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Fußball-WM
Das Schicksal von Oleg Sentsow

 Menschenrechtsorganisationen gehen von über 170 politischen Gefangenen in Russland aus. Einer von Ihnen ist Oleg Sentsow. Seit vier Jahren sitzt er im Gefängnis, der Grund: Terrorverdacht. Während der WM schwebt er in Lebensgefahr, denn er befindet sich seit 61 Tagen im Hungerstreik. 

Von Olga Sviridenko | 13.07.2018
    MOSCOW, RUSSIA. DECEMBER 26, 2014. Ukrainian film director Oleg Sentsov, detained in Crimea on charges of terrorism, seen in a cage during a hearing into the investigator's request to extend his arrest at Moscow's Lefortovo District Court. Mikhail Pochuyev/TASS
    Der inhaftierte ukrainische Filmregisseur Oleg Sentsow (picture alliance / dpa / Mikhail Pochuyev/TASS)
    Während die Weltöffentlichkeit seit gut vier Wochen auf den Fußball starrt, spielt sich in einem Straflager am Polarkreis gerade ein Drama ab. Dort verbüßt seit vier Jahren der ukrainische Filmregisseur Oleg Sentsow eine 20-jährige Haft.
    Der Grund: Terrorverdacht. Amnesty International beschrieb den Prozess gegen Sentsow als "stalinistisch". Jetzt ringt er um sein Leben. Seit 61 Tagen ist Sentsow im Hungerstreik. Er will so auf die über 70 ukrainischen politischen Gefangenen aufmerksam machen und ihre Freilassung erreichen.
    Menschen in Kiew zeigen Protestplakate mit der Forderungan an die russische Regierung nach einer Freilassung des Künstlers Oleg Senzow
    Menschen fordern die Freilassung von Oleg Sentsow (imago stock&people / Sergii Kharchenkow)
    Der Fußball aber schweigt
    Alexander Tscherkassow von der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial verfolgt das Schicksal von Sentsow mit großer Sorge.
    "Es sind schlechte Haftbedingungen und jetzt hat er noch sehr viel Gewicht verloren. Es wurde aber weder von der russischen Seite Beachtung geschenkt, noch von der FIFA oder von westlichen Politikern, die wegen der WM nach Russland gekommen sind. Stattdessen hat der Sport systematisch mit Russland zusammengearbeitet. Aber diese Zusammenarbeit wurde nicht dafür genutzt, um im Sinne der Menschenrechte zu handeln."
    Der Fußball aber schweigt. Heute merkte Gianni Infantino auf der Pressekonferenz der FIFA zum Thema Menschenrechte in Russland lapidar an, dass es Ungerechtigkeiten überall in der Welt gäbe. Das Statement des FIFA-Präsidenten ausgerechnet am Tag von Sentsows Geburtstag.
    FIFA-Präsident Gianni Infantino bei der WM-Abschluss-Pressekonferenz im Lushniki Stadion in Moskau. 
    FIFA-Präsident Gianni Infantino auf der Pressekonferenz: "Ungerechtigkeiten gibt es überall in der Welt." (imago sportfotodienst)
    Infantino gibt weiter Putins willfährigen Helfer.
    Alisa Ganieva ist bei diesen Aussagen fassungslos. Sie ist eine Teilnehmerin von wenigen, die sich trauen, am Freitag für Sentsows Freilassung in Moskau auf die Straße zu gehen. Sie riskiert viel.
    Demo als Spaziergang deklariert
    "Hier in Moskau dürfen wir leider nicht demonstrieren oder öffentlich politische Meinung äußern. Jegliche öffentliche Aktionen zur Unterstützung von politischen Gefangenen sind verboten. Wir haben beschlossen, diese Aktion als einen Spaziergang durchzuführen, zum Geburtstag von Oleg Sentsow."
    Russische Sicherheitsbehörden hatten während der WM immer wieder versucht, Demonstrationen für Sentsows Freilassung zu verhindern. Teilnehmer wurden festgenommen. Auch in Moskau ist die Polizei bei dem Spaziergang zum Geburtstag von Oleg Sentsow immer vor Ort. Sie beobachtet genau alle Teilnehmer, circa 15 sind gekommen.
    Einer der Teilnehmer, Konstantin, erzählt, warum es für ihn dennoch so wichtig ist, heute hier zu sein:
    "Ich bin hier um Oleg Sentsow zu unterstützen und die anderen politischen Gefangenen, für die er in Hungerstreik getreten ist vor 61 Tagen. Oleg hungert nicht nur für die politischen Gefangenen, sondern für uns alle und zeigt was es heißt, ein freier Mensch zu sein und was es heißt, Ungerechtigkeit nicht einfach hinzunehmen - was es heißt, keine Angst zu haben."
    Sentsows Mutter wandte sich nun zum ersten Mal an Präsident Putin persönlich und bat ihn in einem Brief ihren Sohn zu begnadigen. Sentsow selbst hatte diese Option bisher abgelehnt.