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Fußballer mit zwei Optionen

Kasachstan hat große sportliche Ambitionen. Lange soll das Land, das nur zu fünf Prozent in Osteuropa liegt, im Fußball nicht mehr hinterherlaufen, sagt der kasachische Präsident Nursultan Narsabajewsoll. Derzeit wird viel Geld investiert, gebraucht werden gut ausgebildete Fußballer aus Deutschland.

Von Robert Hunke | 26.03.2011
    Kasachstan. Ein fernes Land. Im Südosten grenzt die ehemalige Sowjetrepublik an China. Gerade mal fünf Prozent der Landesfläche liegen im östlichen Teil Europas. Das legitimiert den Staat an der EM-Qualifikation teilzunehmen. Doch das riesige Land will fußballerisch ran an Europa, am liebsten schon bei der übernächsten EM dabei sein. Am besten mit Talenten aus Deutschland. Heinrich Schmidtgal von Rot Weiß Oberhausen ist so ein Talent.

    25 Jahre alt ist der in Ostwestfalen aufgewachsene Flügelspieler. Dass Heinrich Schmidtgal, Sohn sogenannter Spätaussiedler, mit seiner Familie nach Deutschland kam als er zwei ist und seitdem nicht mehr in dem Land war, stört den kasachischen Fußballverband nicht. Im Herbst letzten Jahres gab der Zweitligaspieler sein Debüt, spielte gegen Deutschland und war trotz des klaren deutschen Sieges Kasachstans Bester! Einiges ist für Schmidtgal in der fremden Heimat, dessen Farben er nun als Nationalspieler trägt, neu. Vor allem der Gigantismus in dem Land das durch Rohstoffe wie Kohle und Gas reich geworden ist:

    "Grundsätzlich war ich schon mal überrascht, dass da ein sehr modernes Stadion erbaut wurde, dass da viel Geld in die Hand genommen wurde. Zum Beispiel, fünf Kilometer weiter sind dann sehr ärmliche Viertel, da ist schon ne sehr große Diskrepanz zwischen arm und reich."

    Sportliche Planwirtschaft vom Staat gelenkt als Imagekampagne. Auch ein in Deutschland ausgebildeter Spieler wie Heinrich Schmidtgal, der in einer Demokratie aufgewachsen ist, staunt bei seinen Visiten für Länderspiele in Kasachstan immer wieder über den Sportwillen des Mannes, der ein Gesetz eingeführt hat, das verbietet ihn zu kritisieren.

    "Ja, es ist schon eine andere Regierungsform. Es herrscht ja eine Präsidialdiktatur in Kasachstan. Der Präsident, Nursultan Narsabajew hat halt schon sehr viel Macht in dem Land."

    In einem Land, in dem es, unterdrückt von der Sowjetunion, keine gewachsene Sportkultur gibt, ist stattdessen viel Geld für den Sport da. Eine Fußballarena für 110 Millionen US Dollar wurde bereits gebaut, der sportliche Erfolg soll schon bald einziehen, auch dank der in Deutschland ausgebildeten Talente mit kasachischen Wurzeln. Für Heinrich Schmidtgal aber steht fest,...

    "...dass da noch ein paar Jahre fehlen, auch an Entwicklung, das fängt an bei Leistungszentren für die Jugendarbeit, trotzdem ist da im Umfeld schon eine hohe Erwartungshaltung."

    Riesig sind die Erwartungen vor allem des Präsidenten. Und so macht er sich zunutze, dass Spieler, die in der Jugend beispielsweise für Deutschland gespielt haben, völlig frei entscheiden können, für welche A-Nationalmannschaft sie auflaufen wollen. Um diese Talente buhlt der DFB, Kasachstan, aber auch Russland, das Ansprüche an Spieler stellt, die vor dem Zerfall der Sowjetunion zwar auf heutigem kasachischen Staatsgebiet, aber noch unter russischer Führung geboren wurden.

    Genau das macht die Sache kurios: Der Kampf um die Spieler mit zwei Pässen ist in vollem Gange. Überall. Die einst ehrenamtlichen Nationalspieler verdienen ganz gut mit Siegprämien und die sind wichtig geworden bei der Entscheidungsfindung der Spieler.

    Nicht zu vergessen: Die WM 2018 wird in Russland ausgetragen und da sind die in Deutschland gut ausgebildeten Spieler ebenfalls sehr willkommen. Wie zum Beispiel Alexander Merkel. Der in Kasachstan geborene 18-jährige Mittelfeldspieler ist im Moment der neue Star beim AC Mailand in der italienischen Serie A, fühlt sich als Russe, aber auch als Deutscher, als Kasache auch ein bisschen und wird vor allem von Russland heftig umworben. Ebenso Konstantin Rausch von Hannover 96. In Russland geboren ist der neue Bundesligastar in den Blickwinkel des dortigen Nationaltrainers gerückt. Rausch würde lieber für Deutschland spielen. Verständnis für Schmidtgals Entscheidung gegen Deutschland hat er trotzdem:

    "Klar, wenn man dann zwei Optionen hat. Ich denke da kann man für Verständnis haben, wenn er da keine Chance hat….denke da ist Heinrich Schmidtgal ein gutes Beispiel, ist doch klar dass er da die zweite Option wählt."

    Aber es geht nicht nur um die sportliche Entwicklung, Kasachstan zahlt ganz gute Prämien – es geht mittlerweile auch ums Geld. Doch mit welchen Mitteln der Deutsche Fußball-Bund versucht so genannte Russland-Deutsche für sich zu gewinnen, dazu möchte sich der DFB auf mehrfache Nachfrage nicht äußern. Heinrich Schmidtgal hat sich auch deshalb für Kasachstan entschieden, weil es seitens des DFB nie eine Bemühung um ihn gab.

    In Deutschland lebt europaweit die größte kasachische Minderheit, fast 20.000 Menschen. Übrigens: Juri Judt vom 1.FC Nürnberg wurde ebenfalls in Kasachstan geboren, genau wie Konstantin Engel vom VfL Osnabrück. Sie wurden vom kasachischen Fußballverband schon angesprochen. Das Feilschen der Fußballverbände um die Spieler mit zwei Nationalmannschafts-Optionen hat längst begonnen.