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Fußball-WM 2014
Die Logik des Machismus

Wenn im Fernsehen Bilder von Zuschauern gezeigt werden, dann häufig schöne Frauen. Die Botschaft der FIFA: schöne Frauen gehören zum Erlebnis-Paket Weltmeisterschaft. Das ist für viele Brasilianerinnen ein Problem.

Von Carsten Upadek | 13.07.2014
    Sexismus und Machotum bei der WM
    Sexismus und Machotum bei der WM (Carsten Upadek )
    In Rio de Janeiros Strandviertel Copacabana findet die Party nach der Party statt. Hierher zieht es ausländische Fans seit Wochen nach jedem WM-Spiel – auch die Deutschen. Die deutliche Mehrheit der Besucher sind Männer: angetrunken, ausgelassen. Ihr Bild von den Brasilianerinnen:
    "Dicke Brüste, geiler Arsch!"
    "Phänomenal, mokkabraun, alles dabei, supergeil!"
    "Große Ärsche, flache Bäuche, hübsche Gesichter!"
    "Wir Frauen werden angesehen als Objekte, als Sexobjekte, ein Ding, zu dem Männer Zugang haben!"
    Tatiana Oliveira ist Aktivistin der Bewegung „Frauenweltmarsch", die sich in Brasilien einsetzen für Frauenrechte bei Landbesitz, Arbeit, in der Selbstbestimmung und Souveränität sowie bei sozialen Rechten. Die WM stimuliere den Tourismus. Im Paket sei für viele Männer aber nicht nur Zuckerhut und Christus-Statue, sagt Tatiana Oliveira:
    "Neben der Fußball-Kultur, neben dem touristischen Sightseeing, kommen sie, um die Körper der Frauen zu konsumieren. Das ist, was wir beobachten."
    "Die Frauen sehen geil aus, sind offen, es ist der Wahnsinn."
    "Ja scheiße, sie ist ziemlich jung und muss nach Hause... Das ist für mich die Party!"
    Die Wahrnehmung vieler Brasilianerinnen scheint eine andere:"Meine Freundin wurde am Arm gezogen, als würde sich der Typ in der Schlachterei ein Stück aussuchen. Dann sagte er: ich habe das was Du willst, Geld und ein großes Ding. Lass uns in ein Hotel gehen!"
    "Sie fassen uns an, weil sie denken, wir sind einfach"
    "Wir leiden alle. Noch mehr, da die Werbung von Brasilien ja nur Pos und Brüste zeigt."
    Aktivistin Tatiana Oliveira sagt, die WM verstärke das übersexualisierte Bild der Brasilianerinnen im Ausland noch. Und es verbinde sich, mit der Unterdrückung der Brasilianerinnen im eigenen Land.
    "Brasilien ist noch immer eine konservative Gesellschaft, die noch immer sehr rigide nach der Logik des Patriachats strukturiert ist. Frauen bleiben Zuhause. Frauen haben noch immer Probleme der finanziell-ökonomischen Unabhängigkeit. Das alles führt zu einer Situation der Gewalt gegen Frauen, die brutal ist!"
    Zwischen Juni 2012 und Juni 2013 zählte der Bundesstaat Rio de Janeiro allein 6000 Vergewaltigungen. Die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher sein. Das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung schätzt die Zahl in Brasilien auf etwa 527.000 Vergewaltigungen pro Jahr. 90 Prozent seien Frauen. Nur zehn Prozent der Fälle würden der Polizei gemeldet. Wegen häuslicher Gewalt meldeten sich 2013 bei der nationalen Notrufnummer fast 533.000 Frauen, jede zweite wegen physischer Gewalt. Zwar gibt es in Brasilien seit 2006 ein Gesetz, das häusliche und familiäre Gewalt bestraft – es funktioniere aber nicht richtig, sagt die Sozialrechtlerin Angela Cardoso:
    "Das dauert bis die Polizei reagiert, die Anzeige dem Richter schickt, der den Schutz durch die Polizei gewährt. Bis dahin sterben die Opfer. Es herrscht eine Kultur der Straflosigkeit. Der Täter weiß, ihm geschieht nichts oder es wird bis dahin viel Zeit vergehen."
    Angela Cardoso hat das Sozialrecht aufgegeben und arbeitet inzwischen in der Musikproduktion: "Bei der heutigen Situation kann ich meinen Beruf in diesem Land nicht ausüben. Das macht mich traurig, weil ich mir eine bessere Gesellschaft wünsche."
    Aber dafür müsse sich das Verständnis in der Gesellschaft über die Rolle der Frau ändern. In der Öffentlichkeit sehen Männer sie häufig als passives Schmuckwerk: gerade beim Fußball. Erst im Mai riet der Sportdirektor des brasilianischen Erstligisten Cruzeiro aus Belo Horizonte einer Linienrichterin doch lieber beim Playboy zu posieren, als am Spielfeldrand zu stehen. Frauenrechtler protestierten zwar: weiter passierte aber nichts. Einen kleinen Sieg haben die feministischen Bewegungen zumindest in einem anderen Fall errungen: kurz vor der WM rief ein Moderator des größten Fernsehsenders Frauen in seinem Millionen-Publikum auf, ihm zu schreiben. Er wollte sie dann mit Ausländern verkuppeln. Eine Zuhälter-Haltung, findet Tatiana Oliveira:
    "Er verstärkt die Logik der Ausbeutung des weiblichen Körpers als wäre es nur eines unter vielen Produkten, das der Ausländer, der nach Brasilien kommt, konsumiert."
    Nach Protesten und einer Anzeige brach der Moderator die Aktion ab. Im Laufe des Turniers wurden in Fortaleza zwei Mexikaner wegen sexueller Nötigung einer Brasilianerin festgenommen, in Cuiabá ein Chilene wegen versuchter Vergewaltigung, in Natal zwangen drei Polizisten eine 18jährige zum Sex. Einzelfälle? Natürlich. Aber dahinter steckt die Logik des Machismus, die von der Fußball-WM noch verstärkt wird.