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Fußball verzaubert die Afrikaner

Am 11. Juni diesen Jahres beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika: Schon jetzt erzählen die Afrika-Korrespondenten Bartholomäus Grill von der "Zeit" mit "Lamunda! Wie der Fußball Afrika verzaubert" und Spiegel-Korrespondent Thilo Thielke mit "Traumfußball" über Fußball in Afrika - und dessen gesellschaftliche Bedeutung.

Von Heinz Peter Kreuzer |
    Beide berichten von ihren Reisen durch den schwarzen Kontinent. Eins ist ihnen gemeinsam: Sie liefern ein Bild Afrikas garniert mit Episoden aus dem Fußball. In einem unterscheiden sich beide Autoren: Bei Grill ist die Liebe zum Kontinent herauszulesen, Thielke hat dagegen die kritischere Haltung. Das Spiel mit dem runden Leder ist in Afrika nicht von Politik, Korruption oder Hexerei zu trennen. In seinem Buch legt Grill seinen Schwerpunkt auf Südafrika, berichtet von Stadionneubauten, der Selbstüberschätzung des Nationalteams bafana, bafana. Bei seinen Reisen besuchte er unter anderem einen Fetischmarkt. Für afrikanische Fußballanhänger sei es die natürlichste Sache der Welt, dass magische Kräfte die Linie verbiegen, die Flugbahn von Bällen verändern, die Schiedsrichter benebeln, oder den Torjäger lähmen:

    "Ich habe vor der Fußball-WM 2006 in der togoischen Kapitale Lomé den angeblich größten dieser Märkte in Afrika besucht, den Marché des Féticheurs im Stadtviertel Akodessewa. Da wurden die absonderlichsten Objekte, Elixiere und Substanzen feilgeboten. Affenschädel, Krötenherzen, Adlerkrallen, Warzenschweinzähne, Buschrattenfelle und Schlangenhäute, giftige Rindenstücke von Urwaldriesen, Knollen, Wurzeln, Pavianurin, Drüsensekrete. Und magisches Wasser, das Krieger nicht nur gegen die Kugeln des Feindes immunisiert, sondern auch Fußballer unbesiegbar macht."

    Grill ist Fußballfan mit vollem Herzen. Er berichtet unter anderem von seinem Trainerjob bei einem südafrikanischen Jugendteam. Sein gescheiterter Versuch, für seinen deutschen Lieblingsverein Borussia Dortmund ein Trainingslager in Südafrika zu organisieren, lässt auch ihn das Ausmaß der Korruption im Sport erkennen.

    Den Einfluss der Politik beschreibt er in einer Reportage aus Ruanda. Dort hat er den Fußballplatz des Dorfes Kibungo, dreißig Kilometer von der ruandischen Hauptstadt Kigali entfernt, besucht. Hier trafen sich täglich die Todmacher und schwärmten für ihr blutiges Tagwerk in die Nachbardörfer aus. Der Völkermord geschah im Jahr 1994, in 100 Tagen wurden 800.000 Menschen getötet:

    "Die letzte Station ist der Lehmplatz von Kibungo, wo die kleinen Jungs so vergnügt spielen, als wäre die Vergangenheit nur ein böser Traum. Sie waren noch nicht geboren, als sich Ruanda in eine Hölle verwandelte. Für die Jungen spielt es keine Rolle, wer Tutsi oder Hutu ist. Selbstvergessen sind sie im Spiel vereint. Wenn man ihnen zuschaut, darf man wieder an jene versöhnende Kraft des Fußballs glauben, die in den Monaten des Völkermords zerstört wurde."

    Politik und Fußball spielen auch bei Thilo Thielke eine Rolle. Er besuchte das vom Bürgerkrieg geschundene Somalia, die muslimischen Machthaber haben Fußball im Land verboten, Somalias Nationalteam muss auswärts antreten. Für Mohiadin Hassan, den Präsidenten des somalischen Fußball-Verbandes, bleibt nur die Hoffnung auf einen Sinneswandel der Machthaber und die Erinnerung:

    "Mohiadin Hassan will noch eine komische Geschichte loswerden. 'Na ja, richtig komisch ist sie nicht', meint er. 'Im Oktober 1997 hatten hier, wo wir jetzt stehen, die Mannschaften von Feynus und Anzaloti gegeneinander gespielt. Ein brisantes Duell: Hinter dem einen Team stand der Warlord Ali Mahdi und hinter dem anderen Aidid. Es stand unentschieden, das Spiel plätscherte so dahin. Irgendwann in der zweiten Halbzeit rannte plötzlich ein Spieler ganz allein auf den Keeper zu. Dem Stadion stockte der Atem. Dann erhob sich ein Zuschauer, der direkt hinter dem Tor saß, er schwenkte eine Eierhandgranate uns rief: Wenn du den Ball hältst, bist du tot. Dem Tormann war sein Leben lieb, er ließ den Ball passieren, die Aidid-Leute gewannen 1:0, und Ali Mahdis Team stattete dem Conis-Stadion vorerst keine Besuche mehr ab."

    Thielke schreibt auch die Vorzeigegeschichte des afrikanischen Fußballs auf, den FC Mathare United, einen Klub aus dem größten Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi. Das Erstligateam spielt um den nationalen Titel mit. Der eigentliche Erfolg des kanadischen Vereinsgründers Bob Munro ist jedoch, dass 18.000 Jungen und Mädchen in fast 1000 Vereinen in 100 Ligen spielen. Munro erzieht die Jugend aber auch über den Fußball hinaus:

    "Bob Munro sah den Müll, er wusste, dass der Müll die Menschen von Mathare krank machte. Wenn es regnet, sickert all der Abfall in das Trinkwasser, überspült die Straßen, manchmal stehen die Menschen knietief in Fäkalien, und dann kam Bob Munro die Idee, Punkte nicht nur für einen Sieg (drei) oder ein Unentschieden (einen), sondern auch für gemeinsame Müllentsorgung nach dem Spiel zu vergeben (sechs). Wer in der Tabelle oben stehen will, kann es sich kaum leisten, die sozialen Arbeiten zu verweigern. Mannschaftliche Geschlossenheit wird so auch gefördert, schließlich wird nur das Team belohnt. Das vollzählig zum Reinemachen antritt. Und die Welt wurde wieder etwas schöner in Mathare."

    Thielkes Buch ist ein Streifzug durch Afrika. Er beschreibt das Scheitern von Berti Vogts in Nigeria, die Straßenfußballer vom Mosambik oder George Weah während dessen Präsidentschafts-Wahlkampf.
    Fazit: Beide Bücher erscheinen zwar im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Sie sind aber keinesfalls als Vermarktung alter Reportagen zu sehen. Denn beide zeichnen ein interessantes Bild Afrikas. Sie bieten dem Fußballfan eine neue Perspektive, dem Liebhaber des schwarzen Kontinents eine interessante Lektüre.