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Gabriel

Birke: Wir sind nun mit dem niedersächsischen Ministerpräsident verbunden. Einen schönen guten Morgen Herr Gabriel.

Burkhard Birke |
    Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Birke: Herr Gabriel, in genau vier Wochen sind die Wähler in Hessen und in Niedersachsen aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Bundesweit befindet sich die Union im Aufwind, die SPD in einem absoluten Stimmungstief. Der rot-grünen Regierung in Berlin wird vorgeworfen, vor der Wahl kein realistisches Bild der Lage gezeichnet zu haben, weder im finanz- und sozialpolitischen Bereich, noch in der außenpolitischen Frage eines Irakkrieges. In den Meinungsumfragen hat dies in erster Linie die SPD jetzt zu spüren bekommen, die auf unter 30 Prozent teilweise bundesweit abgerutscht ist in den Umfragen. Herr Gabriel, wie wollen Sie sich diesem Abwärtstrend entziehen in Niedersachsen?

    Gabriel: Nun, erst einmal muss man sagen, dass die Umfragen bei uns für die Landes-SPD immerhin 40 Prozent sehen. Das ist ja deutlich vor der Bundessituation und hat sicher damit zu tun, dass die Stimmungslage bei uns in Niedersachsen bei der Beurteilung von Landespolitik besser ist als die bundesweit. Trotzdem erwischt uns natürlich diese Einschätzung und dieses Stimmungstief der SPD. Wir machen hier konsequent unsere Arbeit. Wir setzten das um, was wir den Menschen versprochen haben und versuchen, ihnen klarzumachen, dass es am 2. Februar um eine Landtagswahl geht. Und scheinbar haben wir damit nicht unerheblich Erfolg.

    Birke: Sie setzen also vornehmlich auf die Landespolitik im Wahlkampf. Sie haben ja am Freitag auch '3-B' genannt, nämlich Bildung, Beschäftigung und Bürokratieabbau. Woher wollen Sie denn das Geld nehmen - für die Investitionen im Bildungssektor beispielsweise?

    Gabriel: Also, erstens haben wir eine ganze Menge in den Haushalt bereits eingestellt; der Bildungshaushalt des Landes Niedersachsen ist in diesem Jahr gegenüber dem Jahr 2000 um 160 Millionen Euro höher, das heißt also, eine ganze Menge. Wir haben verlässliche Grundschulen bei uns eingeführt, wir machen Sprachunterricht im Kindergarten, weil Kinder, die in de deutsche Grundschule kommen, auch schon die deutsche Sprache kennen müssen. Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen im Bereich Ganztagsschulen. Das heißt, finanziell haben wir unser Finanztableau aufgestellt, insbesondere für den Bereich Bildung. Wir haben mit der Bundesregierung ja eine ganze Weile über die Frage gestritten, wie Deutschland insgesamt mehr Finanzmittel für den Bildungssektor bekommt. Das war das Thema 'Vermögenssteuer'. Die Bundesregierung hat vorgeschlagen, dies auf einem anderen Weg zu lösen, nämlich Gelder, die bislang illegal ins Ausland gegangen sind, zurückzuholen – entweder darüber, dass man das Steuergeheimnis aufhebt und da auch die Strafverfolgung beginnt oder die freiwillige Rückkehr sozusagen zu belohnen. Wir gehen davon aus, dass das etwa eine Milliarde Euro für Niedersachsen bringen würde, 25 Milliarden für die ganze Bundesrepublik. Das ist eine ganze Menge Geld, und wir haben gesagt, wir nutzen das nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern, sondern bringen das ein in eine Stiftung 'Bildung und Wissenschaft', weil wir dauerhaft etwas für unsere Kinder und Jugendliche tun wollen.

    Birke: Sie sagten eine Milliarde. Halten Sie diese Zahl wirklich für realistisch? Ist es realistisch, anzunehmen, dass die Leute wirklich ihre Kapitale wieder nach Deutschland zurückverlegen?

