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Fussball-WM in Brasilien
Zwanziger: Keine Alternative zu Blatter

Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger hat die Fußball-WM in Brasilien als gelungen bezeichnet und den stark kritisierten Weltfußballverband FIFA gelobt. Der FIFA sei es gelungen, das Turnier organisatorisch glänzend durchzuziehen, sagte er im Interview der Woche des DLF. Zum umstrittenen Präsidenten des Verbandes, Joseph Blatter, sieht er aktuell keine Alternative.

Theo Zwanziger im Gespräch mit Moritz Küpper | 13.07.2014
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    Theo Zwanziger, Mitglied der FIFA-Exekutive sowie ehemaliger DFB-Präsident, im Interview der Woche. (Deutschlandradio / Hans Meikis)
    Moritz Küpper: Herr Zwanziger, Sie sind FIFA-Exekutivmitglied und ehemaliger DFB-Präsident. Viele Leute werden sich wundern, werden sich fragen, warum Sie an diesem Wochenende nicht in Brasilien beim Endspiel der Fußballweltmeisterschaft sind?
    Theo Zwanziger: Ja, das kann ich gut verstehen. Weil alle, die das fragen, haben Erlebnisse dieser Art vor Ort noch nicht gehabt. Das ist bei mir natürlich über viele, viele Jahre der Fall gewesen. 1998 beginnend und danach mit dem einmaligen Höhepunkt der WM 2006 im eigenen Land. Danach dann Österreich und die Schweiz, Südafrika und auch noch mal Polen und Ukraine. Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich liebe das Kleine, ich liebe ein Stück - wieder - Geborgenheit, Familie und Freunde. Und ich habe es vorgezogen, mir am Fernseher und mit Freunden diese Spiele anzusehen. Man wird ja nicht jünger.
    Küpper: Wie ist denn Ihr Eindruck von dem Turnier? Sie waren zu Beginn dort, bei der FIFA Exekutivsitzung, sind dann aber vor dem ersten Spiel, glaube ich, zurückgeflogen?
    Zwanziger: Ich war dort bis zum Kongress und bin dann zurückgeflogen. Ich habe also von Brasilien selbst sehr wenig mitbekommen. Ich kenne natürlich die Abläufe bei solchen Turnieren. Das ist, wenn du dort als Offizieller da bist, auch sehr langweilig. Ich muss das offen sagen. Es wird ja nicht nur gespielt, sondern man hat ja auch Tage, an denen man dann durch viele Reisen, viele Flüge einige Strapazen erleben muss. Generell kann ich sagen, was das Turnier betrifft, es hat ja sehr viel Kritik gegeben vor dem Turnier. Es hat Kritik gegeben an der FIFA, an Brasilien, an dem Land Brasilien und es gab Demonstrationen, auch beim Confederations Cup. Ich habe immer schon erwartet, dass die Organisation des Turniers stimmen wird. Die FIFA ist eine hochprofessionelle Organisation, die in der Lage ist, ein solches WM-Turnier in der Tat organisatorisch glänzend durchzuziehen. Das ist auch diesmal gelungen. Ich habe auch erwartet, dass die Demonstrationen, die es vorher gab - die ja nicht nur mit der FIFA zu tun haben, sondern die im Grunde genommen für die Menschen auch ein Ventil dafür sind, auf Missstände hinzuweisen, die es in ihrem Land gibt -, dass sie während des Turniers ein Stück verschwinden. Aber mir ist wichtig, dass wir jetzt nicht die Augen verschließen und sagen: 'Es ist alles wunderbar, das ist alles gut'. Nein, das ist es nicht! Sondern man muss schauen, dass das, was dort von den Menschen artikuliert wurde - gegen die FIFA, aber auch gegen soziale Missstände in Brasilien -, dass das auch nachgearbeitet wird und dass man daraus lernt. Und dass man für die Zukunft etwas sensibler möglicherweise mit der Vergabe von Weltmeisterschaften umgeht. Sportlich bin ich glücklich. Das Turnier - denke ich - ist insgesamt sportlich ein sehr starkes Turnier. Ich habe eine ganze Reihe von Spielen gesehen - es gab bessere, es gab schlechtere, das ist immer so. Und natürlich überragt die Deutsche Mannschaft mit diesem großartigen Jahrhundertspiel im Halbfinale alles. Und jetzt hoffen wir mal heute Abend darauf, dass das alles auch gut geht und dass nicht ausgerechnet die Unwägbarkeiten, die es im Fußball geben soll, eintreten - und das haben wir ja selbst schon erlebt. Wenn ich an unseren ersten Titel zurückdenke, da waren die Ungarn auch vorher schon Weltmeister - 1954 - und dann wurden wir es. Ich will nicht unken, nein. Ich glaube und vertraue dieser deutschen Mannschaft. Und ich denke von daher: Wir sind dran! Und das wäre natürlich die Krönung für eine großartige junge Fußballgeneration, die wir in Deutschland haben.
