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"Fußball ist anders" in Darmstadt
Mehr Toleranz auf der Tribüne

Für lesbische, schwule und behinderte Fußballfans wird der Stadionbesuch oft zur Tortur: Homophobie unter Fußballfans ist nach wie vor verbreitet, behinderte Stadionbesucher werden nicht selten angefeindet. Beim Bundesligisten Darmstadt 98 will man sich mit dem Festival "Fußball ist anders" klar gegen die Diskriminierung von Minderheiten und Rassismus positionieren.

Von Ludger Fittkau | 21.03.2016
    Fußball: Bundesliga, Darmstadt 98 - FC Augsburg, 26. Spieltag am 12.03.2016 in Merck-Stadion am Böllenfalltor, Darmstadt (Hessen). Ein Bild des in dieser Woche verstorbenen Lilien-Fan Jonathan «Johnny» Heimes hängt neben den Darmstädter Anhängern auf der Tribüne.
    Der Bundesligist Darmstadt 98 wirbt für mehr Toleranz im Stadion. (dpa/picture alliance/Frank Rumpenhorst)
    Mario Lager ist körper- und sprachbehindert. Und Fußballfan. Mit Freunden im Rollstuhl besucht er bisweilen Bundesligaspiele im Darmstädter Stadion am Böllenfalltor. Der Fußballverein Darmstadt 98 organsiert die Fahrten zum Spiel – doch die Vereinsführung kann nicht immer verhindern, dass Mario Lager im Stadion behindertenfeindliche Sprüche zu hören bekommt:
    "Doch schon – aber da muss man drüber stehen. Die Fans sind ein eigenes Volk."
    Dennoch trifft Mario Lager nun auch außerhalb des Stadions auf die Fans – beim dreitägigen Festival "Fußball ist anders" in der Darmstädter Volkshochschule. Die Fan-und Förderabteilung des Männerfußball-Bundesligisten Darmstadt 98 hat das Festival organisiert. Vorbild war St. Pauli, wo es solche Veranstaltungen für mehr Toleranz im Fußball und gegen die Herabwürdigung von Minderheiten durch rassistische oder homophobe Fangruppen schon gab. Markus Sotirianos hat nun erstmals für Darmstadt 98 das Festival organsiert. Vor allem die Homophobie vieler Fans ist nach wie vor ein großes Problem, räumt er ein:
    "Beim Rassismus ist es vielleicht – in Anführungsstrichen – der Vorteil, dass es sich ja gar nicht verhindern lässt das Menschen aus anderen Ländern sich beim Fußball beteiligen. Und bei Homophobie dauert es vielleicht noch ein bisschen, bis der gesellschaftliche Impuls kommt, dass man nicht komisch angeschaut wird, wenn man anders orientiert ist."
    Fan-Szenen aus Dortmund und Bayern als Vorbild
    Der grüne Darmstädter Oberbürgermeister und leidenschaftliche Fußballfan Jochen Partsch ist der Schirmherr der Veranstaltung "Fußball ist anders". Jochen Partsch machte in seiner Eröffnungsrede anhand aktueller Beispiele deutlich, wie wichtig es ist, dass Fans in vielen deutschen Stadien sich gegen Diskriminierung von Minderheiten und Rassismus klar positionieren:
    "So unterschiedliche Fan-Szenen wie die Fan-Szenen von Bayern München und Borussia Dortmund haben beeindruckende Signale ausgesandt. Auch politische Signale. Das Fanbündnis von Borussia Dortmund hat erklärt, dass sie AfD-Mitglieder in ihrem Fanbündnis nicht dulden werden. Das ist, wenn man weiß, wie die Fanszene von Borussia Dortmund strukturiert ist, eine mutige Ansage. Aber eine richtige Ansage. Und die Fangruppe "Schickeria" von Bayern München hat in der Kurve ein Transparent entrollt, wo sie geschrieben haben: Die Brandstifter sitzen auch in der bayerischen Landesregierung.
    Während im Saal darüber diskutiert wird, wie die Fanszene im Fußball noch toleranter und weltoffener werden könnte, verkaufen draußen in den Gängen des Veranstaltungszentrums chronisch psychisch Kranke kleine Fanartikel, die sie in psychiatrischen Tageseinrichtungen gefertigt haben. Selbst in ein Stadion zu gehen, ist allerdings für manche Kranke nicht vorstellbar:
    Offener Umgang mit psychischen Krankheiten
    "Nee, mir ist es zu laut, das ist schon schwierig für mich."
    Der Fall des ehemaligen Nationaltorwarts Robert Enke ist hier noch sehr präsent. Enke nahm sich 2009 nach langer psychischer Krankheit das Leben. Karin Gänsert betreut beim Caritasverband Darmstadt chronisch psychisch Kranke:
    "Wir wollen das auch in die Öffentlichkeit tragen, denn das Beispiel Robert Enke ist tragisch. Und das soll sich nicht wiederholen."
    Neben Robert Enke ist auch Jonathan Heimes in aller Munde bei der Darmstädter Veranstaltung.
    Der vor wenigen Tagen verstorbene Krebskranke war jahrelang der wohl bekannteste Fan von Darmstadt 98. Er hat durch seinen öffentlichen Kampf gegen den Krebs auch der Mannschaft immer wieder Mut für entscheidende Spiele gemacht. Und eben nicht nur der Mannschaft, sondern vielen chronisch Kranken und Behinderten der Stadt. Sagt die Sozialpädagogin Elke Hitzel, Mitarbeiterin des Inklusions- Projektes "Zwischenräume" – einen Treffpunkt von Behinderten und Nicht-Behinderten:
    "Und der Jonathan Heimes hat letztlich von seiner eigenen Geschichte und von seinem Engagement her sehr viel angestoßen. Und letztlich ist das ja auch der Grundgedanke von vielen Menschen, die selbst betroffen sind, ein Teil der Gesellschaft zu sein."
    Bessere Bedingungen für behinderte Fans
    Dennoch: Es bleibt nicht einfach, mit einem Rollstuhl das alte Stadion von Darmstadt 98 zu besuchen, da macht sich Mario Lager keine Illusionen:
    "Mit Rollstuhl ist es schon sehr eng."
    Immerhin: In Darmstadt soll in den nächsten Jahren ein neues Stadion gebaut werden. Die Darmstädter Veranstaltung "Fußball ist anders" dürfte den Blick dafür geschärft haben, dass man dabei auch an die behinderten Fußballfans denkt.