    Gabriel: Nun, die Experten sagen, es gibt zwei Gründe, warum es jetzt einen Trend gibt, ein solches Angebot auf Straffreiheit und einen relativ niedrigen Zinssatz bei der Besteuerung anzunehmen. Das Erste ist, dass es doch eine ganze Reihe Menschen gibt, die ihre Vermögen legal vererben wollen und deshalb es zurück nach Deutschland transferieren wollen. Das Zweite ist: Viele Betriebe, die dringend Eigenkapital brauchen und die eben in der Vergangenheit Jahr für Jahr Beträge – man muss eben sagen – illegal ins Ausland gebracht haben, brauchen das Geld zum Überleben ihrer Unternehmen. Und zudem ist es eben so, dass wir gesagt haben: Wir heben das Steuergeheimnis auf und das Bankgeheimnis, wir gehen ran an dieses Thema und werden auch diejenigen, die geholfen haben, notfalls bestrafen. Es gibt ja doch viel Beratung über Bankfilialen, wie so was laufen sollte. Und ich denke, dass der Druck, auf der einen Seite Strafandrohung zu haben auch bei den Helfern, auf der anderen Seite die Notwendigkeit, Geld zurückzubekommen, dass das dazu führt, dass die Bundesregierung Erfolg haben wird mit ihrem Projekt.

    Birke: Sie plädieren ja auch gerade im Wahlkampf immer für mehr Gerechtigkeit. Inwieweit ist denn da diese Zinsabgeltungssteuer wirklich sozial ausgewogen?

    Gabriel: Also, bisher werden Vermögen ins Ausland gebracht, die überhaupt keine Steuern entrichten müssen. Das finde ich hochgradig ungerecht. Wenn es jetzt gelingt, Geld, das illegal im Ausland ist, zurückzuholen und ebenso der Steuer zu unterziehen, wie alle anderen Vermögen in Deutschland, dann – finde ich – ist das ein Akt der Gerechtigkeit. Es kann ja nicht sein, dass immer nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Steuern bezahlen und andere Leute ihr Geld ins Ausland schaffen.

    Birke: Ein Akt der Gerechtigkeit, von dem aber die Großverdiener viel mehr profitieren, da sie ja in den progressiven Steuersätzen ja mit einer pauschalen Zinsabgeltungssteuer viel besser wegkommen.

    Gabriel: Also, erst einmal geht es darum, dass wir Geld besteuern, das bisher nicht besteuert wurde. Warum da permanent erklärt wird, das sei was Ungerechtes, kann ich nicht verstehen. Und das erkaufen wir uns – insofern haben Sie recht – mit dem Preis, dass wir sagen: Gut, für diejenigen, die in der Vergangenheit hier in Deutschland Steuern bezahlt haben, sinken die Zinssätze und die Steuersätze. Das ist ein Preis, den wir bereit sind, zu bezahlen, um insgesamt mehr Vermögen einer Besteuerung zu unterziehen. Ich glaube, dass das ein vernünftiger Kompromiss ist.

    Birke: Herr Gabriel, während wir jetzt dieses Gespräch führen, finden ja neue Schlichtungsbemühungen im öffentlichen Dienst statt. Was kann sich das Land Niedersachsen überhaupt an Tariferhöhung leisten?