    Mayer-Vorfelder hat das umgedreht
    Küpper: Sie kennen alle Protagonisten - Sie haben es auch angesprochen -, eine junge Fußballgeneration. Vor zehn Jahren, 2004 bei der Europameisterschaft, da gab es das Aus in der Vorrunde. Da war sozusagen vielleicht so etwas wie der "Tiefpunkt" des deutschen Fußballs. Da wurden dann die ganzen Leistungszentren - ein bisschen vorher schon - entwickelt. Da wurde diese junge Fußballergeneration sozusagen geboren. Wer hat denn den größten Anteil an diesem jetzt doch bis jetzt schon tollen sportlichen Erfolg?
    Zwanziger: Es gibt bei solchen Dingen immer viele, die einen Anteil daran haben. Aber ich sage ganz offen hier einen Namen, der in Deutschland nicht immer so hoch angesehen war, das ist mein Vorgänger Gerhard Mayer-Vorfelder gewesen. Er hat schon 2000 beginnend aus den immer schwächer werdenden Spielen der 90er Weltmeister, die uns ja noch lange getragen haben, bis zur EM '96 in England zum …
    Küpper: … Dem Titelgewinn damals?
    Zwanziger: Damals dem Titelgewinn. Und wir haben immer geglaubt: 'Wer will uns denn noch schlagen?!' Selbst der beste und herausragendste aller Fußballer, der die Weisheiten in Deutschland verkündet - unser Franz Beckenbauer - hat gesagt: "Ja, jetzt ist die DDR noch bei uns, wer will uns denn noch schlagen?!" Und genau so haben wir die Nachwuchsförderung in den 90er Jahren gemacht. Wir haben den Blick dort nicht hingerichtet. Und Mayer-Vorfelder hat das umgedreht. Mit großer und energischer, auch wirtschaftlicher Kraftanstrengung des DFB. Die Spardosen wurden etwas geöffnet. Die Liga wurde voll mit hineingenommen. Und so sind diese Leistungszentren entwickelt worden. Es ist ein Nachwuchsförderkonzept mit 390 Stützpunkten ermittelt worden, wo die Kinder und Jugendlichen von der Basis her praktisch mit elf Jahren schon in eine verbesserte, verstärkte, individuelle Ausbildung gebracht wurden. Das alles hat dazu geführt, dass Deutschland wieder konkurrenzfähig wurde, dass wir in den Jahren danach immer dichter an die Titel herankamen, ins Halbfinale kamen. Und deshalb sage ich ganz offen: Neben vielen anderen, die da mitgearbeitet haben, war das die Initialzündung, die man nicht vergessen darf, wenn man heute - ich hoffe - die Früchte dieses Erfolges dann auch ernten kann. Dazu kommt natürlich die Trainerauswahl. Wir haben Jogi Löw 2006 verpflichtet - Wolfgang Niersbach und ich - und haben, ich denke, immer an ihm festgehalten und waren davon überzeugt, dass er für diese Spieler der richtige Trainer ist.
    Küpper: Wie hoch ist sein Anteil?
    Zwanziger: Ja, das ist natürlich das Entscheidende zum Schluss mit der Mannschaft. Funktionäre und ein Verband können ja nur daran arbeiten, dass man eine möglichst große Auswahl von Spielern hat, die in der Lage sind, als Elitespieler solche Titel zu holen. Aber Fußball ist absolut unwägbar. Eine Mannschaft zu formen, das setzt einen Weltklassetrainer voraus und Kontinuität. Das war ein, denke ich mal, Erfolgsmodell, das 2004 damals zum DFB geholt wurde.
