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Gabriel fordert Klartext der Regierung in NSA-Affäre

Die Bundesregierung versuche, den Kern der Debatte um den NSA-Skandal zur Seite zu drängen, damit sich die Abgeordneten in parteipolitischen Spielchen verlieren, kritisiert der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Man müsse den Amerikanern endlich Grenzen aufzeigen.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Christoph Heinemann | 26.07.2013
    Christoph Heinemann: Die Bundesregierung Schulter an Schulter mit dem amerikanischen Volk – nach den Terroranschlägen vom 11. September, die zum Teil in Deutschland vorbereitet wurden, kündigte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die uneingeschränkte Solidarität mit den USA an. Und er ließ Taten folgen: Seit an Seite mit der US-Regierung führte Schröder die Bundeswehr in den Afghanistan-Krieg. Natürlich arbeiten dort nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern auch die Geheimdienste zusammen.

    Insofern wundert sich ein Mitarbeiter eines deutschen Dienstes, wie die Wochenzeitung "Die Zeit" berichtet, über die Aufregung in der Politik, als nun herauskam, dass der Verfassungsschutz gegenwärtig das US-Programm XKeyscore ausprobiert. Damit können außer Telefon- und Mailverbindungen auch GPS-Daten, Skype-Gespräche und Suchvorgänge ausgewertet werden. Gestern unterrichtete Kanzleramtsminister Ronald Pofalla die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages. Am Telefon ist Sigmar Gabriel, der Vorsitzende der SPD. Guten Morgen!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Gabriel, wir haben Michael Grosse-Brömer gehört. Verliert sich die SPD da in der eigenen Gesetzgebung?

    Gabriel: Das ist das übliche Spiel, dass Parteien sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Ich meine, es ist doch ein Unterschied, nach einem schweren Attentat in New York vor mehr als zehn Jahren zu sagen, wir arbeiten stärker zusammen, und dem, was heute passiert, eine flächendeckende Abhörung durch die amerikanischen Geheimdienste, durch den britischen Geheimdienst mit 15 Millionen Mails am Tag. Ich meine, das ist nie vereinbart worden, weil es nämlich gegen deutsches Gesetz und Recht verstößt. Und worum es eigentlich geht, ist doch nicht dieses Pingpong-Spiel, das da jetzt sozusagen im Wahlkampf stattfindet, sondern die Frage, wie verhindern wir, dass amerikanische Geheimdienste in Teilen unter Mithilfe deutscher Geheimdienste die Verfassung in Deutschland aushebeln und gegen deutsches Strafrecht verstoßen. Darum muss es doch gehen und der Kern der Debatte, der soll jetzt so ein bisschen an die Seite gedrängt werden, damit wir uns dann in irgendwelchen parteipolitischen Spielchen verlieren. Ich glaube, dass das nicht besonders hilfreich ist.

    Heinemann: Will die Bundesregierung aufklären?

    Gabriel: Ich glaube, die Bundesregierung weiß schon und wusste schon, was deutsche Geheimdienste mit den Amerikanern da treiben, und natürlich ist es erstaunlich, dass Herr Pofalla für diese Erklärungen jetzt acht Wochen gebraucht hat. Und ich meine, der Treppenwitz dieser Auseinandersetzung ist doch, dass die deutsche Öffentlichkeit und das Parlamentarische Kontrollgremium von dem Streit innerhalb der deutschen Geheimdienste auch mit Regierungsstellen durch amerikanische Geheimdienstberichte erfährt, die bei uns dann sozusagen über Herrn Snowden und über den "Spiegel" und andere öffentlich geworden sind. Das ist doch ein Treppenwitz, dass so etwas nicht in dem Kontrollgremium besprochen wird, dass die Bundesregierung nicht kommt und sagt, bei uns gibt es im Geheimdienst Debatten über die Frage, ob es nicht hilfreich ist, bestimmte Artikel zur Kontrolle der Geheimdienste anders zu gestalten, sondern wir erfahren das vom amerikanischen Geheimdienst über ein Datenloch. So kann es doch nicht gehen.

    Heinemann: Herr Gabriel, können Sie beweisen – noch mal: beweisen! -, dass die Bundesregierung das wusste, was da beim NSA vor sich ging?

    Gabriel: Herr Heinemann, ich muss gar nichts beweisen.

    Heinemann: Doch! Wenn Sie das behaupten, schon!

    Gabriel: Gar nichts! Ich lese Zeitung und ich erwarte eigentlich nur eine einzige Angelegenheit. Wissen Sie, Politiker und Parlamentarier sind keine Staatsanwaltschaften. Sondern wenn dort drinsteht, dass 15 Millionen Mails abgehört werden, ist das einfachste, was normalerweise in einem Rechtsstaat passiert, dass die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren prüft, zum Beispiel, indem sie beantragt, im Ausland Herrn Snowden als Zeugen zu vernehmen, zum Beispiel, indem sie die Verantwortlichen von NSA und BND, die in Deutschland leben, verhört und als Zeugen vernimmt. Nichts davon passiert, sondern über Monate inzwischen wird das alles versucht, irgendwie wegzudrücken, weil offensichtlich jemand Angst davor hat, mit den Amerikanern Klartext zu reden.