    Gabriel: Wir haben ja den Gewerkschaften im öffentlichen Dienst unsere Position klar und deutlich gesagt. Ich sage Ihnen in aller Offenheit: Ich habe Verständnis für Menschen, die im Krankenhaus arbeiten, die bei der Polizei sind, die im Schichtdienst in der Justiz arbeiten, bei den Müllwerkern – die sagen: 'Leute, für uns wird das Leben auch teurer, wir brauchen eine Lohn- und Gehaltserhöhung, damit wir ganz normal weiter am Leben teilnehmen können'. Und wenn Sie sich mal überlegen, die fordern drei Prozent. Früher hätten wir wahrscheinlich Beifall geklatscht, wenn eine Gewerkschaft mit drei Prozent Lohnforderung angetreten wäre. Auf der anderen Seite sind die öffentlichen Kassen leer. Wir haben wachsende Aufgaben, insbesondere im Bereich der inneren Sicherheit, aber auch im Bildungssektor. Wir haben jetzt schon Schwierigkeiten, unsere Aufgaben zu finanzieren. Das heißt, wir sitzen zwischen Baum und Borke. Auf der einen Seite Verständnis dafür, dass – wie gesagt – insbesondere die Bereiche in Krankenhäusern, bei der Polizei und in den öffentlichen Verwaltungen, dass dort gesagt wird: 'Leute, wir verdienten hier keine Reichtümer, und deswegen brauchen wir eine Lohnerhöhung' – und auf der anderen Seite leere Kassen. Wie kommt man da raus? Wir haben unseren Gewerkschaften angeboten: Erstens, es wird hier nicht gekürzt. Ich halte überhaupt nichts davon, jemanden, der mit 1.200 Euro oder 1.000 Euro netto nach Hause geht, ans Weihnachtsgeld zu gehen oder ans Urlaubsgeld. Das finde ich eine abenteuerliche Forderung, die da manche in der Politik erhoben haben. Übrigens wird das insbesondere dann unverschämt, wenn die Politik zeitgleich ihre Diäten erhöht. Das ist ja auch so eine Art und Weise, anderen Leuten Wasser zu predigen und selber Wein zu trinken. Das kann nicht sein, also jedenfalls mit mir und mit Niedersachsen wird es so etwas nicht geben. Der zweite Punkt ist: Wir sagen, wir wollen auch nicht, dass Leute Realeinkommensverluste haben. Deswegen müssen wir den Inflationsausgleich zahlen . . .

    Birke: . . . das heißt, mit '3' vor dem Komma – ist durchaus realistisch?

    Gabriel: 'Also, Inflationsausgleich heißt, 1,2 – glaube ich – zurzeit . . .

    Birke: . . . wenn man die Ausfälle durch die Sozialversicherungsbeitragserhöhungen mit einnimmt, damit die Arbeitnehmer sich real gleichstellen, dann müsste man das doch auch kompensieren.

    Gabriel: Ja, ich wäre dafür, dass wir das nicht für alle gleichmachen, sondern mein Vorschlag ist: Hebt die unteren Einkommensgruppen stärker an als die oberen. Es wird ja oft geglaubt, alle Leute im öffentlichen Dienst verdienen so viel wie ein Ministerialdirigent oder wie jemand, der Lehrer ist oder Schulleiter. Das ist natürlich nicht so, sondern es gibt im öffentlichen Dienst auch niedrige Einkommen. Hebt die stärker an als die oberen. Das finde ich eine vernünftige Lösung. Die Leute brauchen Kaufkraft in der Tasche, und das brauchen vor allem die, die weniger verdienen. Deswegen wäre ich dafür, dass man so einen gestaffelten Tarifabschluss macht. Wie hoch der in der Summe sein soll, das wird ja derzeit in Bremen verhandelt in der Schlichtungsverhandlung.

    Birke: Sie können sich also durchaus eine '3' vor dem Komma in den unteren Einkommensgruppen vorstellen, und oben dann aber geringere Einkommenszuwächse?

    Gabriel: Ich glaube, dass eine '3' vor dem Komma bei den unteren auch nicht herauskommen wird. Ich mache jetzt keine%debatte, ich sage nur: Wir haben eine Chance, den Leuten, die wenig verdienen, mehr zu geben – und dafür oben deutliche Zurückhaltung zu üben. Das, glaube ich, ist ein vernünftiger Umgang mit der Tarifpolitik im öffentlichen Dienst.

    Birke: Herr Gabriel, die Finanzlage insgesamt aller öffentlichen Haushalte könnte sich ja noch dramatisch zuspitzen, wenn die mit 1,5 Prozent von der Bundesregierung angegebene Wachstumsprognose sich nicht bewahrheitet. Ich meine, die Experten gehen von 0,5 Prozent Wachstum, die Optimisten schon von einem Prozent Wachstum im laufenden Jahr aus. Schließen Sie denn da neue Steuererhöhungen zur Erschließung neuer Finanzquellen grundsätzlich aus?