    Küpper: Dennoch gab es während dieses Turniers auch immer wieder Kritik am Bundestrainer - trotz dieser ganzen Erfolgte, trotz des Weiterkommens in jeder K. O.-Runde bisher?
    Zwanziger: Also wer in dieser Rolle ist, der muss auch mit Kritik umgehen können. Das kann er auch, das ist doch klar. Es gibt in Deutschland - na ja - ich will nicht sagen 80 Millionen, aber bestimmt 40 Millionen Bundestrainer, und jeder weiß es besser. Das ist das Ergebnis dieses einfachen Spiels. Und deshalb ist das nicht schlimm. Und ich bin sicher, damit kann er auch umgehen.
    Küpper: Der Bundestrainer hat einen Vertrag bis 2016. Er hat noch offengelassen, wie es sozusagen nach diesem Turnier weiter geht. 2016, das wäre die Europameisterschaft in Frankreich. Glauben Sie … wie ist Ihr Gefühl - Sie kennen Ihn …?
    Zwanziger: Mein Kontakt ist natürlich jetzt aus letzter Zeit nicht mehr so intensiv. Also Jogi Löw - in der Zeit, als ich öfter mit ihm zusammen war - war für mich immer ein absolut charakterstarker Mann, der allerdings auch manchmal sehr Bedenkzeit braucht, um zu überlegen, und dann schnell entscheidet. Also er braucht immer so ein paar Tage. Er hat, wenn ein Turnier ansteht, immer den Fokus ausschließlich auf das Turnier. Ich habe das ja 2012 auch erlebt. Da hatten wir keinen Vertrag, der war vorher gescheitert. Aber er hat immer gesagt: "Jetzt mache ich das Turnier, und wenn wir erfolgreich rauskommen, entscheide ich in wenigen Tagen." Das hat er dann auch eingehalten und hat die Perspektive gesehen, die ich auch gesehen habe, und hat sich verpflichtet. So ist das auch jetzt. Natürlich ist er auch Vertragstreu. Man hat nun diesen Vertrag bis 2016 gemacht. Das ist immer eine Sache, wo du nie weißt, ob du richtig liegst, vor einem Turnier zu verlängern oder nicht zu verlängern. Ich glaube schon, dass wenn er Weltmeister wird, er natürlich auch gigantische Angebote bekommen wird - das ist mir ganz klar. Die bekommt er auch so vielleicht schon. Und dann wird er abwägen müssen - er ist ja jetzt auch 50 Jahre alt -: 'Wie soll meine weitere Trainerlaufbahn aussehen?' Unabhängig davon, wie er sich entscheidet: Er hat in diesen zehn Jahren, in denen er beim DFB ist, Großes geleistet.
    Skandale sind ein systemimmanenter Vorgang
    Küpper: Wir haben jetzt schon ein wenig das Turnier bilanziert, natürlich mit dem Schwerpunkt der deutschen Mannschaft. Zu diesem Turnier gehört aber auch ein Ticketskandal, den Sie auch aus der Ferne mitgekommen haben. Sie sind jetzt nicht Gastgeber, aber Sie sind als FIFA natürlich so etwas wie Veranstalter. Es gibt in Deutschland gefühlt eine Euphorie, was den Fußball angeht, aber eine Antipathie gegenüber der FIFA, wo sich beide Seiten, glaube ich, die Waage halten in dem Ausmaß.
    Zwanziger: Ja gut, das ist halt oft und immer so, dass die Spieler und die Trainer und die Sportler - das ist ja auch gut so - die Helden sind. Wenn sie gewinnen. Wenn sie verlieren, sind sie es auch nicht mehr. Diejenigen, die organisatorische und wirtschaftliche Vorarbeiten leisten, das sind diese berühmten "alten Funktionäre", die man nicht mag.
    Küpper: Aber nichts desto Trotz gab es jetzt in Brasilien ja wirklich konkrete Ermittlungen.
