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Salvadors weiße WM

Die erste Hauptstadt Brasiliens gilt als eine der exotischsten Städte des Landes mit vielen afro-brasilianischen Gerichten und Traditionen. Es ist aber auch die Stadt, in der die sozialen Unterschiede zwischen Farbigen und Weißen in Brasilien besonders deutlich werden.

Von Carsten Upadek |
    Das Fonte Nova Stadion umgeben von Favelas
    Das Fonte Nova Stadion in Salvador da Bahia ist umgeben von Favelas. (Deutschlandfunk / Carsten Upadek)
    Die Trommler der Gruppe Olodum aus Salvador da Bahia sind berühmt, seit die Gruppe 1995 an Michael Jacksons Video "They don't care about us" mitgewirkt hat. In dieser Woche haben die farbigen Musiker im historischen Zentrum von Brasiliens alter Hauptstadt getrommelt – fürs Fernsehen und die zahlreichen ausländischen Besucher. Laut Polizei sind allein 8000 Deutsche gekommen, um beim Spiel gegen Portugal dabei zu sein. Die engen Gassen der Altstadt mit ihren barocken Kolonial-Häusern sind bunt geschmückt – schließlich ist das Weltkulturerbe um den Pelourinho-Platz Salvadors touristische Hauptattraktion: und der Besuch des ehemaligen Sklavenmarktes für die ausländischen Gäste vor allem eine große Party. "Ja, gute Stimmung, Brasilien spielt ja; gutes Wetter."
    "Es gibt ja schon eine historische Geschichte dazu, von der ich allerdings nichts Genaues weiß. "Hamilton Borges ist afro-brasilianischer Aktivist. Für ihn ist der Pelourinho ein Symbol für die Verbrechen gegen die versklavten und nach Brasilien verschleppten Afrikaner: "Es bedeutet Gewalt, Rassismus und Genozid! Und der Pelourinho bleibt weiterhin ein Ort der Gewalt, heute durch die Militärpolizei gegen Schwarze!"
    Hamilton Borges gehört zur Bewegung "Reagiere oder Du wirst sterben". Sie bezeichnet sich selbst als radikal, weil sie den brasilianischen Staat in Frage stellt als exklusive Nation für Weiße: "Die Gründung des brasilianischen Staates geschah durch die Weißen und sie haben bis heute alle Medien unter Kontrolle, den Reichtum, die Produktionswege und lassen den Schwarzen keinerlei soziale Mobilität. Das wird sich mit keiner Sozialpolitik ändern, nur mit einem anderen Staatsmodell."
    In die ehemalige portugiesische Kolonie wurden bis zu fünf Millionen Afrikaner verschleppt. Brasilien lieferte der Krone Zuckerrohr, Kaffee und wertvolle Mineralien wie Gold. Der Bedarf an Arbeitern war unersättlich. Erst 1888 wurde die Sklaverei verboten – die Freigelassenen aber nie wirklich in die Gesellschaft integriert. Sie gründeten Siedlungen in den Vororten und auf den Hügeln der Städte – der Grundstein für die Slums, die so genannten Favelas. Die Nachfahren der Sklaven machen heute mehr als die Hälfte der brasilianischen Bevölkerung aus. Aber nur jeder fünfte gehört zu den Besserverdienenden und den Hochschulabsolventen. Eine dunkle Hautfarbe bedeute meistens Armut, sagt Maura da Silva. "Soziale Ungleichheit zeigt sich in Salvador jeden Tag. Geh zu irgendeinem Ort in der Peripherie und vergleiche ihn mit Itaigara, wo der Quadratmeter mit am teuersten ist und Du wirst sehen, dass der Vergleich eine Farbe hat!"
