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Gabriel Garcia Marquez und das "Veilchen

Der Umgang, den Dichter miteinander pflegen, ist nicht immer freundlich. Manche schaffen es nicht einmal, eine Lesung ihrer Kollegen anzuhören, ohne denen gleich großkalibrige Beleidigungen nachzuwerfen. So attestierte der Jungspunt Peter Handke anno 1966 auf der Tagung der Gruppe 47 in Princeton den reiferen Mitgliedern des Vereins "Beschreibungsimpotenz".

Von Wolfgang Stenke | 31.03.2007
    Ganz anders unsere Nationaldichter: Goethe ging Schiller in der wahrhaftig recht übersichtlichen Residenzstadt Weimar sieben lange Jahre aus dem Weg - doch dann begann 1794 bei einem Treffen im benachbarten Jena eine wunderschöne Freundschaft, an der Howard Hawks noch knapp 150 Jahre später bei den Dreharbeiten zu "Casablanca" hätte maßnehmen können.

    Aber das waren halt die Klassiker. In der Moderne geht es weniger vorbildlich zu, zumal die Dichter zunehmend zu bewusstseinsverändernden Substanzen greifen. Im Falle der Kumpane Ernest Hemingway und Scott Fitzgerald war es der Alkohol, der die beiden so in Wallung brachte, dass sie sich in einem Pariser Lokal mit Pistolen duellierten. Die anderen Gäste hauten ab, der Wirt machte das Licht aus - und Fitzgerald schoss unter den Tisch. Hemingway soll seitdem gehinkt haben.

    Auf die Gewaltgeschichte von Dichterbeziehungen wirft jetzt eine fotografische Trouvaille ein ganz neues Licht. Genauer gesagt: ein veilchenblaues. Denn: Pünktlich zum 80. Geburtstag von Gabriel Garcia Marquez druckte die mexikanische Zeitung "La Journada" ein bislang unbekanntes Foto, das den Literaturnobelpreisträger mit einem ordentlich marmorierten linken Auge zeigt. Das Bild ist laut Angaben des Fotografen 1976 entstanden - nach einer Begegnung zwischen Garcia Marquez und seinem Dichterkollegen Mario Vargas Llosa in Mexiko City.

    Die beiden Heroen der lateinamerikanischen Literatur, einst eng befreundet, gelten schon seit langem als ebenso intim verfeindet. Und zwar aus politischen Gründen: Während Garcia Marquez den linken Überzeugungen seiner jungen Jahre die Treue hält und weiterhin gut Freund ist mit Fidel Castro, driftete Vargas Llosa ab ins neoliberale Lager. Für den alten Genossen Garcia Marquez hat er nur noch Spott übrig. Der sei "ein Höfling Castros" erklärte Vargas Llosa 1986 auf einem PEN-Kongress.

    Doch die Fehde der beiden Schriftsteller ist schon älter. Das jedenfalls erklärte der Fotograf Rodrigo Moya, aus dessen Archiv die Aufnahme mit dem blauen Auge stammt, der "New York Times". Denn bei dem Treffen 1976 in Mexiko City - es handelte sich um eine Filmpremiere - sei Vargas Llosa auf Garcia Marquez zugestürmt. Der habe versucht, ihn zu umarmen. Worauf Vargas Llosa dem Kollegen derart eins aufs Auge gab, dass das Blut spritzte. Und die Ursache dieser Attacke? Keineswegs ideologische Differenzen. Sondern: "Cherchez la femme!" wie Kenner der gehobenen erotischen Literatur ehedem zu sagen pflegten. "La femme" war in diesem Fall Patricia Llosa - jene Cousine, die der Schriftsteller 1965 in zweiter Ehe geheiratet hat.

    Anno 76 steckte diese Ehe gerade in einer schwierigen Phase. Da spendete der Dichterkollege Garcia Marquez der Dame gerne ein wenig Trost. Ein Akt der Solidarität, der nicht nur unter Latinos häufig missverstanden wird und zu Ausbrüchen körperlicher Gewalt führt. Warum Garcia Marquez sich mit dem Resultat dieser Eruption fotografieren ließ - noch dazu lächelnd?!

    Keine Ahnung. Aber lieber ein blaues Auge als 100 Jahre Einsamkeit.