    Zwanziger: Ich komme ja darauf zurück. Die hat es aber in Deutschland auch gegeben. Ich will darauf hinweisen. Es gab strafrechtliche Ermittlungen in Deutschland bei der WM 2006, weil es auch dort einen Ticketskandal gegeben hat. Der ist vielleicht nicht ganz so öffentlich geworden, aber den gab es. Und das hängt ganz einfach mit Folgendem zusammen: Diese Tickets sind - so teuer sie auch für den normalen Bürger erscheinen mögen - natürlich unglaublich subventioniert. Es gibt Leute, die geben fünfstellige Beträge für eine Karte irgendwo in einem Halbfinale. Und von daher ist natürlich die Versuchung groß von Menschen, die im Besitz dieser Tickets oder einer größeren Zahl sind, durch unlautere Geschäfte an Geld zu kommen. Das lässt sich im Grunde von daher überhaupt nicht vermeiden. Man hat sehr, sehr viele Sicherheitsvorkehrungen getroffen, aber wo Geld ist, ist auch Korruption. Und im Fußball, und besonders beim Tickethandel für dieses WM-Turnier, gibt es sehr viel Geld und damit auch Versuche, damit unlautere Geschäfte zu machen. Das wird auch bei späteren WMs nicht anders sein.
    Küpper: Das heißt, diese Skandale und Skandälchen, oder anders herum, sind systemimmanent?
    Zwanziger: In der Tat, das ist ein systemimmanenter Vorgang, der damit zusammenhängt, dass hier unglaubliche wirtschaftliche, emotionale, sportliche, mediale Geschehensweisen aufeinandertreffen und - ja - dann zum Teil einen Top erreichen, wie man das sonst nirgends gewohnt ist. Und da gibt es halt die menschlichen Versuchungen, die dort stattfinden. Da gibt es Menschen, die dort Verantwortung haben, die die Verantwortung missbrauchen und auf diese Art und Weise natürlich eine ganze Organisation in Verruf bringen. Ich kann ausdrücklich sagen: Ich kenne inzwischen unglaubliche viele FIFA-Mitarbeiter, denen tut man unrecht. Das sind ganz professionelle, hochkarätige, gute Menschen, die für die FIFA ein solches Turnier organisieren. Und die Tatsache, dass da wieder einmal etwas schief gelaufen sein könnte, hängt mit dem System ein Stück zusammen und natürlich auch mit dem Fehlverhalten von Menschen. Aber ich wehre mich ein bisschen dagegen, daran nun das gesamte Image der FIFA damit zu beleuchten.
    Küpper: Dennoch ist die FIFA ja ein Stück weit auch selber Schuld an ihrem Image. Es ist auf der einen Seite ein milliardenschwerer, ja, Konzern kann man jetzt nicht sagen, weil es als ein Verein mehr oder weniger organisiert ist. Nichts desto Trotz ist es ein doch milliardenschwerer Konzern, der gewisse Entscheidungen in den letzten Jahren getroffen hat, die für die breite Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar sind. Ich spreche die WM-Vergaben an. Russland 2018 jetzt nicht unbedingt, aber dann Katar 2022, die beiden kommenden Weltmeisterschaften. Das wird sicherlich nach dieser WM dann auch wieder Thema werden. Insofern, das klingt jetzt so ein bisschen, als wäre es ein systemimmanenter Fehler, 'die FIFA könne nichts dafür, dass sie so ein schlechtes Image hat'?
    Zwanziger: Nein, die FIFA und jeder andere kann immer ein Stück dafür, was er für ein Image hat. Natürlich muss es Ursachen gegeben haben, die dazu führen. Aber ich muss sagen, das Image der FIFA ist natürlich gerade in Europa seit 1998 relativ schlecht, als es damals eine Kandidatur von Blatter gegen Lennart Johansson gab. Und von daher war natürlich insgesamt …
    Küpper: … Blatters erste Kandidatur damals.
