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"Fußball in Verantwortung"

Am 20. August beginnt die neue Saison: Nach langen Jahren spielt der FC. Sankt Pauli wieder in der ersten Liga mit. In diesem Zusammenhang stellen sich viele, gerade die Fans, die Frage: Wird sich der Verein verändern, jetzt, wo man bei den Großen mitspielt? Wie viel Kommerz kann der Fußball sich leisten?

Von Verena Herb |
    "Es ist ja ganz interessant, und fast schon ironisch, dass der Club, der sich am kritischsten und reflektiertesten mit der Frage der Kommerzialität auseinandersetzt, auch immer besonders hart im Brennglas steht."
    Betont Bernd-Georg Spies, Vizepräsident des FC St. Pauli, dessen Verein in diesem Jahr mit zusätzlichen Vermarktungserlösen von 17 Millionen Euro rechnet. Für den Club ein historisches Ergebnis, so Spies:

    "Gleichwohl glaube ich, dass wir insgesamt mit diesem Thema sehr behutsam umgehen. Also die Bedingungen, nach denen das Geld eingenommen wird, verwandt wird und inwieweit diese Geldströme auch die Fankultur tangieren, die werden hier immer wieder neu verhandelt. Das ist die Besonderheit des FC St. Pauli."
    Kann ein Spagat zwischen wirtschaftlichem Erfolg und dem Wahren der eigenen Kultur gelingen?
    Die Gäste auf dem Podium jedenfalls sind sich einig: Der Hamburger Fußballclub vom Kiez ist eine Besonderheit, blickt auf eine ganz besondere Tradition zurück. Denn wie kein anderer Verein ist der FC St. Pauli mit seinem Stadtteil verbunden und prägt gewisse Werte. Gegen Diskriminierung, gegen Gewalt, gegen Rechtsradikalismus – für diese Einstellung weht die Fahne mit dem Totenkopf. Doch eben jene Totenkopfflagge hat sich in den letzten Jahren zum Marketingschlager entwickelt – unterstreicht Christoph Ruf, Fußballjournalist, in seinem "Impulsreferat" zu Beginn der Veranstaltung:

    "Auch die St. Pauli Vermarktung wird nicht ruhen, bis auch die letzte Ergotherapeutin in Schwäbisch-Gmünd ganz non-established zur Arbeit schlappt, und der letzte Nachwuchspunk in der Leipziger Südvorstadt mit dem passenden Totenkopfaccessoire sein Rebellentum dokumentiert. Es soll in einem Radius von einem Kilometer um den Ballsaal sogar Babies geben, die bis zur Einschulung konsequent von Schnullern, Spielsachen oder Kleidungsstücken ferngehalten werden, die nicht am Heiligengeistfeld gekauft wurden."
    "Modefans" – werden diese Fußballanhänger abschätzig von den wahren Fans, den Traditionalisten genannt. Ein Phänomen, mit dem nicht nur St. Pauli zu tun hat, weiß Götz Vollmann, Sprecher des Instituts für Fußball und Gesellschaft.

    "Es gibt glaube ich kaum einen Verein, wo so viel über die Fans und die Struktur der Fanszene gestritten wird, wie beim FC Bayern München. Da gibt’s auf der einen Seite eben die Leute wie die Schickeria, die halt eben für sich in Anspruch nehmen, die Stimmung im Stadion hoch zu halten und das was man als Stimmung in München definieren, und dann gibt es eben diese ganzen Eventtouristen aus dem Umland. Für die es ein Highlight ist, einmal im Jahr oder einmal in zehn Jahren ne Karte für nen Sitzplatz zu bekommen beim FC Bayern München."
    Je erfolgreicher ein Club, desto größer und unterschiedlicher seine Anhängerschaft. Bei der Diskussion unter den Fußballexperten geht es in erster Linie um den Widerstreit zwischen Kommerz auf der einen, und Tradition auf der anderen Seite. Für Thies Gundlach, Oberkirchenrat in der evangelischen Kirche in Deutschland indes ist ein Fehler, den Gegensatz immer wieder zu kultivieren:

    "Da gibt´s Kommerz, das ist ohne Werte, und dann gibt’s Romantik oder Tradition, und das ist mit Werten. Das stimmt so nicht. Das ist ein Gegensatz, der so überhaupt nicht stimmt. Der Kommerz hat an allen Stellen, die wir in unserer Gesellschaft sehen, auch im Fußball, solche und solche Ausprägungen. Und es gibt Kommerz, der durchaus verantwortlich gemacht wird. Es gibt Kommerz, der das nicht macht."
    Und doch lässt sich nicht von der Hand weisen: Geld schießt Tore. In vielen Fällen zumindest, so Götz Vollmann :

    "Das ist das Gesetz dieser DFL – das ist de facto so. Wir in Dortmund haben es selbst erlebt in 2004, wir haben es erlebt in 2003. Wir haben es in Wolfsburg erlebt im vergangenen Jahr, wo ne Mannschaft von Felix Magath zusammengekauft wurde für nen zweistelligen Millionenbetrag. Der de facto dazu geführt hat, dass diese Mannschaft auch Deutscher Meister wurde. Also Geld schießt Tore."
    Der Gastgeber, Bernd-Georg Spies, Vizepräsident des FC St. Pauli sieht seinen Verein als Gegenbeispiel. Natürlich gebe es klare Zusammenhänge zwischen Etats und sportlichem Erfolg – doch Sankt Pauli habe den Aufstieg geschafft mit einem der niedrigsten Zweitligaetats. 7 Millionen hatte der Verein zur Verfügung – jetzt spielen sie im Fußballoberhaus:

    "Warum war das so? Es gibt eine sportliche Philosophie die sich durchzieht durch alle Gremien, durch alle diejenigen, die Entscheidungen zu treffen haben, es gibt eine Handschrift, es gibt "Wir wollen das gemeinsam zum Erfolg bringen" und ja – siehe da – es hat funktioniert."

    Zu guter Letzt kommt die Runde noch auf die 50 plus 1 Regelung zu sprechen: Dass in Deutschland nach wie vor an dieser Regelung festgehalten werde, trage dazu bei, dass kein Privatinvestor gänzlich die Identität eines Vereins zu Gunsten der Rendite vernichten könne. Deshalb sei auch die deutsche Fußballnationalmannschaft so erfolgreich gewesen, erklärt Spies. England beispielsweise, schaue verwundert auf die deutschen Regelungen, so der Vizepräsident:

    "Wie kann denn das überhaupt sein, dass privaten Investoren der Besitz von Fußballclubs untersagt ist? Wie viel öffentliches Geld geht in Fußballvereine: mit einem ganz interessanten Befund: Das deutsche System ist das nachhaltigere und klügere."
    Wie viel Kommerz also kann sich der Fußball leisten? Nach den Ergebnissen des Abends meint man: Eine ganze Menge. Wenn er denn mit gesellschaftlicher Verantwortung verknüpft ist.