    Gabriel: Ich weiß, dass hinter vorgehaltener Hand alle möglichen Leute über das Thema 'Mehrwertsteuer' reden. Das fand ich ja so ärgerlich in der Diskussion um die Vermögenssteuer, dass alle gesagt haben: 'Um Gottes Willen, nicht die Vermögenssteuer wieder einführen', aber hinter vorgehaltener Hand schon darüber schwadroniert haben, die Mehrwertsteuer anzuheben. Ich persönlich halte davon überhaupt nichts, weil Sie damit den Menschen wieder in die Tasche greifen. Es ist eben so, dass bei einer Erhöhung der Mehrwertsteuer die Kaufkraft der Menschen noch weiter verringert wird. Fragen Sie mal das Handwerk oder den Handel, was die davon halten, dass letztlich für die gleiche Leistung weniger Geld zur Verfügung steht, weil der Staat eine höhere Mehrwertsteuer kassiert. Wir können das nicht unendlich fortsetzen. Die Leute sind stinksauer darüber, dass sie hart arbeiten gehen, aber vom erarbeiteten Brutto immer weniger übrigbleibt. Und deswegen glaube ich, dass eine weitere Erhöhung der Mehrwertsteuer der falsche Weg ist.

    Birke: Welchen Weg schlagen Sie denn vor?

    Gabriel: Ich denke, dass wir in Deutschland versuchen müssen, mit den unterschiedlichen politischen Parteien über Wachstumsimpulse zu reden. Wir haben ja schon eine ganze Reihe Geschichten trotz der Wahlkämpfe vor Weihnachten hinbekommen. Ich fand es absolut richtig, zu sagen: Leute, lasst uns diese 400-Euro-Jobs von Sozialabgaben weitgehend befreien. Damit bringen wir Kaufkraft in die Bevölkerung. Ich fand es richtig, dass wir kleine Unternehmen jetzt durch den Vorschlag von Wolfgang Clement von vielen Regelungen im Steuerrecht und in der Bürokratie befreien, damit die schneller wachsen können und am Markt Erfolg haben. Ich finde überhaupt, dass das Thema 'Bürokratieabbau’ bei uns völlig unterschätzt wird. Das kostet uns keinen Pfennig Geld, aber es hilft, dass die Unternehmen schneller und flexibler am Markt arbeiten können – übrigens auch, dass wir Investitionen in die Infrastruktur schneller hinbekommen. Bei mir um die Ecke wird seit zwölf Jahren an einer 8-Kilometer-Ortsumgehung geplant. Das versteht kein Mensch. Das Geld ist vorhanden, aber die Planungsverfahren sind so unendlich kompliziert geworden, dass wir diese Straße nicht bauen können, obwohl sie für die Gesundheit der Bevölkerung dringend erforderlich ist und im Übrigen sogar Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft schafft. Das heißt, es gibt schon eine ganze Reihe an Möglichkeiten, etwas zu tun für die Wachstumsimpulse in Deutschland, das muss man nicht immer gleich mit Steuererhöhungen verbinden.

    Birke: 'Entbürokratisierung’ ist sicher ein wichtiges Schlagwort. Aber es geht ja um viel Grundsätzlicheres, wie sich ja auch im Strategiepapier aus dem Kanzleramt und in dem Papier, was der Minister Wolfgang Clement jetzt verfasst hat, widerspiegelt. Aber unterdessen scheint sich ja wieder ein Richtungsstreit über den Reformkurs in der Sozialdemokratischen Partei abzuzeichnen. Die SPD-Fraktionsvize Michael Müller und Gernot Erler haben das Strategiepapier kritisiert und fordern eben eher eine sozial mehr ausgewogene Reform.