    Zwanziger: Seine erste Kandidatur. Und da war natürlich schon von vorne herein ein Verhältnis entstanden: Europa gegen den Rest der Welt! Das muss man so sagen. Das ist bis heute nicht behoben. Das Image der FIFA ist nicht überall in der Welt so, wie es hier in Europa dargestellt wird. Ich komme auf den Punkt zurück, den Sie ansprechen. Natürlich war das, was 2010 im Dezember passiert ist, eine Katastrophe für den Fußball und auch eine Katastrophe für das Image der FIFA. Du kannst alles das, was auch gut geleistet wird, weltweit mit vielen Entwicklungsmaßnahmen, mit Trainerausbildung, mit Frauenfußball, mit Engagement in Ländern, wo im Grund kein Geld ist - Afrika, Asien -, wo man unglaublich viel getan hat, das kannst du einfach nicht mehr rüberbringen, sondern alles konzentriert sich auf das Fehlverhalten, eine WM nach Katar zu vergeben. Das kann der normale Fußballer nicht begreifen. Und da ich mich immer noch zu den normalen Fußballern rechne, kann ich das auch nicht begreifen. Ich habe das von Anfang an gesagt: Das ist undenkbar, ein Land, das halb so groß ist wie Hessen, mit einer Fußballweltmeisterschaft zu betrauen. Unabhängig davon, ob es in dem Zusammenhang Korruption gegeben hat, ist eine Stimme für Katar für mich ein undenkbarer Vorgang gewesen. Und da muss ich natürlich auch leider sagen: Es ist heute klar, dass Blatter nicht für Katar gestimmt hat. Das heißt, mit ihm wird das auch sehr stark aufgemacht. Es haben Europäer für Katar gestimmt. Und das sollte bei der …
    Küpper: … 14 Stimmen gab es, glaube ich?
    Zwanziger: Die Entscheidung ist 14:8 ausgegangen. Und bei diesen 14 Stimmen geht man heute davon aus - einer hat ja sich dazu gekannt …
    Küpper: … Michel Platini, der UEFA-Präsident.
    Zwanziger: Michel Platini, der UEFA-Präsident. Und gut, die Begründung, die er dafür abgibt … ich kann sie akzeptieren, aber ich halte sie für falsch. Das muss ich deutlich sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er eine Europameisterschaft im Fußball nach Luxemburg vergeben würde.
    Küpper: Sehen Sie da eine gewisse Doppelmoral, auch hinsichtlich des DFB? Jetzt ist das Verhältnis natürlich etwas schwierig, aber der DFB steht ja eng an der Seite von Michel Platini?
    Zwanziger: Dagegen ist ja grundsätzlich nichts einzuwenden. Der DFB hat - das muss man deutlich sagen - Blatter 2007 zu seinem Ehrenmitglied gemacht. Da waren alle die, die auch heute noch in der Verantwortung des DFB tätig sind - also der Präsident und der Ligapräsident und alle - aktiv daran beteiligt.
    Ich rücke auch heute nicht von ihm ab
    Küpper: Sie auch?
    Zwanziger: Ich natürlich auch, ja, ganz klar! Aber ich rücke auch heute nicht so weit von ihm ab, weil ich sehe, dass diese Entscheidung von 2010 - Katar in erster Linie - nicht an ihm aufgemacht werden kann. Und ich erwarte einfach von denen, die da zu Recht Kritik üben - die Deutschen haben an der Katar-Entscheidung immer Kritik geübt, Wolfgang Niersbach übt bis heute Kritik daran -, aber dann kann man …
    Küpper: … Dennoch fahren die Bundesligavereine ins Trainingslager dorthin?
    Zwanziger: Das ist dann diese Doppelmoral, die ich sehe: Dann dort hin fahren, sich einladen lassen … und 'sie haben auch all diese Missstände im Umgang mit Menschen, mit Arbeitern nicht gesehen und nicht zur Kenntnis genommen'. Das spielt dann alles keine Rolle mehr. Und da sage ich ganz offen: Das ist ein bisschen das, was mir an dem Fußball nicht gefällt. Von daher trifft es eigentlich alle ein Stück, diese "Verantwortung Katar". Und wir werden jetzt abzuwarten haben, was die unabhängige Untersuchung ergibt.
