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Fußball-WM
"Kein Boykottaufruf"

England und Island haben sich nach dem Anschlag auf den Spion Skripal für einen politischen Boykott der Fußball-WM entschieden, also keine politischen Termine und Besuche. Wie hält es die deutsche Politik? Wir haben die Bundestagsfraktionen gefragt, was sie konkret planen und für richtig halten.

Von Jessica Sturmberg | 02.06.2018
    Katrin Göring-Eckardt, Vorsitzende der Bundestagsfraktion B'90/Grüne
    Katrin Göring-Eckardt, Vorsitzende der Bundestagsfraktion B'90/Grüne im Deutschlandfunk (Bettina Fuerst-Fastre/dlf)
    In 12 Tagen beginnt die Fußball-WM und die Frage drängt sich immer mehr auf, wie geht man mit dem Gastgeber Russland um? Die Syrien-Politik, die Annexion der Krim, die Unterstützung Aufständischer in der Ostukraine, mögliche Verstrickungen in Cyberangriffe, die Unterstützung rechtspopulistischer Parteien in Europa und nicht zuletzt die Frage des Umgangs mit Doping und den WADA-Ermittlungen.
    Keine der 6 Bundestagsfraktionen hat bisher zum Umgang mit der WM einen Beschluss gefasst, die meisten haben es auch noch nicht in den Fraktionen diskutiert. Das Thema ist ja auch nicht einfach: wie umgehen mit Gastgeber Russland? Erkennbar will keine der Parteien den Dialog abreißen lassen. So wird es wohl auch keinen politischen Boykott aus Deutschland geben.
    "Nicht zu Hochglanzterminen"
    Aber in der Art und Weise wie ein Dialog stattfinden soll, gibt es deutlich Unterschiede. Die klarste Abgrenzung zur russischen Führung kommt von den Grünen, Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sagte im DLF:
    "Es gibt keinen Boykottaufruf. Wir empfehlen nicht, dass man zu Hochglanzterminen nach Moskau fährt. Dass man sich ggf. Spiele anguckt, kann ich mir vorstellen, aber – Ausrufezeichen – das macht man, wenn man nach Moskau fährt nur dann, wenn man sich gleichzeitig mit den Leuten trifft, die dort bedroht sind, wenn man thematisiert, was es für Journalisten dort heißt, was es für Menschenrechtsorganisationen dort heißt und nur in dieser Verbindung."
    "Glaubwürdigkeit beschädigt"
    Grundsätzlich sollten alle Möglichkeiten für einen politischen Dialog und gegenseitige Verständigung genutzt werden, meint der sportpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eberhard Gienger. Gerade wenn die bilateralen sowie internationalen Beziehungen angespannt seien.
    Sein Fraktionskollege und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, ist zwar der Ansicht, dass sich Sportveranstaltungen nicht oder nur als letztes für politische Auseinandersetzungen eigneten, im Zusammenhang des Berichts zum Abschuss des Flugs MH17, die nach Erkenntnissen der Ermittler durch eine russische Rakete erfolgte, sagte er aber:
    "Russland beschädigt seine Reputation, auch seine Glaubwürdigkeit dadurch enorm und verliert auch an Würde, auch als Gastgeber. Ich bin trotzdem der Meinung, dass Sportereignisse, die nicht nur Sport sind, sondern natürlich auch immer Politik und Selbstdarstellung des Landes beinhalten, trotzdem erst ganz, ganz am Ende gesehen werden sollten."
    Der SPD-Politiker Thomas Oppermann, hier im Oktober 2017.
    Der SPD-Politiker Thomas Oppermann, hier im Oktober 2017. (dpa-Bildfunk / Bernd von Jutrczenka)
    Die SPD will es jedem Abgeordneten selbst überlassen, ob sie oder er nach Russland reisen will, es ist auch kein Beschluss dazu geplant. Bundestagsvizepräsident und Mitglied des FC Bundestag, Thomas Oppermann will selbst nicht zu einem Spiel fahren, er findet:
    "Man muss die Differenzen, die wir mit Russland haben, klar benennen, die Unterstützung Aufständischer in der Ostukraine, aber auch die Annexion der Krim, die Rolle, die Russland in Syrien spielt, mögliche Verstrickung in Cyberangriffe hier oder auch die Unterstützung von rechtspopulistischen Parteien in Europa – das alles geht gar nicht.
    Aber wir müssen auch gleichzeitig immer deutlich machen, dass wir wieder eine bessere Partnerschaft mit Russland wollen. Russland ist einer unserer wichtigsten Partner überhaupt."
    "Menschrechtlich harter Tobak"
    Die FDP-Fraktion wird einen möglichen politischen Boykott voraussichtlich kommende Woche besprechen, die sportpolitische Sprecherin Britta Dassler hat eine Reise nach Russland für sich ausgeschlossen. Bei einer Diskussionsveranstaltungen in Berlin zusammen mit DFB-Präsident Reinhard Grindel sagte sie, dass sie es gut finde, wenn die Fans aus aller Welt nach Russland fahren, auf die russische Bevölkerung treffen und Vorurteile abgebaut würden:
    "Über diese WM kommen sich die Menschen näher, man lernt sich kennen, aber trotzdem finde ich, was menschenrechtlich da in Russland auch innerpolitisch abläuft, das ist schon harter Tobak."