    Gabriel: Also, ich kann überhaupt nicht erkennen, was an dem Papier sozial unausgewogen sein soll. Aber mal vorab: Eine Partei wie die SPD – hoffentlich auch in der CDU und in anderen Parteien – muss diskutieren. Etwas Schreckliches ist, dass auf der einen Seite von den Parteien verlangt wird, sie sollen sich überlegen, was sie tun. Dazu gehört Beratung und Diskussion und gelegentlich auch Streit in der Sache. Auf der anderen Seite wird dann immer gejammert, wenn sich Politiker einer Partei über bestimmte Fragen nicht einig sind. Also, wir müssen uns in Deutschland mal entscheiden: Wollen wir stumme Parteien - das sind meistens auch dumme Parteien -, oder wollen wir welche, bei denen in der Sache gerungen wird? Und dann muss man auch eine Debatte führen dürfen ohne dass immer gleich jemand kommt und sagt: Um Gottes Willen, es ist schon wieder ein Richtungsstreit im Gange. Worum geht es? Ich finde es absolut richtig, dass der Reformkurs der letzten Legislaturperiode, der ja Erfolge gehabt hat – Rentenversicherung, Schuldenabbau – dass wir den fortsetzen. Die letzten acht Wochen oder die ersten acht Wochen nach der Bundestagswahl gab es ja doch erhebliche Irritationen darüber, dass wir den Eindruck vermittelt haben, dass wir das nicht tun. Ich bin froh darüber, dass der Kanzler und insbesondere Wolfgang Clement jetzt sagen: Wir wollen diesen Reformkurs engagiert fortsetzen. Wir müssen die Sozialsysteme umbauen. Das ist keine Frage der Politik sondern der Mathematik. Wenn mehr Menschen Gott sei Dank älter werden, aber weniger Menschen kürzer arbeiten, dann stimmen die Formeln nicht mehr, auf denen Rentenversicherung und Krankenversicherung aufgebaut worden sind. Und deswegen muss man ran und muss die Sozialsysteme verändern. Und dafür gibt es kluge Vorschläge in den Papieren, die man jetzt allerdings auch diskutieren darf. Ich finde beides falsch: Denkverbote aber auch Redeverbote.

    Birke: Herr Gabriel, der Bundeskanzler, den Sie eben ja auch angesprochen haben, hat ja in seiner Neujahrsansprache das noch mal unterstrichen, indem er gesagt hat, wir werden unseren Wohlstand nur erhalten können, wenn wir gemeinsam den Mut auch zu grundlegenden Veränderungen aufbringen. Welche unpopulären Entscheidungen, denn um nichts anderes kann es ja dabei gehen, sehen Sie denn, um die Nachhaltigkeit der Reformen zu unterstreichen.

    Gabriel: Ja sehen Sie, da bin ich völlig anderer Meinung als Sie. Ich glaube, dass es sehr populäre Entscheidungen sind, um die es geht. Wir vermitteln nur immer den Eindruck, als wäre das alles unpopulär. Wenn wir sagen: "Leute, wir müssen in der Rente und in der Gesundheitsvorsorge darüber reden, welche Maßnahmen wir eigentlich noch bezahlen können und welche nicht", dann hört sich das unpopulär an. In Wahrheit ist das für große Teile der Bevölkerung ganz populär, zum Beispiel für alle Jüngeren.

    Birke: Müsste man die Rentner in dem Sinne stärker auch an der derzeitigen Krisenfinanzierung beteiligen, sprich zum Beispiel die Rentenerhöhung aussetzen?

    Gabriel: Wir haben gerade einen anderen Weg gewählt, als denen die Rentenerhöhung aussetzen . . .

    Birke: . . . in Zukunft?

    Gabriel: Sie müssen mich mal aussprechen lassen. Ich habe eben versucht, zu erläutern, dass es sehr populäre Maßnahmen sind, indem wir den jüngeren Leuten sagen: "Hört mal zu, auf Dauer wollen wir nicht, dass Ihr so hohe Sozialabgaben zahlt, denn wir wissen, dass Ihr mit Euren Kindern auch noch mal in Urlaub fahren wollt oder Euch ein Haus kaufen wollt. Das alles könnt Ihr nicht mehr, wenn die Steuern und Abgabenbelastungen weiter so wachsen." Und das wissen die jungen Leute auch. Kein Mensch von denen glaubt doch noch, dass sie das, was sie heute bezahlen, mal selber wieder zurückbekommen. Und deswegen ist es eine sehr populäre Maßnahme, zu sagen, die Reformen der sozialen Sicherungssysteme sollen dazu führen, dass junge Familien entlastet werden. Und den älteren Menschen sagen wir: Wir müssen die sozialen Sicherungssysteme reformieren, damit der Mittelstand in Deutschland junge Leute einstellen kann. Und nur, wenn die Arbeit finden, dann ist eure Rente und Pflege überhaupt bezahlbar. Die Frage, die Sie stellen: Müssen wir den Rentnern Zumutungen zumuten, das ist wieder so eine Katastrophen- oder Tatarenmeldung, es geht um Rentenkürzung. Das ist doch Unsinn. Es geht darum, dass diese Gesellschaft wieder Arbeit braucht, damit Renten überhaupt bezahlt werden. Man muss, finde ich, mal die Ziele dieser Politik deutlich machen. Stattdessen verheddern wir uns immer gleich in irgendwelchen Einzelvorschlägen. Es geht darum, für die, die jetzt arbeiten, die Belastungen erträglich zu halten. Und es geht für die, die jetzt in Rente sind oder krank werden, dafür zu sorgen, dass immer noch genug Menschen Lohn und Arbeit finden, damit die sozialen Sicherungssysteme bezahlt werden können. Darum geht es in Deutschland.

