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Fußballerische Bekenntnisschrift

Peter Esterhazys Betrachtungen in "Deutschlandreise im Strafraum" sind gerade für hiesige Fans interessant. Denn als Ungar hat Esterhazy einen ganz eigenen Blick auf das deutsche Gerangel um den Ball. Das Buch ist die Bekenntnisschrift eines Schriftstellers, der nicht nur viel vom Fußball versteht, sondern auch die Höhen und Tiefen einer Spieler- und Fan-Existenz durchlitten hat.

Von Gisa Funck | 30.05.2006
    "Fußball gespielt hat jeder. Auch der, der es nicht getan hat, das ist eine Conditio sine qua non. Nicht ein jeder ist aber ein Fußballspieler. Ich war einer. Ein Fußballer vierter Klasse. Wenn ich das ausspreche, lachen die meisten, als hätten sie einen Witz gehört. Als nähme ich meine Aussage gleich in selbstironischer Weise zurück. Als zöge das Attribut 'vierter Klasse' das Substantiv 'Fußballer' in die Lächerlichkeit. Als übte ich Selbstkritik. O nein! (…) Ein Fußballspieler vierter Klasse ist kein verpatzter Fußballer erster Klasse, kein untalentierter Fußballer zweiter Klasse oder ein undisziplinierter, ein Möchtegern-Fußballer der dritten Klasse. Jede Ebene hat ihr eigenes Niveau, das ist ein hierarchisch wohl organisiertes Ressort. Ein guter Spieler vierter Klasse ist ein guter Spieler in der vierten Klasse. Ich entstamme übrigens einer alten Fußballerfamilie. Wenn wir noch nicht unter den Habsburger gespielt haben, so hat doch mein Vater schon Fußball gespielt. Sodann spielten alle meine Brüder, und nicht nur so, spaßeshalber, sondern richtig in einer Mannschaft, in einem Verein. Ja, mein jüngster Bruder wurde sogar Profifußballer. In der ungarischen Nationalmannschaft spielte er wohl 30-mal. (…) Und ich war zuerst Fußballer - und erst danach Schriftsteller."

    Fußballer, Fußball-Journalisten und selbsternannte Fußballexperten, die Bücher über Fußball schreiben, gibt es gerade - pünktlich zur WM - mehr als genug. Auch Schriftsteller, die zwar selbst nie richtig Fußball gespielt haben, aber Romane darüber schreiben, findet man häufiger. Doch ein Schriftsteller von Weltrang, der wie der Ungar Péter Esterházy nicht nur über Fußball schreibt, sondern auch auf eine jahrzehntelange Karriere als Torjäger zurückblicken kann, ist wirklich eine Seltenheit. Bis er 38 Jahre alt war, stand Esterhazy Woche für Woche als Linksaußen für einen Budapester Club auf dem Platz. Tatsächlich hatte er als Jugendlicher zunächst vor, wie sein jüngerer Bruder Marton eine Laufbahn als Profi-Kicker anzustreben. Erst, als es damit nichts wurde - und Marton statt seiner sogar für die ungarische Nationalmannschaft auflief - beschloss Péter Esterházy Schriftsteller zu werden. Mit Romanen, in denen er sich ironisch-anspielungsreich über das kommunistische Regime seiner Heimat lustig machte, wurde er in den 80er Jahren berühmt. Sein Fußball-Buch wirkt dagegen auf den ersten Blick nun leichter verdaulich.

    Wie der Titel "Deutschlandreise im Strafraum" es bereits andeutet, ist es vordergründig ein Reportageband. Im Auftrag des "SZ-Magazins" reiste Esterhazy letztes Jahr quer durch Deutschland, um über kleinere Provinzvereine zu berichten. Doch wäre er natürlich nicht der preisgekrönte Ironiker, würde er sich nicht auch hier, am Spielfeldrand, grundsätzlichere Gedanken über Fußball machen. Während Esterhazy im Buch also einerseits von Bezirks- und Kreisligaspielen berichtet, schweift er andererseits immer wieder ab: mal zurück in die eigene Spieler-Vergangenheit, mal hinüber zu Vergleichen zwischen ungarischen und deutschen Fußballfans, um schließlich sogar eine regelrechte Fußball-Typologie zu entwerfen, in der jeder seine feste Rolle und seinen ganz eigenen Fachjargon hat: vom Platzwart über den Schiedsrichter bis hin zum Typus des "alternden Fußballers", den Esterhazy selbst aus leidvoller Erfahrung kennt:

    "Als alternder Fußball-Spieler natürlich jammert man! Das ist eine Jammerzeit! /Also nach 35, dann tut alles weh und es geschieht immer etwas. Das ist auch eine Gattung, eine große Gattung, gehört zu dieser Fußballfamilie. Diese alten Fußballspieler, die früher so gut gespielt haben und je früher dieses Früher war, desto besser waren die. 'Und damals war noch….noch eine Mannschaft! Es war noch Mannschaftsgeist!' Das ist auch phantastisch! Das wird immer gesagt! Als ich 10 war, 20 war, 30 war, 40 war, wurde gesagt: 'Früher!' Aber auch schon - da war ich schon dieses Früher und ich erinnerte mich, dass es gar kein Mannschaftsgeist war - und trotzdem wurde das gesagt. Und jetzt, ich fürchte auch jetzt wird das gesagt! Das "Früher war das…"

