten auf der anderen Seite die brutale Härte des Gastgebers nicht. Im Halbfinale ließ der schwedische Referee Eklind zu, dass Monti den österreichischen Stürmerstar Matthias Sindelar krankenhausreif foulte. Und im Finale verweigerte wieder Eklind den Tschechoslowaken einen Elfmeter und ließ zahlreiche Attacken auf deren Mittelstürmer Frantisek Svoboda zu. Schiedsrichter-Beobachter war in beiden Fällen Johansson, einer der Drahtzieher der Verschwörung, der in Schweden das faschistische Sportsystem angepriesen hatte.
    Marco Impiglia: 1934 FIFA World Cup: Did Mussolini rig the Game?, in: Stefan Rinke/Kay Schiller (ed.): The FIFA World Cup 1930-2010. Politics, Commerce, Spectacle and Identities, Wallstein Verlag Göttingen, 2014, 408 Seiten, 39,90 Euro, S. 66-84.