    Birke: Plädieren Sie zum Beispiel dann für Beitragsrabatte in der Rentenversicherung für Familien mit Kindern?

    Gabriel: Also, ich plädiere erst mal bei der Rentenversicherung dafür, dass wir den Weg, den wir eingeschlagen haben, nämlich eine Dreiteilung zwischen gesetzlicher Rentenversicherung, zwischen betrieblicher Altersvorsorge und kapitalgedeckter Eigenvorsorge, fortzusetzen. Da werden wir einiges entbürokratisieren müssen, damit das schneller vorangeht. Dann als zweites geht es um die Gesundheitsreform. Da geht es erst mal darum, dass wir mal Gesundheit belohnen und nicht immer Krankheit. Was wir haben, ist ein System, bei dem am meisten dann verdient wird, wenn einer krank wird. Statt dessen wäre es gut, wir würden jemanden, der Vorsorge betreibt, der sich darum kümmert, dass er gesund bleibt, dass wir dem Bonuspunkte geben, damit mal für die Patienten – oder besser gesagt für die Versicherten – Gesundheit belohnt wird und nicht immer nur umgekehrt möglichst wenig für Vorbeugung getan wird, damit hinterher alle möglichen Institutionen sehr viel daran verdienen können, wenn jemand krank wird.

    Birke: Herr Gabriel, Sie begrüßen also in dem Sinne durchaus die Vorschläge, wie sie zum Beispiel von der Barmer Ersatzkasse kommen, dass man die Beiträge von Menschen differenziert, die sich erhöhten Risiken aussetzen. Also das heißt, dass Raucher oder Übergewichtige Menschen höhere Beiträge zahlen?

    Gabriel: Also, da ich ja zu den Übergewichtigen gehöre, müsste ich ja eigentlich sagen: Nein. Aber ich bin nicht dafür, dass man Maluspunkte einführt, sondern Bonuspunkte. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie eben vorgeschlagen haben, oder was Sie zitiert haben von der Barmer. Es geht nicht, dass man den Leuten droht. Wenn man sagt: Pass mal auf, wenn da einer ist, der macht Sport, der macht sein Sportabzeichen, der kümmert sich darum, dass er zu Vorsorgeuntersuchungen geht, der kümmert sich um seine Zahnpflege und und und . . . , dass das dazu führt, dass seine Versicherungsbeiträge sinken, er Bonuspunkte bekommt. Ich möchte gerne diejenigen, die sich bemühen, belohnen und nicht schon wieder Angst und Schrecken bei allen möglichen anderen verbreiten.

    Birke: Nun gibt es ja ziemlich radikale Vorschläge, auch gerade, was die Reform in Gesundheitswesen anbetrifft. So hat das Rürup-Kommissionsmitglied Raffelhüschen ja gefordert, man möge längerfristig den ganzen zahnärztlichen Versorgungsbereich ausklammern und ohnehin Selbstbehalte bis zu 900 Euro einführen. Halten Sie so einen Weg für gangbar?

