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G8 macht dümmer

Der Intelligenzforscher Detlef Rost hält IQ-Tests nach wie vor für aussagekräftig. Die Intelligenz nehme während der Schulzeit messbar zu. Daher sei es unvernünftig, ein Schuljahr wegzukürzen - das mache die Jugendlichen "um vier oder fünf IQ-Punkte dümmer".

Manfred Götzke sprach mit Detlef Rost | 17.04.2012
    Manfred Götzke: Noch werden Studierende ja auch noch nicht nach IQ ausgewählt. Sollte es aber je so weit kommen, müsste zumindest eines klar sein: dass der Intelligenzquotient überhaupt aussagekräftig ist – und das wird nicht nur von dieser Professorin, die wir da gerade gehört haben, angezweifelt. Einer, der das bestens beurteilen kann, ist Detlef Rost, Psychologe und Intelligenzforscher an der Uni Marburg. Herr Rost, darf sich jemand wirklich rühmen, überdurchschnittlich intelligent zu sein, wenn er einen IQ von, sagen wir mal, 120 hat?

    Detlef Rost: Ja, also es gibt gute, fachpsychologisch gute Tests, da ist der Messfehler bekannt, und da ist ... Auch die Qualität der Vorhersage für Bereiche aus dem Alltagsleben – ist ja kein Selbstzweck – ist bekannt. Man macht ja einen Intelligenztest nicht einfach, um zu wissen, was einer für einen IQ hat, das ist ein bisschen Neugier, aber Sie lassen sich ja auch nicht die Leber vermessen, wie groß die Leber ist oder so etwas, sondern eine Diagnostik hat ja auch immer einen Zweck und man will auch etwas erreichen oder will etwas vorhersagen. Und da weiß man bei den guten Intelligenztests, dass die eine sehr gute Vorhersagevalidität haben für den Schulerfolg, für den Ausbildungserfolg, für den Erfolg im Beruf, überhaupt für den Lebenserfolg, und das ist natürlich eine wichtige Frage.

    Götzke: Wobei es ja auch sehr deprimierend sein kann, wenn er dann doch kleiner als 100 ausfällt.

    Rost: Ach, warum denn nicht? Muss ja nicht jeder Professor werden, ich sage das mal, wobei ich nicht sagen will, dass alle Professoren besonders intelligent sind. Aber es ist so: Das ist eine Frage der Bewertung. Sehen Sie mal: Wenn ich eine Waschmaschine kaputt habe, dann möchte ich nicht jemanden mit einem IQ von 145, einen Philosophen haben, der mir das repariert, sondern dann möchte ich jemanden haben, der weiß, wie Waschmaschine ... der die Waschmaschine kennt, der weiß, an welchen Schrauben er drehen muss, und da brauche ich keinen IQ von 120. Das heißt, das ist immer eine Frage der Bewertung. Wir neigen dazu in unserer Gesellschaft, jetzt die Intelligenz ein bisschen übergewichtig zu sehen, indem wir auch die vielen anderen Facetten, die einen Menschen bedeutsam machen und die ihn wichtig für die Gesellschaft machen, indem wir die vielleicht ein bisschen unterschätzen.

    Götzke: Da wären wir bei einer entscheidenden Frage: Welche Intelligenz misst der IQ denn überhaupt?

    Rost: Die Psychologen sagen spaßeshalber: Intelligenz ist das, was der Intelligenztest misst. Das ist eine berühmte Definition von Edmund Boring, 1924 glaube ich. Na ja, aber das ist gar nicht so schlecht, weil man ... Wenn man sich die Aufgaben anguckt, dann weiß man auch, was es misst: Intelligenztests messen in der Regel so zwei Komponenten, das ist einmal so eine Grundintelligenz, so das ist das gewissermaßen, was man angeborenermaßen mitbekommen hat, und zum anderen ist das etwas, was also kulturell angebahnt worden ist, wo man also diese Grundintelligenz in kulturelle Inhalte investiert hat. Das eine ist die flüssige Intelligenz, das ist die kristallisierte Intelligenz. Und über allem, an der Spitze steht so etwas wie die allgemeine Intelligenz, das ist die große Instanz in uns, die die unterschiedlichen Fähigkeiten, die alle positiv miteinander zusammenhängen, koordiniert und steuert.

    Götzke: Ich hatte in der Vorbereitung auf das Gespräch gelesen, dass eine klassische Definition sei von Intelligenz: schnelle Problemlösungsfähigkeit.