    Küpper: Sie haben es gerade eben gesagt, die unabhängige Untersuchung wird jetzt in den nächsten Tagen, vielleicht Wochen - das weiß man nicht so genau - veröffentlicht werden. Michael Garcia, der Chefermittler, ist unterwegs. Es geht um Korruption, vor allem hinsichtlich der Entscheidung Katar. Aber es war ja eine Doppelvergabe mit Russland, insofern wird man das wahrscheinlich alles nicht so genau voneinander trennen können. Was erwarten Sie von diesem Report?
    Zwanziger: Also das war ja einer der entscheidenden Fehler bei der Vergabe dieser Weltmeisterschaft, dass man an einer Sitzung zwei WMs vergeben hat. Also das war natürlich eine Aufforderung, im Grunde genommen, miteinander zu reden: 'Wenn ich dir was gebe, gibst du mir was!' Was erwarte ich von dem Report? Die Wahrheit - soweit das möglich ist -, unabhängig von Personen, die betroffen sein können. Nur durch eine glaubwürdige Untersuchung, die den Menschen, die den Fußball lieben deutlich macht: Entweder es war nichts, was geahndet werden kann, es war halt nur eine Fehlentscheidung, oder es hat in der Tat Verstöße gegen den Ethik-Kodex der FIFA gegeben - den es ja seit 2009 dort schon gibt.
    Küpper: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Zu Gast ist Theo Zwanziger, der ehemalige DFB-Präsident und heutiges Mitglied der FIFA-Exekutive. Herr Zwanziger, Sie haben gerade eben gesagt, dass Sie nicht so weit abrücken wollen von Sepp Blatter. Jetzt gibt es im Weltfußball wahrscheinlich wenig Menschen, die so ein negatives Image haben wie Sepp Blatter. Er selber hat jetzt angekündigt, 2015 - nächstes Jahr -, sich noch einmal wählen lassen zu wollen. Würden Sie sagen, dass es gut wäre für den Weltfußball, wenn Sepp Blatter noch einmal gewählt werden würde?
    Zwanziger: Ich sehe das so: Abrücken oder Zurücken, für mich ist das immer alles eine Frage der Gerechtigkeit und der Kenntnis der Fakten. Das schlechte Image wird natürlich zum Teil auch gemacht. Es gibt insbesondere von den englischen Medien zum Teil auch Vorwürfe, die schlicht und einfach unberechtigt sind. Und das alles hat natürlich auch Image gemacht. Blatter hat natürlich auch Fehler gemacht in dieser Zeit, seit 1998. Aber er hat die FIFA …
    Küpper: … Welche? Außer der Doppelvergabe?
    Zwanziger: Ja gut, er hat sicherlich, die Entwicklungen … Doppelvergabe, da ist er nicht für verantwortlich, um das noch mal klar zu sagen. Das ist nicht seine eigene Verantwortung. Das waren insgesamt 22 Leute, die abgestimmt haben.
    Küpper: Aber als Präsident ist man natürlich schon verantwortlich.
    Zwanziger: Als Präsident hat er natürlich in dieser Zeit, insbesondere in Folge des ISL-Skandals, als die FIFA ja fast bankrott war, gewusst oder wissen müssen, dass es in seinen Reihen, auch in diesem FIFA ExCo Menschen gab, die die Moral und die Ethik, die FIFA ja gerne "For the good of the game" nennt und das alles vorgibt, nicht einhalten.
    Küpper: Also die der Korruption überführt wurden?
    Zwanziger: Zum Teil. Zum damaligen Zeitpunkt noch nicht, erst später. Und das haben wir ja auch durch die neuen Entscheidungen von Garcia erleben können, dass einige dann entfernt wurden. Und das ist natürlich das, was auch mit einem Präsidenten anheim geht, wenn er in seiner Organisation Leute dieser Art hat. Ihm selbst ist nie - obwohl er Schweizer ist und die Schweizer Staatsanwaltschaft als eine sehr, sehr energische Staatsanwaltschaft gilt - ein strafrechtliches Verhalten, trotz vieler Durchsuchungen des FIFA-Gebäudes, nachgewiesen worden. Das muss man auf der anderen Seite sehen. Nein, ich gehöre zu den Menschen, die versuchen anhand der Fakten, die mir gekannt sind, gerechte Bewertungen zu treffen. Und ich lasse mich nicht von diesen populistischen Strömungen leiten, auch wenn das nicht immer ganz leicht oder angenehm ist. Und deshalb bleibe ich dabei: Die Entscheidung - das war ja Ihre Frage -, dass er wieder kandidiert im nächsten Jahr, ist natürlich seine Eigene. Und ob es für die FIFA …
    Küpper: … Die hat er ja getroffen?