    Natürlich bleibt im Fußball-Buch des ungarischen Schriftstellers Esterhazy auch die so genannte "Wunde von Bern" nicht unerwähnt. Schließlich gilt das WM-Finale von '54, als die hoch favorisierten Ungarn gegen den Außenseiter Deutschland verloren, bis heute als Trauma in seinem Heimatland. Doch verweist Esterhazy darauf weniger aus alter Enttäuschung denn zu Motivationszwecken. Er möchte vor allem seinen Landsleuten vor Augen führen, dass Ungarn auch einmal eine große Fußballnation war und nicht immer jener Fußballzwerg von heute, der auch diesmal wieder die WM-Qualifikation verpasst hat:

    "Das ist heute der einzige Weg oder die einzige Möglichkeit, daran zu erinnern, dass in Ungarn auch früher Fußball gespielt wurde. Also, das ist auch eine interessante Situation, dass ein Land mit so großen Traditionen - und zurzeit ist das nichts. Das war ein großes Spiel. Die waren große Spieler. Damals war diese Mannschaft in der Tat die beste. Und Fußball ist halt so, oder jeder Sport ist so, dass nicht immer der beste gewinnt. Meistens gewinnt der Beste, aber nicht immer. Dieses Nicht-Immer war '54. "

    Esterhazy ist zwar Fußball-Patriot. Doch als Fan gibt er sich pragmatisch. Um hochklassige Spiele zu sehen, blickt er - wenngleich nicht ohne Wehmut - regelmäßig über die ungarischen Landesgrenzen hinaus und ist etwa begeisterter Zuschauer der deutschen Bundesliga. Seine Betrachtungen in "Deutschlandreise im Strafraum" sind von daher gerade für hiesige Fans interessant. Denn als Ungar hat Esterhazy einen ganz eigenen Blick auf das deutsche Gerangel um den Ball. Und er entdeckt so manche Merkwürdigkeit, die dem Normalzuschauer längst nicht mehr auffallen würde. So zum Beispiel jenen "schönsten Satz in deutscher Sprache", wie Esterhazy ihn im Buch nennt. Gemeint ist jene, bei Sportreportern beliebte Floskel, wonach eine deutsche Vierer-Abwehrkette so gut wie alles machen darf, so lange nur Eines - zumindest rhetorisch - gewährleistet bleibt: nämlich, dass sie "Moral zeigt":

    "Schön ist, weil schön ist. Also, das hört man, dass schön ist. Aber ist auch ein schön-einfach-komplizierter Satz auch. Nämlich dieser Satz wird nur bei bestimmten Umständen gesagt. Also: Die Viererkette zeigt nur dann Moral, wenn wir verloren haben! Das ist auch interessant. Moral wird dann wichtig, wenn wir verloren haben. Wenn wir gewinnen, dann sind wir einfach gut. Dann haben wir mit Moral gar nichts zu tun. Die fußballerischen Gemeinplätze, das sind wirklich - würde ich sagen: malerisch. Und das ist besonders schön, wenn das so von starken, jungen Männern gesagt wird. Sehr ernst. Und immer derselbe. Das kommt natürlich durch die Presse. Dort werden diese Floskeln geschrieben. Das ist halt auch in Ordnung. Und das nimmt man über. Und das ist ein schönes Phänomen. "

    "Deutschlandreise im Strafraum" ist die Bekenntnisschrift eines Schriftstellers, der nicht nur viel vom Fußball versteht, sondern auch die Höhen und Tiefen einer Spieler- und Fan-Existenz durchlitten hat. Anders als die allermeisten Bücher von Ex-Fußballspielern aber gleitet Esterhazy weder in die Selbstbeweihräucherung noch in die Besserwisserei ab. Das liegt vor allem an seinem humorvoll-ironischen Erzählstil, den man auch schon aus früheren Romanen kennt, und der die Schattenseiten des Fußballs keineswegs ausblendet. Sei es nun die manchmal allzu unverbrüchlich-aggressive Vereinstreue von Fans. Oder auch die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs, bei der ex-kommunistische Staaten wie Ungarn meist schon aus Geldmangel den Kürzeren ziehen: All das kommt bei Esterhazy auch zur Sprache, aber immer mit einem Augenzwinkern. Mit einer gewissen, versöhnlichen Leichtigkeit, in der doch stets eine sanfte Wehmut mitschwingt. Nun, mit 56 Jahren, gehört Esterhazy endgültig nicht mehr zu den Aktiven auf dem Fußballplatz. Und trotz aller Witzigkeit merkt man ihm im Buch an, wie schwer ihm die Rolle des passiven Zuschauers fällt. Wenn er heute in seiner Freizeit doch noch manchmal gegen einen Lederball tritt, dann nie nur zum Spaß. Denn nichts verachtet der ehemalige Torknipser mehr, als Freizeit-Kicker, die das Spiel nicht richtig ernst nehmen:

    "Ich mag nicht diese Metaphern, dass wir statt Kriege Fußball spielen. So meine ich das nicht. Sondern ich meine, dass das Gewinnen-Zu-Wollen gehört zu dem Geist des Spieles. Also, man kann nicht nur so herumspielen! Das ist frech! Das darf man nicht! Im Leben ist das meiner Ansicht nach komplizierter. Weil: Dort muss man nicht immer gewinnen. Oder wir mögen nicht solche Leute, die immer gewinnen wollen. Aber ich mag nicht mit solchen Leute spielen, die nicht gewinnen wollen! Also: schön spielen. Man soll "schön" spielen. Man kann nicht schön spielen, wenn man nicht gewinnen will!"