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Gabriel Bianco
Ein Meister der Gitarre

"Capricci" heißt das neue Album von Gabriel Bianco. Der junge Franzose demonstriert auf beeindruckende Weise, dass die Gitarre in der klassischen Musik völlig zu Unrecht häufig nur Zaungast ist. Mithilfe von sechs Saiten schafft er ein kleines Orchester.

Von Raoul Mörchen | 12.07.2015
    Eine Gitarre
    In den letzten Jahren hat sich Gabriel Bianco als einer der besten Gitarristen seiner Generation profiliert. (picture alliance / dpa)
    Mit Raoul Mörchen, guten Morgen. Sie hat viele Vorfahren und eine Geschichte, die so lang und verzweigt ist, dass sich ihre Anfänge im Dunkel verlieren. Über ihre Herkunft streiten die Gelehrten zuweilen noch heute. Einig sind sie sich, dass kaum ein anderes Instrument so alt ist und so weit verbreitet wie die Gitarre. In der klassischen Musik ist sie dennoch ein Zaungast – was kaum zu begreifen ist, wenn man den jungen Franzosen Gabriel Bianco spielen hört. Auf seinem neuen Album "Capricci", erschienen beim Label "Ad Vitam Records", führt uns Bianco mit seiner Gitarre ganz souverän durch vier Jahrhunderte italienische Musikgeschichte, von der Romantik über den Barock zurück bis zur Renaissance.
    Francesco da Milano: Fantasia
    Als Francesco da Milano diese Fantasie schrieb, zu Beginn des 16. Jahrhunderts, war von der Gitarre noch keine Rede. Zumindest nicht von der Gitarre, die wir heute kennen. Viele Begriffe kursierten für eine Vielzahl von Formen dieses Instruments, mit zum Teil gravierenden Unterschieden in der Bau- und Spielweise, Unterschieden, die vor allem lokalen Traditionen geschuldet waren. Die Gitarre im Italien des Francesco da Milano war kaum halb so groß wie heute, der Körper wesentlicher schlanker, die Rückseite, der Boden, gewölbt, nicht flach, das Griffbrett bezogen mit lediglich vier Saiten, manchmal auch schon fünf, nicht aber mit sechs wie beim modernen Instrument.
    Allerdings dachte Francesco da Milano auch gar nicht an diese alte italienische Gitarre, als er seine ungemein populären Fantasien schrieb, sondern an die Laute, die adelige Schwester gewissermaßen. "Intavolatura di Lauto" stand auf den Sammelbänden, in denen da Milano seine Werke in ganz Europa verkaufte – doch Gitarristen können auf solche Feinheiten keine Rücksicht nehmen. Weil so wenige Komponisten Werke ausdrücklich für ihr Instrument geschrieben haben, sind sie es gewohnt, über den eigenen Zaun zu schauen zu den Nachbarn und ihrem Repertoire. So ein Nachbar kann die Laute sein oder ein anderes verwandtes Zupfinstrument, ja sogar das Cembalo. Und daher beginnt Gabriel Bianco seine neue Platte denn auch ganz selbstbewusst mit drei Cembalosonaten von Domenico Scarlatti.
    Scarlatti: Sonate K 53
    Musik, komponiert für das Cembalo, gespielt auf der Gitarre. Darüber die Nase zu rümpfen, ist zumindest dort unangebracht, wo der Transfer von einem Instrument aufs andere so mühelos klappt wie bei Gabriel Bianco. 1988 in Paris geboren, hat sich Bianco in den letzten Jahren als einer der besten Gitarristen seiner Generation profiliert. An Preisen hat er so gut wie alles abgeräumt, was es abzuräumen gibt, hat seine Konzerttourneen auf ganz Europa ausgedehnt, auf Süd- und Nordamerika und auf Asien, ein Gitarren-Quartett gegründet und bereits eine ganze Reihe von CD-Einspielungen vorgelegt. Seine Auftritte werden von der Fachkritik mit Begeisterung besprochen, und doch ist Gabriel Bianco kein Star.