    Jérôme Champagne ist vielleicht auch ein Mann für später
    Zwanziger: … gut ist oder schlecht ist, kann ich ja erst beantworten, wenn es einen Gegenkandidaten gibt. Was wollen sie denn sagen? Im Moment hat sich noch keiner gemeldet, außer einem.
    Küpper: Jérôme Champagne.
    Zwanziger: Jérôme Champagne. Ein exzellenter Mann - muss ich ausdrücklich sagen. Ein exzellenter Mann, der aber bisher über keinerlei Unterstützung aus den Verbänden verfügt. Wie wollen sie Präsident der FIFA werden bei 209 Verbänden, wenn sie noch nicht einmal das erfüllen. Aber ich schätze den sehr. Ich kenne ihn ganz gut. Das ist ein Mann … vielleicht auch ein Mann für später.
    Küpper: Jetzt wollen wir noch mal ganz kurz zurückkommen. Wir haben gerade ganz ausführlich über Katar gesprochen, aber 2018 steht ja erst mal ein weiteres WM-Turnier an. Heute Abend, bei dem Finale im Stadion, wird auch Wladimir Putin zu Gast sein. Wir kennen alle die Situation in Russland und den Konflikt mit der Ukraine. Natürlich ist das jetzt alles noch Zukunftsmusik. Nichts desto Trotz ab dem Abpfiff des Finales heute werden sich alle Blicken richten auf das nächste WM-Turnier, was eben in diesem Land stattfindet. Lässt sich der Fußball in diesem Sinne dann auch vor die "Karre" Putins spannen, um es salopp zu formulieren?
    Zwanziger: Da wäre ich sehr traurig, das muss ich ganz offen sagen. Ich habe ja in der Vergangenheit schon öfter etwas mahnend den Zeigefinger gehoben, doch die gesellschaftliche Kraft des Fußballs, gerade bei solchen Turnieren, auch stärker zu nutzen und darauf hinzuweisen, dass ein ganz wichtiges Prinzip des Fußballs auch ist, weltumspannend keine Diskriminierung zu akzeptieren. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Rassismus und auch sexuelle Orientierungen, das sind Entscheidungen, die gehen den Staat dort nichts an. Gegen Rassismus müssen wir kämpfen und uns wehren! Und ich habe das im Zusammenhang mit Sotschi gesagt. Natürlich muss der Fußball den Respekt vor dem Staatschef des Gastgeberlandes haben. Also sie können einen Präsidenten nicht durch den Sport ausgrenzen. Das geht nicht. Das heißt also, dass man mit Putin spricht und dass man auch bei der Eröffnung der Spiele sich mit Putin zeigt. Das wird nicht anders gehen, das ist halt so. Aber es gibt doch überall dort auch Menschen, die verfolgt werden. Es gibt Menschen, die diskriminiert werden. Und da sage ich mir: Warum trifft sich dann die Spitze des Sports nicht auch mal mit diesen Menschen? Man muss doch nicht immer nur die mächtige Seite sehen, sondern man muss auch die Seite der Ohnmächtigen sehen und der manchmal Verzweifelten und diesen Menschen ein Gesicht geben. Das könnte der Sport machen.
    Küpper: Weil das in die Hochglanzwelt des Sports nicht mehr passt.