    Vorhin ist ja Gerhard Schröder zitiert worden als SPD-Kanzler, der hatte den Mut, den Amerikanern beim Irakkrieg das zu sagen, wir machen nicht mit. Die Bundesregierung muss deutsches Recht und deutsche Interessen vertreten und ich finde es eigentlich ganz normal, dass der Rechtsstaat jetzt mal prüft, stimmt das eigentlich alles, und wenn ja, dann muss ein Ermittlungsverfahren begonnen werden.

    Heinemann: Wobei hinter die Frage, stimmt das alles, Sie auch ein Fragezeichen setzen würden, behaupten aber trotzdem weiterhin, die Bundesregierung habe das gewusst. Das haben Sie gerade eben gesagt.

    Gabriel: Ja, weil ich ehrlich gesagt nicht hoffe, dass noch etwas viel Schlimmeres passiert ist, nämlich dass die Bundesregierung nicht weiß, was der Geheimdienst dort tut. Ich meine, das wäre ja noch viel schlimmer.

    Heinemann: Der Geheimdienst NSA? Woher sollen die das denn wissen?

    Gabriel: Der BND. Der BND arbeitet, der Bundesnachrichtendienst arbeitet mit dem NSA, mit den Amerikanern zusammen, und offensichtlich kennen die die Programme. Diese Programme sind in der Lage, ich wiederhole, 15 Millionen Mails pro Tag in Deutschland abzuhören. Es ist doch auch verrückt, dass jetzt erklärt wird, es gibt drei Prism-Programme, drei Abhörprogramme. Das ist ein Verwirrspiel, um in der Öffentlichkeit am Ende alle Leute abwinken zu lassen und zu sagen, die sagen uns sowieso nicht die Wahrheit. Ich finde, worum es jetzt geht, muss sein, wie schützen wir die Deutschen und vor allen Dingen übrigens auch die deutsche Wirtschaft vor der Spionage anderer Geheimdienste. Die Briten geben sogar offen zu, um was es geht, nämlich nicht um Terrorbekämpfung, sondern um Wirtschaftsspionage. Wir sind Forschungs- und Entwicklungsstandort. Es kann doch nicht sein, dass wir das einfach hinnehmen!

    Heinemann: Wie soll denn die Bundeskanzlerin der US-Seite gegenübertreten? Die Kavallerie-Drohungen gehören ja nicht zu ihrem Instrumentarium, und zum Glück, möchte man hinzufügen.

    Gabriel: Die Kavallerie ist im Zeitalter des Internets eine auch ein bisschen schwierige Drohung. Es geht auch nicht darum, dass man den Amerikanern droht, sondern dass man ihnen sagt, dass wir erwarten, dass in Deutschland deutsches Recht eingehalten wird – erstens dadurch, dass wir sagen, es gibt kein Freihandelsabkommen mit Zustimmung Deutschlands zwischen Europa und den USA, solange ihr Regierungsstellen abhört. Ich meine, es kann doch nicht sein, dass ein Partner die EU-Kommission abhört. Das hat auch mit Terrorbekämpfung nichts zu tun. Man mag ja die EU-Kommission und alles mögliche kritisieren, aber Terroristen sitzen da ganz bestimmt nicht.

    Das zweite ist: Ich finde, wir verpflichten mal gesetzlich alle in Deutschland tätigen Telekommunikationsunternehmen, egal ob es amerikanische, englische oder deutsche sind, die Daten, die sie in Deutschland nutzen, zu verschlüsseln. Es wird Ihnen jeder Experte sagen, dass damit die Überwachung, jedenfalls eine flächendeckende Überwachung, sehr, sehr kompliziert und schwierig wird.

    Heinemann: Wie lange wird es dauern, bis ein hochgerüsteter Geheimdienst diese Feld-, Wald- und Wiesenverschlüsselung meinetwegen von Telekommunikationsunternehmen geknackt hat?

    Gabriel: Ich weiß nicht, wie Sie auf die Idee kommen, dass ich über Feld-, Wald- und Wiesenverschlüsselung rede. Sie können ja mal Constanze Kurz vom Chaos Computerclub zum Interview einladen, die wird Ihnen sagen, …

    Heinemann: Tun wir regelmäßig!