    Rost: Richtig. Das sind zwei Sachen. Man muss erstens Probleme, die für jemanden neu sind, muss man lösen können, und zweitens: Man muss die Probleme auch in einer angemessenen Zeit lösen können. Sehen Sie mal: Unterschied zwischen Einstein und mir ist unter anderem, dass Einstein seine Relativitätstheorie vielleicht in zwei oder drei Jahren entwickelt hat, und ich brauche 20 Jahre, um sie überhaupt zu kapieren.

    Götzke: Seit Jahren wird kritisiert, dass neben der klassischen Intelligenz es noch die soziale oder die emotionale Intelligenz gäbe, die durch die normalen Intelligenztests und auch das, was wir gerade besprochen haben, gar nicht erfasst würden.

    Rost: Die soziale Intelligenz ist eigentlich zum großen Teil nichts anderes als die Anwendung dieser Problemlösefähigkeit auf soziale Fragestellungen. Das muss dann aber nicht was anderes sein, wenn Sie das so definieren wollen, dass es jeweils eine andere Intelligenz ist, dann müssten Sie für jeden Lebensbereich, für jeden Aufgabenbereich eine eigene Intelligenz definieren, und das macht ja keinen Sinn. Und die emotionale Intelligenz, das ist ein Unwort an und für sich, denn Intelligenz ist etwas Kognitives, und emotional ist nicht kognitiv. Und die emotionale Intelligenz, das ist ein Sammelsurium von vielen unterschiedlichen Sachen. Da wird immer der Herr Daniel Goleman genannt, der da so einen Bestseller geschrieben hat – der hat ja keine eigenen empirischen Untersuchungen dazu gemacht, und die empirischen Untersuchungen, die da vielfältig jetzt laufen, zeigen, dass das Konstrukt noch so was von unausgegoren ist. Es gibt keine vernünftigen Verfahren, die also auch das wirklich gut messen. Und jetzt wird etwas in die Welt gesetzt, was also alles und vieles ... Niemand weiß genau richtig, was es ist. Das ist das Hauptproblem der sogenannten emotionalen Intelligenz.

    Götzke: Nun ist der IQ ja kein absoluter Wert, sondern misst die Abweichungen vom Mittelwert.

    Rost: Richtig.

    Götzke: Und der ist aber in den vergangenen Jahren zumindest in den Industrieländern gestiegen. Woran liegt das?

    Rost: Ja. Es gibt unterschiedlichste Theorien, woran das liegt. Eine dieser Theorien ist die verbesserte Ernährung, das heißt, verbesserte Versorgung mit Vitaminen, mit Eiweiß, mit sekundären Pflanzenstoffen und so weiter, die dazu führt, dass die kognitive Leistungsfähigkeit angestiegen ist. Ein zweites wichtiges Argument ist die verbesserte Quantität und Qualität der Beschulung. Heutzutage ist Schule nicht mehr nur Paukschule, sondern man lernt, zu denken, und man geht länger zur Schule. Und wir wissen aus anderen Untersuchungen, dass die Schule die treibende Kraft ist in der Intelligenzentwicklung. Jeder Schulmonat bringt ungefähr, weiß ich, 0,3 IQ-Punkte Zuwachs an Leistungsfähigkeit, wenn man das jetzt in IQ-Punkte umrechnet. Das heißt, die Verkürzung der Schulzeit um ein Jahr, was wir jetzt gemacht haben, macht unsere Jugend, weiß ich, um vier oder fünf IQ-Punkte dümmer.

    Götzke: Das spricht doch für lebenslanges Lernen?

    Rost: Ja, selbstverständlich! Also die Tatsache. Die Entwicklungskurve der Intelligenz steigt ja an, bis so ungefähr im Alter von vielleicht so 18 Jahren oder so etwas, und dann kommt ein Plateau und dann geht es wieder runter. Und weswegen die nicht weiter ansteigt: Eine Hypothese ist, dass eben mit diesem Alter sehr viele aus dem System der formalen Schule rausfallen, das heißt, dann werden sie nicht mehr trainiert, denn Schule ist ja nichts anderes als fünf Tage in der Woche sechs Stunden pro Tag oder manchmal acht Stunden pro Tag von unterschiedlichen Trainern, von den Lehrern, in den unterschiedlichsten Inhaltsbereichen kritisch denken lernen, Wissen anhäufen, Wissen vernetzen und so weiter. Das heißt, es ist ein riesengroßes Intelligenztrainingsprogramm, und das einzig nachhaltige und erfolgreiche.

    Götzke: Also lernen, lernen, lernen! Der IQ ist absolut aussagekräftig, sagt Detlef Rost, Psychologe und Intelligenzforscher an der Uni Marburg. Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.