    Das liegt wohl weniger an ihm selbst, es liegt vielmehr am Instrument. Denn so alt die Gitarre auch ist und so weit verbreitet: auf den Podien der klassischen Konzerthäuser trifft man sie sehr selten, und es ist noch nicht lange her, dass selbst renommierte Musikhochschulen beim Vorschlag, eine Gitarrenklasse einzurichten, die Nase rümpften. "Gitarre", das Wort verbanden und verbinden noch immer viele mit "Klampfe", mit Schlager, Volks- und Wanderliedern oder mit Laienmusik. Wer dann allerdings einen so klugen und virtuosen Musiker wie Gabriel Bianco hört, dazu mit einem so breit gefächerten und anspruchsvollen Repertoire, wird umdenken müssen. Und sich vermutlich über manches wundern. Wer weiß zum Beispiel schon, dass Niccolo Paganini, der größte Geiger seiner Epoche, ein begnadeter Gitarrist war und für die Gitarre, rein rechnerisch zumindest, sogar mehr Noten geschrieben hat als für die Geige?
    Paganini: Grande Sonate, I.
    Niccolo Paganini, Grande Sonate – auch hier hat Gabriel Bianco ein wenig geschummelt: denn obwohl Paganini über 100 Werke für Gitarre solo geschrieben hat, ist dieses hier ursprünglich ein Duo gewesen - zur Gitarre kam eigentlich noch eine Geige. Bianco greift also noch einmal zur Bearbeitung, wieder mit Gewinn. Denn in der wunderbaren Differenzierung zwischen der akkordischen Begleitung und der gesanglichen Melodielinie demonstriert der junge Franzose den großen Reichtum an Nuancen, die er seinem Instrument entlocken kann. Waren es bei den Lautenfantasien von da Milano und den Scarlatti-Sonaten nur zwei Stimmen, die mit einander konkurrierten, so verdichtet sich der Tonsatz bei Paganini zur Vielstimmigkeit. Dazu kommt, vor allem im Finale, ein virtuoses Passagenwerk, das schon im Original auf der Geige schwer auszuführen ist – auf der Gitarre geht es an die Grenze des Machbaren. Doch möchte man an Technik gar nicht denken: selbst im Getümmel der 16tel und 32tel-Läufe bleibt Bianco gelassen, spielt mit Echowirkungen und Schattierungen, verändert blitzschnell die Artikulation, lässt hier Töne trocken schnarren und dort gleich wieder offen strahlen, setzt hartes Staccato an weiche Bögen, moduliert Tempo und Dynamik, kurz, macht aus seiner Gitarre ein kleines Orchester…
    Paganini: Grande Sonate, III.
    Die meisten Stücke auf seinem neuen Album, auch diese Sonate von Paganini, hat sich Gabriel Bianco für sein Instrument erst zurechtgelegt, hat sie arrangiert oder Arrangements von anderen übernommen. Für das Finale allerdings hat Bianco Originale gewählt: zwei Etüden und ein Capriccio von Giulio Regondi: Gitarrenfans schnalzen beim Namen Regondi mit der Zunge, schließlich hat sie der italienische Romantiker mit Werken reich beschenkt – alle anderen schauen verwundert drein. Giulio Wer? Aber so ist das bei der Gitarre: sie ist ein Fall für Liebhaber. Die werden, ganz nebenbei, vermutlich noch ausgiebig darüber diskutieren wollen, wie Gabriel Bianco es schafft, so gut zu spielen in einer so merkwürdigen Haltung: Die beiden Fotos von ihm im Booklet sind nicht etwa gestellt, sie zeigt den jungen Franzosen tatsächlich in seiner typischen Spielpose; den Gitarrenhals nicht wie üblich leicht, sondern beinahe senkrecht nach oben gerichtet, so als wolle Bianco mit den Augen ganz nah dabei sein, wenn seine Finger über die Bünde huschen
    Regondi: Etüde Nr.1
    Das war die Etüde Nummer 1 von Giulio Regondi, gespielt von dem jungen französischen Gitarristen Gabriel Bianco. "Capricci" heißt seine neue Platte mit italienischer Gitarrenmusik von der Renaissance bis zur Romantik. Erschienen ist die CD beim Label Advitam Records, sie wurde Ihnen vorgestellt von Raoul Mörchen.
    Vorgestellte CD:
    Gabriel Bianco - Capricci (Musique Italienne pour Guitare)
    Künstler: Gabriel Bianco (Gitarre)
    Label: Ad Vitam
    Bestellnummer: 7572262