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G20-Krawalle
"Alles, was wir in Hamburg gesehen haben, war vorauszusehen"

Der Vize-Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, hat die Entscheidung für die Abhaltung des G20-Gipfels in Hamburg kritisiert. Dort gebe es rechtsfreie Räume, wo gewalttätige Aktionen geplant würden. Linksextremismus müsse stärker bekämpft werden, sagte Fiedler im Dlf. Er befürwortet die Einrichtung einer Extremistendatei.

Sebastian Fiedler im Gespräch mit Mario Dovovisek | 10.07.2017
    Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter im Deutschlandfunk-Studio.
    Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter im Deutschlandfunk-Studio. (Deutschlandradio / Stroich)
    Mario Dobovisek: Als Gastgeberin wollte sie glänzen, Bundeskanzlerin Angela Merkel, gerade weil ihr viele Politiker und Kommentatoren die Rolle der Anführerin der freien Welt zuschreiben, nachdem US-Präsident Donald Trump mehr und mehr ausschert, zum Beispiel beim Klimaschutz. Doch die G20-Bilder, die in Erinnerung bleiben werden, sind Bilder von vermummten Gewalttätern, von brennenden Autos und Barrikaden, von geplünderten Supermärkten. War Hamburg der richtige Austragungsort für den G20-Gipfel? Wer hat wann die Lage derart unterschätzt? Welche Konsequenzen müssen jetzt gezogen werden? Fragen, die Hamburg, aber auch das politische Berlin jetzt beschäftigen.
    Am Telefon begrüße ich Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Guten Tag, Herr Fiedler.
    Sebastian Fiedler: Schönen guten Tag.
    Dobovisek: Viele Vorschläge werden gerade diskutiert. Wir haben es gehört. Einer davon ist das Einrichten einer europäischen Linksextremisten-Datei. Wäre das aus Ermittlersicht sinnvoll?
    Fiedler: Wenn Sie gestatten, möchte ich doch vielleicht, bevor ich darauf antworte, mal an dem einen oder anderen Märchen schrauben, was jetzt gerade in dem Beitrag zuvor da gelaufen ist. Insbesondere wenn Herr Altmaier sagt, er sei da überrascht von gewesen, dann hat er offensichtlich den Verfassungsschutzbericht nicht gelesen, er hat die Warnungen nicht zur Kenntnis genommen, er hat offensichtlich nicht mitbekommen, dass das Auto eines Polizeidirektors im September 2016 angesteckt worden ist, dass es schon einen Brandanschlag im November 2016 auf die Messehallen gegeben hat, dass im Internet kursiert, wir träumen nicht, das Bestehende zu verändern, uns genügt es, wenn wir uns brennen sehen – Zitat von einer linksautonomen Plattform. Er hat offenbar nicht mitbekommen, dass wir tausend gewaltbereite Linksextremisten mehr haben, dass wir insgesamt ein Spektrum von 28.500 Leuten haben. Da muss ich mich wirklich sehr wundern. Alles, was wir dort gesehen haben in Hamburg, war vorher vorauszusehen.
    "Die Bekämpfung des Linksextremismus liegt seit Jahrzehnten brach"
    Dobovisek: Warum, wenn wir dann bei diesem Thema gleich bleiben wollen, hat denn die Polizei ganz offensichtlich so reagiert, wie sie reagiert hat, indem sie teilweise überfordert zumindest schien, dann Freitagmorgen noch einen Eilrundbrief an alle anderen Polizeien in der Bundesrepublik verschickt hat, um jede weitere erdenkliche Unterstützung gebeten hat. Das klingt nicht nach guter Vorbereitung.
