Das Willy-Kressmann-Stadion in Kreuzberg gleicht einem Kulturcampus. Das Spielfeld ist umgeben von Kinoleinwand, Konzertbühne und Ausstellungstafeln. Für viele Gastspielerinnen ist diese Offenheit ungewöhnlich, zum Beispiel für die Muslima Fadwa El Bahi aus Libyen. In ihrer Heimatstadt Tripolis hatte sie schon als Mädchen gekickt, doch als sie älter wurde, hat man es ihr verboten.
"Wir haben keine Vereine. Es gibt nur eine Veranstaltung pro Jahr, da spielen Studentinnen gegeneinander. Auch ich bin in der Uni wieder zum Fußball gekommen. Wir versuchen etwas aufzubauen, aber das ist schwer. Meine Familie unterstützt mich, doch viele andere Familien erlauben nicht, dass ihre Töchter spielen. Wir können zwar trainieren, ohne Publikum, aber wir haben keine offiziellen Spiele. Es gibt kein Nationalteam. Jedes Mal, wenn sich das ändern könnte, werden wir aufgehalten."
Nach dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi 2011 durften Spielerinnen öffentlich auftreten. Schon kurz darauf wurden sie von Islamisten bedroht. In Bengasi meldete sich der Fernsehprediger Salim Jabar zu Wort:
"Dieses Team besteht aus großen, gutaussehenden jungen Mädchen, und das ist das Letzte, was dieses Land braucht. Die Frauen in diesem Team haben sich selbst verkauft und Schande über ihre Familien gebracht."
Die erzkonservative Auslegung des Islam verhindert in etlichen Ländern, dass Frauen öffentlich Sport treiben können. Sie gelten als schwach und schutzbedürftig. Doch es gibt Frauen, die sich darüber hinweg setzen, zum Beispiel ein Fußballteam aus Libyen. Zwei Drittel von ihnen tragen Kopftücher, sie wollen den Islam fortschrittlicher auslegen.
Sittenwächterinnen im Libanon dabei
Vor einem Jahr reisten die Libyerinnen in den Libanon und bestritten ihr erstes Turnier. Beobachtet von Sittenwächterinnen.
"Ich habe vor unserer Reise keines der Mädchen gekannt. Am Anfang war ich nervös und ängstlich, weil kulturelle Unterschiede uns trennen. Aber mit der Zeit sind wir zusammengewachsen. Ich liebe sie alle, wir helfen uns gegenseitig. Es spielt keine Rolle, ob man arm oder reich ist: Wir sind ein Team. Das ist toll."
Die Spielerinnen mussten die gleiche Kleidung tragen. Sie sollten eng zusammen sitzen, durften nicht mit Fremden sprechen, angeblich sei das der Wille von Allah, sagten die Sittenwächterinnen.
Doch durch ihre Spiele wurden die Frauen selbstbewusster. Sie sangen und klatschten. Schon einmal, 2013, wollten sie nach Berlin reisen. Doch der libysche Fußballverband sagte die Teilnahme ab. Mit der Begründung, dass das Turnier im Ramadan stattfinde. In der vergangenen Woche erhielten dann die Organisatorinnen des aktuellen Festivals in Berlin eine verärgerte E-Mail des libyschen Fußballverbandes. Die Funktionäre fühlten sich übergangen. Teamführerin Fadwa El Bahi:
"Wir sind ein bisschen schüchtern, wir sind es nicht gewohnt, mit fremden Leuten zu sprechen. Der Fußballverband vertraut uns nicht. Deshalb bezeichnen wir uns auch nicht als Nationalteam, so haben wir weniger Druck von oben. Aber wir wollen nicht mehr so leicht nachgeben. Wir möchten für unsere Rechte eintreten – und deshalb sind wir hier."
Die Organisationen, die sich im Fußball für Frauenrechte stark machen, lassen sich an zwei Händen abzählen. Eine von ihnen ist "Discover Football", Entdecke den Fußball. Seit 2009 schafft die NGO aus Berlin sichere Orte der Begegnung, auch für Mädchen und Frauen aus islamisch geprägten Ländern. Die Aktivistinnen von Discover sprechen die Religion selten direkt an. Stattdessen wollen sie das Thema positiv besetzen.
In den kommenden Tagen besuchen Gastspielerinnen aus Libyen, dem Sudan oder Afghanistan auch Flüchtlingsunterkünfte in Berlin. Discover möchte die Vorbildfunktion von muslimischen Frauen sichtbar machen, erzählt die Berlinerin Lea Gölnitz.
"Genau, es ist eben auch wichtig, dass alle davon wissen und beteiligt werden. Weil wir eben aus den Projekten hier auch wissen, dass es total cool ist für Mädchen, erwachsene Frauen zu sehen, die Fußball spielen. Weil oft ist es ja so: Als Kind kannst du machen, was du willst, aber dann ist halt mal Schluss mit Fußball, ist halt eine Männersache. Und da ist es total gut, wenn einem eingeredet wird, dass sich das nicht gehört. Dass man jemanden sieht, der über zwanzig ist, der das immer noch macht. Das ist eine gute Vorbildfunktion, das einfach zu sehen."
Rückspiel nach zehn Jahren
Die Anfänge von Discover Football liegen zehn Jahre zurück. Aus dem Gründungsteam übrig geblieben sind drei Spielerinnen, darunter die Schwestern Marlene und Valerie Assmann. In ihrer Kindheit haben sie oft den Wohnort wechseln müssen. Der Fußball hat ihnen geholfen, Freunde zu finden. Als sie mit Anfang zwanzig nach Berlin kamen, kickten sie für Al Dersimspor in Kreuzberg.
Mit dem multikulturellen Team Al Dersimspor spielten die Assmanns 2006 in Teheran gegen das iranische Nationalteam, im ersten Frauenspiel seit der Islamischen Revolution 1979. Auf den Tribünen sangen 1.000 Zuschauerinnen. Marlene Assmann sagt: "Und wir konnten jetzt nicht wirklich miteinander reden. Aber haben dann so Fotos gemeinsam gemacht. Und uns zusammen gesetzt. Und es war dann wirklich schön, noch mal die Möglichkeit zu haben, sich zu treffen und, auch wenn wir nicht miteinander reden konnten, einfach so Sympathie zu zeigen."
Das Rückspiel gegen den Iran sollte 2007 in Berlin stattfinden. 4.000 Tickets waren verkauft, doch kurz vor der Partie kam die Nachricht aus Teheran: Das Team dürfe nicht ausreisen. Aus der Enttäuschung erwuchs Discover Football. Denn, so dachten die Gründerinnen, ein ganzes Festival könne nicht durch eine Absage ins Wasser fallen. In diesem Jahr hat es dann mit dem Rückspiel geklappt. Zum Auftakt des Festivals trafen die Iranerinnen nun auf die Gastgeberinnen.