    "Boykott völlig daneben"
    In der Linksfraktion sind Boykottgedanken gar kein Thema, sagt Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion:
    "Ein Boykott ist wirklich völlig daneben, das steht überhaupt nicht auf der Agenda, sondern ich fände es gut, ein Zeichen dort auch bei der WM zu setzen, dass man Lust und die Notwendigkeit für Verständigung nutzt. Da hat in der Geschichte ja auch schon das eine oder andere Mal der Sport schon behilflich sein können."
    Nichts geplant
    Und von der AfD-Fraktion kam auf die Fragen ob darüber diskutiert, ein Beschluss oder Reisen geplant sind nur die Antwort: nein, das sei nicht geplant.
    Auch wenn es nicht nach politischem Boykott aussieht, ist doch bemerkenswert, dass bisher von keinem Abgeordneten und auch keinem Regierungsvertreter bekannt ist, dass eine offizielle Reise zu einem WM-Spiel geplant ist.
    "Ambivalentes Verhältnis zum Thema"
    Für Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte zeigt sich hier, dass der richtige Umgang mit Russland ein heikles Terrain für Politiker ist, gerade bei denjenigen, deren Anhängerschaft sensibel reagiert und ein kritisches Bild zu Russland hat. Die ansonsten sehr um die Macht der Bilder und der Aufmerksamkeit erpichten Politiker zeigten sich jetzt zurückhaltend. Denn:
    "Wir setzen eben darauf, dass die Abgeordneten so verantwortlich sind, dass sie mit diesem Mandat auch umgehen können, dass sie als freie Demokraten in ein Unrechtsregime reisen und sich dessen bewusst sind und die Qualität des Besuchs. Was sie daraus machen, werden sich Bürger beim Anblicken der Bilder auch merken und daraus ihre Konsequenzen für die kommende Wahl ziehen."
    Auf die eine oder andere Weise. Und da verlaufen die Linien nicht anhand von Parteigrenzen, sondern: "Das geht als Einstellung durch die Parteien hindurch, deswegen ist das auch ein sehr ambivalentes Verhältnis auch der Sportpolitiker jetzt zu diesem Thema."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht während der Generaldebatte im Bundestag
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht während der Generaldebatte im Bundestag (AFP / Tobias SCHWARZ)
    Für Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht Karl-Rudolf Korte, dass der Besuch im Stadion sich politisch nicht auszahlen würde.
    "Auf der Tribüne in Moskau oder in anderen Stadien hätte sie das Problem, dass optisch sie wahrscheinlich sehr nah bei russischen Führungsfiguren sitzen würde und die Kameraführung wäre für sie aus ihrer jetzigen Sicht eher hinderlich. Sie kann da offiziell hinfahren, mit ihm verhandeln, aber im Sinne eines Unterhaltungsbildes in der Nähe sitzend zu Putin wäre sicherlich schädlich für sie."
    "Keine Show für Putin"
    Während hingegen der Besuch im Trainingslager in Südtirol die Botschaft rüberbringt, die vermittelt werden soll – die leidenschaftliche Verbindung zu den Fußballspielern, die Übermittlung von Sieger-Aura.
    Die Gratwanderung zwischen ungehinderter Freude am Fußball und am WM-Turnier auf der einen, aber kritischer Distanz zu russischen Politik auf der anderen Seite, ist das, was Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt als richtiges Maß ansieht:
    "Ich finde, es sollte keine Show für Putin geben, deswegen nicht auf den roten Teppich mit Herrn Putin gemeinsam. Trotzdem können unsere Fußballer nun wirklich nichts dafür und deswegen möchte ich auch gerne, dass wir in Deutschland in diesen Tagen auch einfach nur fußballbegeistert sein können und wir als Politikerinnen und Politiker haben eine besondere Aufgabe – wir müssen nämlich beides miteinander verbinden."
    "Gespräche und Kontakte, die hilfreich sein können"
    So gibt es zwar bislang keine bekannten offiziellen WM-Reisen, was es aber gibt, ist ein Freundschafts-Fußballspiel des fraktionsübergreifenden FC Bundestag gegen den FC Duma, also russische Abgeordnete, am kommenden Freitag in Moskau. Mit dabei: Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann, der sich vor allem davon verspricht:
    "Wir machen beim Fußball ja auch immer eine dritte Halbzeit, da setzen wir uns nochmal auf ein Bier zusammen und mit einer Bratwurst und ich glaube, dass da Gespräche und Kontakte entstehen, die sehr hilfreich sein können auch über sehr komplizierte und konfliktbeladene Probleme zwischen Deutschland und Russland zu sprechen."
    "Eine Packung bezogen"
    Vor zehn Jahren gab es schon einmal ein solches Freundschaftsspiel, damals in Berlin und mit dem deutlich besseren Ende für das Team der Duma:
    "Da haben wir eine richtige Packung bezogen, ich glaube wir haben zweistellig verloren, aber bei der Duma haben auch ehemalige Profis mitgespielt. Wir haben signalisiert, dass wir Freizeitfußballer sind, dass unser Durchschnittsalter bei 50 liegt und dass wir nicht gegen eine Mannschaft spielen wollen, die sich mit ehemaligen Profis verstärkt hat."
    Denn bei allem fußballerischen Ehrgeiz soll es dieses Mal hauptsächlich um den gesellschaftlichen Austausch mit Hilfe des Sports gehen. Aber das ist auch wieder eine Frage, ob man sich da gleich versteht.
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