    Gabriel: Ja dann fragen Sie die doch mal! Die haben ja solche Vorschläge entwickelt, dass das es erheblich schwieriger macht, weil einfach die massenhafte Entschlüsselung von unterschiedlichen Verschlüsselungstechnologien der Unternehmen sehr kompliziert wird. Der nächste Schritt ist, dass wir die Breitbandverkabelung in Deutschland ausbauen müssen, weil das Dezentralität schafft. Wissen Sie, wir leben davon, dass wir die Erfindungen unserer Unternehmen und der Wissenschaft, dass das Erfolg, wirtschaftlichen Erfolg im Export bringt. Und es kann nicht sein, dass wir, egal wer das macht, ob Chinesen oder Amerikaner oder Briten, zulassen, dass das ausspioniert wird. Das schadet unserer Volkswirtschaft.

    Heinemann: Herr Gabriel, wiegt man bei dem Vorschlag der Verschlüsselung denn nicht die Nutzer in möglicherweise falscher Sicherheit? E-Post-Briefe zum Beispiel werden nur bis zur Rechnerzentrale der Betreiber verschlüsselt und dort wieder in Klartext umgewandelt. Das heißt, man könnte auch dort Daten anzapfen. Abgesehen davon, dass die Verbindungsdaten sie ja trotz Verschlüsselung bekommen.

    Gabriel: Wir wollen es schwerer machen. Unmöglich kann ich Abhöraktionen nicht machen. Aber es geht doch darum, dass wir jetzt mal Schritte unternehmen, um nicht nur dieses Wahlkampf-Hickhack zu organisieren. Übrigens wir werden in den nächsten Jahren ja immer mehr in die Situation kommen, dass wir an der Cloud-Technologie im Internet an Microsoft hängen, an amerikanischen Unternehmen, die ja – und das ist nun offensichtlich – weit stärker mit dem amerikanischen Geheimdienst zusammenarbeiten, als das von Gesetzeswegen gefordert wird. Das, finde ich, ist ja das eigentlich Neue. Deswegen ist auch der Vorwurf, die SPD hätte das genauso gemacht, völliger Unfug. Das Neue ist doch, dass wir zum ersten Mal Privatunternehmen haben, die Milliarden Daten sammeln - Facebook gab es vor zehn, elf Jahren nicht -, und dass diese Daten mit den Daten des Geheimdienstes verschnitten werden. Sie haben sozusagen einen privaten Datenanteil und sie haben einen staatlichen, und diese Technologien gab es früher nicht. Dagegen muss man auch technologisch was machen!

    Heinemann: Wobei die SPD bis 2009 in der Bundesregierung war, kurz zur Erinnerung.

    Gabriel: Entschuldigung, Herr Heinemann! Versuchen Sie doch nicht, der Bevölkerung über das Interview den Eindruck zu vermitteln, der nicht stimmt. Die Kontrolle ist nicht in der Bundesregierung, sondern in dem Bundeskanzleramt. Ich war Mitglied dieser Bundesregierung. Ich bin nicht ein einziges Mal im Kabinett auch nur angesprochen worden auf die Kontrolle der Geheimdienste. Übrigens das muss auch kein Kanzleramt. Sondern es ist ganz bewusst so, dass die Kontrolle der Geheimdienste direkt im Bundeskanzleramt sitzt.

    Heinemann: Herr Gabriel, Sie haben das Wort "Wahlkampf-Hickhack" eingeführt in das Gespräch. Ganz kurz: Warum nutzen die Enthüllungen über diese Abhörerei laut Umfragen zumindest der Opposition nicht und schaden auch der Regierung nicht? Im Gegenteil: im letzten ARD-Deutschlandtrend CDU plus ein Prozentpunkt, SPD minus ein Prozentpunkt.

    Gabriel: Offensichtlich ist es so, dass jedenfalls die Zustimmung in dem gleichen Deutschlandtrend für die Bundesregierung, CDU/CSU und FDP, weiter gesunken ist, die von Frau Merkel nicht. Aber auch da muss ich sagen, sollen wir jetzt erklären, da wird die Verfassung der Bundesrepublik offensichtlich gebrochen, gegen Paragraf 202a Strafgesetzbuch verstoßen, und weil das im Wahlkampf die Leute nicht dazu massenhaft bringt, SPD zu wählen, reden wir jetzt nicht darüber?

    Heinemann: Das sagt kein Mensch.

    Gabriel: Das kann doch nicht wahr sein! – Na sehen Sie, und deswegen interessiert mich ehrlich gesagt bei einem so schweren Missbrauch der Geheimdienste und bei einer so doch, wie ich finde, erheblichen Gefahr auch für die deutsche Wirtschaft kann mich nicht die Frage interessieren, ob das jetzt im Wahlkampf der SPD hilft oder nicht, sondern wir müssen etwas unternehmen, um in Deutschland diese Dinge wieder in ein vernünftiges Verhältnis zwischen Freiheit und Persönlichkeitsschutz und Sicherheit zu bekommen.

    Heinemann: Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, nachzuhören unter dradio.de. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Gabriel: Ja, auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.