    Gabriel: Ich empfehle jedem Kommissionsmitglied, die in der Regel hoch bezahlte Leute sind, einfach mal zu einem Handwerksgesellen zu gehen und zu fragen: Sag mal, wie viel verdienst denn Du, was machst Du so mit Deinem Geld und wie viel bleibt am Ende des Monats übrig? Und vielleicht wächst dann das Verständnis dafür, dass solche Forderungen unsinnig sind beziehungsweise für Menschen, die normale Einkommen haben sogar gefährlich sind. Also, ich halte von so was gar nichts. Das ist wieder so eine Drohmeldung, die die Leute in Angst und Schrecken versetzt. Und das liegt manchmal daran, dass in solchen Kommissionen sagen wir mal der fälschliche Eindruck entsteht, alle Menschen würden so viel verdienen, wie die Kommissionsmitglieder.

    Birke: Herr Gabriel, kommen wir nun ein bisschen auf die Außenpolitik, die ja auch wie ein Schatten über der Bundesrepublik, auch vielleicht über Ihrer Wahl liegt, nämlich die Irak-Frage, weil die Rolle der SPD und die Position der SPD vom Bürger nicht nachvollzogen werden kann. Mit einem kategorischen 'Nein’ vor der Wahl hat Gerhard Schröder gesagt: Unter keinen Umständen eine deutsche Beteiligung am Irak-Krieg. Und mittlerweile wird sogar darüber sinniert, ob man nicht dem UN-Sicherheitsrat einem solchen Krieg zustimmt. Es wird deutsche Besatzungen in Awacs-Maschinen geben. Kann man hier überhaupt noch eine Trennlinie ziehen?

    Gabriel: Also, deutsche Besatzungen in Awacs-Maschinen gibt es jetzt schon, und die gibt es, seit es Awacs gibt. Das gehört zum NATO-Sicherheitssystem, und es wäre fatal, wenn die Bundesrepublik Deutschland erklären würde, wir steigen aus dem Awacs-System aus. Da wird viel über ein System geredet, von dem Menschen offensichtlich, die darüber reden, nicht all zu viel verstehen.

    Birke: Aber wo ist der Unterschied, wenn ein Awacs-Aufklärer über der Türkei fliegt und dann in den Nordirak schaut. Sind wir dann nicht an dem Krieg womöglich beteiligt, wenn er denn kommt?

    Gabriel: Also, ich würde erst dann eine Beteiligung sehen, wenn das Awacs-Flugzeug dort sozusagen Feuerleitstellungen unterstützt, die einen Krieg im Irak führen. Das ist aber überhaupt nicht der Fall, sondern es geht darum: Die kucken ja heute schon rein, und zwar auf Beschluss der Vereinten Nationen. Es geht da um die Überwachung bestimmter Flugverbotszonen. Aber an sich ist es erst mal ein Schützen der Außengrenze der NATO, und das halte ich übrigens auch für sinnvoll, dass das gemacht wird. Bei uns wird jetzt wieder ganz viel versucht, durcheinander zu schmeißen. Erstens: Der Bundeskanzler hat zum Thema UN-Sicherheitsrat nach meinem Kenntnisstand überhaupt noch keine Position eingenommen, sondern es bleibt dabei, die Bundesregierung will sich an einem Irak-Krieg nicht beteiligen, was ich auch für richtig halte. Zweitens . . .

    Birke: . . . Der Bundeskanzler hat aber nicht ausgeschlossen, dass Deutschland im Sicherheitsrat womöglich mit 'Ja’ stimmt.

    Gabriel: Also, erst mal habe ich gelesen, dass der Bundesaußenminister eine solche Diskussion führt. Ich würde doch mal vorschlagen - jetzt hat Deutschland eine ganz wichtige Funktion. Sie sollen nämlich Vorsitz und damit auch Vermittlung vornehmen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Ich halte es überhaupt nicht für klug, vorher darüber zu spekulieren, was Deutschland da eigentlich tun soll. Wenn sie das Vorsitzland sind, dann haben sie da eine ganz wichtige Funktion, insbesondere in der Verständigung der Mitglieder des Sicherheitsrates. Wenn wir hier vorher öffentlich in der Politik darüber spekulieren, wie sich denn das Vorsitzland verhält, ob das eine besonders kluge Entscheidung ist, das wage ich zu bezweifeln. Deswegen werde ich mich an der Spekulation auch nicht beteiligen. Klar ist: Die Bundesregierung Deutschland beteiligt sich nicht an dem Irak-Krieg.