    Zwanziger: Ja, aber das ist schade. Wenn das so ist, wäre das wirklich sehr bedauerlich. Das ist das, was ich sage, das ist die Aufgabe des Sports in dieser Welt, wenn diese Turniere wirklich einen Sinn haben. Ich bin gegen Boykotts, sondern ich bin dafür, dass man die Chance nutzt, in diesen Ländern dann auch zu zeigen, indem man mit anderen spricht, die anders denken und ihnen Mut macht, ihnen ein Gesicht gibt und sagt: 'Jawohl, habt ein Stück Hoffnung!' Wie in der Ukraine - warum hat man sich nicht bei der Europameisterschaft mal mit Klitschko getroffen? Der ja damals schon einer der Leute des Majdan waren, wenn man das so sagen darf. Das wäre ein riesen Medienereignis gewesen - die Medien nehmen das doch gerne auf. Sie zeigen eben dann auch, dass der Sport eben nicht nur bei den Mächtigen steht, sondern dass er die Chance nutzt, den Ohnmächtigen Kraft zu geben, auch eine Entwicklung einzuleiten, die zu mehr Demokratie und mehr Menschenwürde führen kann. Und das ist das, was ich auch vom Fußball dann 2018 erwarten würde.
    Küpper: Herr Zwanziger, wir haben viel in diesem Interview der Woche über die FIFA gesprochen, über das Turnier in Brasilien, über die Entwicklungen im Fußball. Jetzt hat dieses Turnier in Brasilien damit begonnen, dass Sie sich mit Ihrem Vorgänger eine - ja, ich will es jetzt mal sagen - mediale Schlammschlacht geliefert haben. Wie konnte es so weit kommen, dass das Verhältnis scheinbar - zumindest nach außen hin - zerrüttet ist?
    Zwanziger: Gut, das hängt eigentlich damit zusammen, dass wir am Ende meiner Amtszeit in einer Frage, die für Wolfgang Niersbach sehr bestimmend war, unterschiedlicher Meinung gewesen sind. Das muss man sagen.
    Küpper: Welche Frage war das?
    Zwanziger: Es ging um die Vergütung eines ehrenamtlichen Präsidenten. Da habe ich sehr restriktive Auffassungen. Und bei ihm war das …
    Küpper: … Welche sind das?
    Zwanziger: Ja, das, was in der Satzung steht: Eine Aufwandsentschädigung und damit ist es gut. Und Wolfgang Niersbach war natürlich in einer besonderen Situation damals. Die wollte ich lösen, indem man sich noch etwas Zeit nimmt und eine hauptamtliche Lösung einführt, was man durchaus vertreten könnte. Man hat es anders gelöst - das weiß ich jetzt. Und aus dieser Phase heraus ist natürlich unser vorher gutes Verhältnis distanzierter geworden. Das ist das Eine. Dass das jetzt kurz vor der WM ausgebrochen ist, hat mir am allermeisten Leid getan. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass ich da keine Interviews mehr geben darf. Also ich habe in der FAZ ein Interview gegeben, das sich mit der Frage "Sport und Politik" befasst hat. Das ist mein Thema seit ich im Sport bin, und das ist schon sehr, sehr lange. Ich habe immer den Sport unter auch politischen Verhältnissen in einer Demokratie gesehen. Weil wenn die Zivilgesellschaft und der Sport sich aus der demokratischen Entwicklung eines Landes ausklammert ... so wie es in unseren Satzungen ja steht, dass wir gegen Diskriminierung zu kämpfen haben, dass wir für Integration einzustehen haben, dann muss man das auch zeigen. Und in einem solchen Interview, das mir sehr, sehr viele positive Nachrichten gebracht hat, von wirklich auch wichtigen Leuten in unserer Gesellschaft, wenn man dann da so darauf reagiert, wie darauf reagiert worden ist, bis hin dass man sagt: "Jetzt muss er aber bei der FIFA zurücktreten", was hat das damit zu tun? Ich habe in diesen drei Jahren Arbeit bei der FIFA geleistet - das sage ich mal ganz deutlich -, wie kaum ein anderer Deutscher vorher. Ich habe mich in diesen Reformprozess hineingeklinkt. Ich habe mich für Menschenrechte in Katar eingesetzt. Und dann kann ich doch nicht, weil ich ein Interview in der FAZ gegeben habe, mich anschließend dann zum Rücktritt auffordern lassen. Das passt nicht. Und da kann man drehen, wenden und tun was man will, das wird man nur mit mir nicht machen können.
    Küpper: Theo Zwanziger, vielen Dank.
    Zwanziger: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.