    Maura da Silva sitzt auf dem Sofa ihrer Nachbarin. Sie ist Koordinatorin der Obdachlosenbewegung MSTB. Die Bewegung besteht zu 99 Prozent aus Farbigen, schätzt sie. Das Wohnzimmer der Nachbarin geht in die Küche über, mit Holzwänden sind zwei Zimmer abgetrennt. Die Fenster bestehen nur aus Rahmen. Acht Familien leben hier im Haus in einer Gasse oberhalb des Pelourinho-Platzes. Mit ihnen hat Sandra Coelho 2007 das Haus besetzt."Die Regierung bevorzugt, dass ein Gebäude vernagelt bleibt, als dass wir hier wohnen. Wir sollen lieber auf der Straße leben."
    Dabei stehen 1500 Gebäude im historischen Zentrum leer. Maura da Silva berichtet, dass sie für die WM zum Teil von innen gestützt und von außen frisch bepinselt wurden, um den schönen Schein zu wahren. "Das Defizit in Salvador an Wohnungen ist absurd, besonders im historischen Zentrum haben wir ein ernstes Problem. Die Häuser sind verriegelt und das seit Jahren. Sie haben keinen sozialen Nutzen."
    Es geht um Immobilienspekulation und Gentrifizierung. Die Stadt hat viel Geld in die Aufwertung ihres Touristenzentrums gesteckt. Mehrfach stand die Militärpolizei auch vor dem besetzten Haus von Sandra Coelho. Nur durch den Einfluss der starken Obdachlosenbewegung habe es keine Räumung gegeben, sagt sie. Von hier aus kann sie das einzige 5-Sterne-Hotel der Innenstadt sehen, ein ehemaliges Karmeliten-Kloster, 2005 eröffnet. "Sie haben gesagt, dass sie mindestens 30 Prozent der Anwohner anstellen würden. Jetzt arbeitet nicht einer dort, weil wir nicht ihr Profil erfüllen. Schwarze sind hier ausgeschlossen. Das historische Zentrum ist fast komplett von den Weißen übernommen."
    Maura da Silva sagt, das Salvador für die Besucher sei nicht das, in dem sie lebe. Hier seien die Obdachlosen vor der WM aus dem Blickfeld abtransportiert worden. Ihr Salvador belegt auf der Liste der Vereinten Nationen der gewalttätigsten Städte der Welt letztes Jahr Rang 13. Demnach wurden 2012 hier 2400 Menschen ermordet. Auf 100.000 Einwohner gerechnet liegt die Rate bei 31,4 – in Deutschland zum Vergleich bei 0,8. Das Profil ist meistens identisch: jung, arm – und farbig. Zwei von drei Ermordeten in Salvador haben eine dunkle Hautfarbe. Bei der Stadt nachfragt heißt es, die Gewalt sei ein gesamt-staatliches Problem. Aktivist Hamilton Borges vergleicht die Zahlen mit Krieg. Das Ziel seiner Bewegung: "Wir wollen einen Nationalkongress der schwarzen Bevölkerung Brasiliens und das Konzept der Nation neu definieren – eine Nation für alle."
    Auch für die brasilianische Nationalmannschaft hat er wenig Sympathie übrige – auch wenn die Mehrheit der Spieler farbig ist: "Das sind Schoko-Kekse mit Kokos-Füllung – Schwarze mit weißer Seele. Um etwas zu erreichen, musst Du Deine Herkunft verleugnen, Deine Geschichte, Deine Farbe, wer Du bist. Und die Probleme ignorieren. Ich habe kein bisschen Stolz."
    Stolz sei er auf den Italiener Mario Balotelli, der ohne Werbung ein Sozialprojekt in einer der ärmsten Gegenden von Salvador finanziell unterstütze. Auch Maura da Silva hat keine Lust, die Straße runter zur WM-Party am Pelourinho zu gehen: "Verstehst Du, wer bei dieser ganzen Party arbeitet? Wer schleppt das Bier ran, flechtet Haare, verkauft Fleischspieße? Schwarze. Wer hat Spaß? Weiße. Das ist Salvador da Bahia."