    Birke: Sie sehen auch nicht die Beteiligung schon implizit dadurch gegeben, dass zum Beispiel deutsche Soldaten amerikanische Stützpunkte dann in einem solchen Fall in der Bundesrepublik absichern, dass womöglich die Spürpanzer weiter in der Region bleiben?

    Gabriel: Also, die Spürpanzer sind, wenn ich das richtig weiß, in Kuwait und nicht im Irak. Da sind sie aus guten Gründen. Warum man sie da abziehen soll, weiß ich nicht. Da müssten ja die guten Gründe wegfallen. Und dass die Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet ist, diejenigen Stützpunkte der USA, die Deutschland sind, zu schützen vor möglichen terroristischen Überfällen, ich meine, das versteht sich von selbst. Also, das wird wirklich langsam eine abenteuerliche Debatte. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir jetzt hier so tun, als könnte eine Entscheidung des Sicherheitsrates oder der USA im Irak dazu führen, dass wir erklären: Nun erklären wir mal die Amerikaner hier in Deutschland zum Freiwild. Ich meine, wo sind wir jetzt eigentlich inzwischen. Es geht um eine schlichte Frage: Beteiligen sich deutsche Soldatinnen und Soldaten am Krieg im Irak und gegen den Irak. Es geht nicht um die Frage, ob Deutschland bereit ist, Israel zu schützen. Es geht nicht um die Frage, ob Deutschland bereit ist, amerikanische Soldaten zu schützen. Das ist selbstverständlich so. Aber wir können natürlich in Deutschland auch jedes Thema wirklich zur Hysterie reden. Ich halte das wirklich für abenteuerlich.

    Birke: Aber Herr Gabriel, können Sie denn dem Bürger wirklich klarmachen, dass, wenn man vorher kategorisch 'Nein’ zu einer deutschen Beteiligung an einem solchen Krieg gesagt hat, denn diesen Krieg, zu dem man aus deutscher Sicht 'Nein’ sagt, im UN-Sicherheitsrat eventuell für gut hält?

    Gabriel: Die Frage stellt sich doch für mich noch überhaupt nicht. Sie haben mich eben gefragt nach Awacs, nach deutschen Soldaten, die hier in Deutschland amerikanische Einheiten schützen, darauf habe ich geantwortet. Die Frage des UN-Sicherheitsrates stellt sich für mich zurzeit überhaupt nicht. Da muss man abwarten, wie die Beratungen da laufen. Und jetzt zu sagen, Deutschland wird da zustimmen oder ablehnen zu einem Zeitpunkt, wo nach meinem Eindruck die Amerikaner erhebliche Probleme haben, der Weltöffentlichkeit klar zu machen, warum sie überhaupt einen Krieg im Irak führen wollen, das halte ich für ein Problem. Aber der Bundesaußenminister muss wissen, warum er diese Debatte begonnen hat. Ich bin froh, dass der Bundeskanzler die jedenfalls nicht geführt hat.

    Birke: Herr Gabriel, zum Schluss noch mal ganz kurz die Frage: Sollte es zu einer Niederlage der SPD in Niedersachsen kommen, bleiben Sie als Oppositionsführer in Hannover?

    Gabriel: Sie sind ja witzig. Sie fragen einen, der mitten im Wahlkampf ist und der den Wahlkampf gewinnen will, was ist eigentlich, wenn Sie verlieren. Das ist wie so ein Sportler, der die Absicht hat, den 100-Meter-Lauf zu gewinnen – was ist, wenn Sie als Letzter durchs Ziel gehen. Das ist wie im Sport. Man muss sich mental auf eine Sache konzentrieren – und die heißt: Erfolg. Und über Misserfolg, darüber denkt man nach, wenn – was der Herrgott verhüten möge – er eintritt, aber nicht vorher.

    Birke: Aber der Kanzler hat ja dann wie im Falle von Herrn Eichel oder Herr Klimmt dann immer noch eine Position eventuell bereit?

    Gabriel: Beim Deutschlandfunk – oder wo?

    Birke: Im Kabinett.