    Fiedler: Ja da müssen Sie jetzt mal sagen, was Sie denn da für Erwartungshaltungen dann gehabt hätten. Wir haben im Vorfeld darauf hingewiesen, dass in Hamburg dieser Gipfel unter diesen Rahmenbedingungen so nicht zu schützen ist mit der besten Polizei. Wir können ja nicht mehr machen, als alle verfügbaren Einheiten der Bundesrepublik zusammenzuziehen, die besten Leute, die konzeptionell dort unterwegs sind, zusammenzuziehen, alle Erkenntnisse zusammenzuziehen, und dann im Grunde alles Mögliche zu tun. Die politische Entscheidung ist ausschlaggebend gewesen, unter diesen Rahmenbedingungen und auch – das gehört dann am Rande schon dazu – unter einer politischen Rahmenbedingung, wo man selbstverständlich rechtsfreie Räume nicht nur in Berlin und Hamburg, sondern auch an anderen Stellen geduldet hat. Das ist ja nun wirklich offenkundig und im Grunde ein jahrzehntelang vernachlässigtes Phänomen. Das kann ich Ihnen spiegeln aus der Kriminalpolizei heraus: Da ist der polizeiliche Staatsschutz in Bund und Ländern dafür zuständig. De facto liegt seit Jahrzehnten die Bekämpfung des Linksextremismus vollkommen brach. Wir haben gar keine Kapazitäten dafür. Das Gleiche trifft auf die Landesämter für Verfassungsschutz zu. Das sind alles lange Bärte, die wir dort intern schon lange diskutieren, und deswegen sind wir im Grunde auch nicht überrascht davon gewesen. Nur das war nicht zu händeln.
    "Die Politik tut jetzt etwas überrascht"
    Dobovisek: Die Polizei ist nicht überrascht, aber die Politik?
    Fiedler: Ja, die Politik tut jetzt etwas überrascht, denn die Texte sind ja im Vorfeld gelaufen. Es ist ja nachweisbar. Es gibt ja durch uns schon im April sehr, sehr starke Warnzeichen, die wir nach außen getragen haben. Die sind alle nachlesbar. Wie gesagt, die Verfassungsdienststellen haben gewarnt, der Innenausschuss des Bundestages ist darüber informiert gewesen, was alles hätte passieren können. Und jetzt im Nachhinein zu sagen, jetzt haben wir einen überraschend sensationellen Vorschlag, nämlich dass wir eine europaweite Datei einrichten, da weiß ich jetzt nicht so richtig, ob ich lachen oder weinen soll. Das ist natürlich überhaupt gar kein Problem, eine solche Datei zum Beispiel einzurichten. Da brauche ich keine breite politische Debatte dafür. Nur welche Informationen kommen denn da rein? Wer macht das denn?
    Dobovisek: Bleiben wir erst mal noch bei der politischen Verantwortung. Wem werfen Sie diese Verantwortungslosigkeit vor?
    Fiedler: Nun, da müssen Sie nachvollziehen, wer die Entscheidung getroffen hat, in Hamburg diesen Gipfel abzuhalten. Das ist die erste Frage, die aufzuwerfen ist. Und die zweite Frage ist aufzuwerfen: Da können wir es nicht bei einer politischen Kraft belassen, sondern wir müssen im Grunde der Tatsache ins Auge sehen, dass offensichtlich dieser intellektuell verschwurbelt daherkommende Linksextremismus von vielen politischen Kräften über Jahrzehnte lang nicht hinreichend ernst genommen worden ist. Und die Rote Flora und die Rigaer Straße sind sozusagen Symbole dieser verfehlten Politik, die wir im Grunde uns im Bereich anderer extremistischer Ausprägungen nie hätten erlauben können. Nur ist es eben so, dass wir immer dann, wenn etwas passiert ist – das können wir ja nun abzeichnen nach den Kölner Silvester-Ereignissen oder anderen Dingen –, dann diskutieren wir hier sehr breit darüber, dass wir jetzt auf einmal etwas machen müssen, obgleich die Zustände an sich natürlich in vielen Bereichen und auch hier schon bekannt gewesen sind.
    Noch mal: Die Kriminalpolizei hat gar keine Ressourcen, um hier noch eine weitere Schwerpunktverlagerung vorzunehmen. Wir sind im Moment damit ausgelastet, den islamistischen Terrorismus so halbwegs zu beherrschen. Wir haben mit den Reichsbürgern zu tun und wir haben im Moment null Personal. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen; die aktuelle Landesregierung ist offensichtlich auch nicht bereit oder willens oder auch nicht in der Lage, noch weiteres Personal in den Staatsschutz zu geben.
    Forderung nach zusätzlichem Personal
    Dobovisek: Wie sollten Politik und Polizei jetzt mit Linksextremisten umgehen?
    Fiedler: Wir müssen mit dem vorhandenen Personal natürlich Schwerpunkte setzen und selbstverständlich muss konsequent durchgegriffen werden.
    Dobovisek: Und anderes vernachlässigen.
    Fiedler: Natürlich finden Sie in mir keinen Freund rechtsfreier Räume wie der in der Rigaer Straße und in der Roten Flora, wo ein bisschen folkloristisch darüber hinweggesehen wird, dass hier Recht gebrochen wird. Natürlich bin ich dafür, dass man an diesen Stellen – das sind ja nun auch Keimzellen und Zentren erkanntermaßen, wo sich Autonome zusammenfinden und wo sie ihre gewalttätigen Aktionen auch planen. Das ist ja durchaus ein Herd. Natürlich muss sich der Staat dem annehmen und darf sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen und natürlich müssen wir den Linksextremismus intensiver bekämpfen. Das können wir aber nur – aus dem Munde eines Gewerkschafters wird Sie das jetzt nicht wundern – mit zusätzlichem und zwar qualifiziertem Personal tun.
    Dobovisek: Wenn wir uns die Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden angucken, auch auf europäischer Ebene, da fordert der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz ähnliche große Gipfel jährlich in München, eine bessere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene fordert gar eine Art europäisches FBI. Reicht denn die Zusammenarbeit, die bestehende, mit Europol und Interpol nicht aus?
    Fiedler: Da sprechen Sie im Grunde unsere Forderung an und ich bin froh, dass nun inzwischen andere darauf anspringen. Europol ist derzeit nur eine Daten-Sammel- und Analysestelle. Das heißt, ermitteln kann und darf Europol über Landesgrenzen hinweg so nicht. So wie das BKA in Hamburg, Bayern und Schleswig-Holstein ermitteln darf, so darf Europol das nicht. Es hat diese Komponente nicht, obgleich die europäischen Verträge durchaus Ausprägungen einer solchen operativen Tätigkeit erlauben würden. Das wünschen wir uns, gepaart damit, dass wir eine echte europäische Staatsanwaltschaft bekämen und nicht so, wie sie im Moment der aktuelle Entwurf vorsieht, sondern wir wünschen uns im Grunde für alle europäischen Kriminalitätsfelder auch eine tatsächlich europäische Strafverfolgung.
    Extremisten-Datei wäre "Mini-Mosaiksteinchen"
    Dobovisek: Und auch eine Extremisten-Datei, um zum Anfang unseres Gesprächs zurückzukommen. Wie beurteilen Sie diesen Vorschlag? Würde das am Ende helfen?
    Fiedler: Ja, das ist ein Mini-Mosaiksteinchen. Aber noch mal: Das wäre kein Problem, die einzurichten. Da bräuchten wir nicht breite politische Debatten darüber. Die sind an anderer Stelle breiter zu führen. Das ist selbstverständlich ein wichtiges Hilfsmittel. Aber das können wir operativ auch so umsetzen.
    Dobovisek: Jetzt gibt es großes Unverständnis für die Gewalttäter von Hamburg. Seit dem Wochenende kursieren ohne Zutun der Ermittler viele Fotos von Randalierern in den sozialen Medien. Auch in der "Bild"-Zeitung sind heute viele potenzielle Gewalttäter zu sehen, verbunden mit der fetten Überschrift: "Gesucht – wer kennt diese G20-Verbrecher?" Ist das der richtige Weg, nach den Tätern zu fahnden?
    Fiedler: Nein. Hier greifen bestimmte Medien natürlich völlig daneben, aus meiner Sicht. Das Bundeskriminalamt hat hierfür extra eine Plattform eingerichtet, auf die Bürgerinnen und Bürger sowohl Videomaterial als auch Bildmaterial hochladen können, weil natürlich wir nicht die "Bild"-Zeitung dafür benötigen, um unsere Fahndungsmaßnahmen umzusetzen, sondern die Bilder müssen ja entsprechend bewertet werden, müssen entsprechenden strafrechtlichen Handlungen zugeordnet werden. Deswegen wäre meine Ermutigung tatsächlich, solche Bilddateien gehören auf die Plattform des BKA. Dort können sie professionell ausgewertet werden.
    Dobovisek: Ist das so eine Art Pranger, ein Aufruf zur Selbstjustiz?
    Fiedler: Sie meinen, was die "Bild"-Zeitung gerade tut?
    Dobovisek: Ja.
    Fiedler: Ja, es ist einerseits natürlich ein Pranger. Andererseits soll das natürlich die Auflage nach oben treiben. Das ist ja nun bekannt, denke ich mal. Aber noch mal: Ich denke, die Bilder sind dort fehl am Platze.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.