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Gabriel: Kein Linksruck der SPD

Der niedersächsische SPD-Politiker Sigmar Gabriel rechnet nicht mit einem Linksruck seiner Partei im Zuge der für September geplanten Neuwahlen. Die Sozialdemokraten müssten eine politische Balance von der Mitte bis nach links halten, sagte Gabriel. Zugleich kritisierte er Teile des linken Parteiflügels, weil diese Bundeskanzler Schröder fälschlicherweise unterstellten, er vernachlässige die Belange der sozial Schwachen.

Moderation: Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat gestern das bekommen, was er haben wollte: das Misstrauen. Er hat also seinen Teil dazu beigetragen, mithilfe des Parlamentes, dass es Neuwahlen geben kann - ob Bundespräsident Horst Köhler entsprechend entscheiden wird und das Bundesverfassungsgericht da mitmacht, das wissen wir noch nicht. Auf jeden Fall bereiten sich die Parteien trotzdem auf diese Neuwahlen vor und seit gestern gibt es zum Beispiel einen Entwurf für einen SPD-Wahlprogramm. Darüber wollen wir sprechen und ich begrüße ganz herzlich Sigmar Gabriel aus Niedersachsen. Herr Gabriel, nun haben die Wähler der SPD ja in vielen Landtagswahlen Nein gesagt zu ihrer bisherigen Politik. Was will die SPD denn verändern, damit es möglicherweise am 18. September - wenn das denn der Wahltermin ist - anders wird?

    Sigmar Gabriel: Zunächst wird es mal darum gehen, auch klar zu machen, wie die Unterschiede in Deutschland sind. Ich finde, wir haben eine historisch einmalige Situation. Es wird ja immer behauptet, die Parteien seien sich sozusagen ähnlich und würden sich durch nichts mehr unterscheiden. Aber ich glaube, wir haben wirklich jetzt im September die Möglichkeit in Deutschland, eine Richtungsentscheidung zu treffen: Entweder in der Tat einen Modernisierungskurs fortzusetzen, der allerdings versucht, die soziale Balance zu halten - es gibt auch Dinge, die Sozialdemokraten korrigieren müssen, wo wir gemerkt haben: Leute, da ist die Richtung zwar richtig, aber wir haben ein paar Dinge nicht bedacht und müssen das verändern. Und auf der anderen Seite diejenigen, die sagen: Wir wollen aus Deutschland letztlich ein Unternehmen machen - da sind Bürger dann Kunden und nicht mehr mit Rechten gegenüber dem Staat, sondern ein Kunde kann nur das bekommen, was er sich leisten kann. Das wäre zum Beispiel in der Gesundheitsvorsorge nach meiner Auffassung eine ziemliche Katastrophe, weil dann Gesundheit vom Einkommen abhinge. Ich glaube, solche Richtungsentscheidungen gibt es selten in historischen Situationen. Wir haben jetzt eine solche Möglichkeit und das, glaube ich, wird dazu führen, dass vielleicht auch das Interesse daran größer wird. Und ich glaube, in den nächsten Wochen und Monaten werden wir noch einiges erleben.

    Zurheide: Wenn Sie sagen, Sie müssen auch einen Teil korrigieren. Ist das dann zum Beispiel die Abkehr von weiteren Steuersenkungen oder die Bürgerversicherung?

    Gabriel: Also Bürgerversicherung ist ja keine Korrektur, sondern glaube ich, ist schon deshalb notwendig, das weiter zu machen, das ist eine Ergänzung der Agenda 2010, keine Korrektur. Weil es ja unmöglich ist, dass Menschen, die arbeiten gehen, 3.000 Euro brutto verdienen, dafür Steuern und 21 Prozent Sozialabgaben zahlen, aber der Nachbar, der seine 3.000 Euro brutto bekommt, weil er Grundstück oder Aktien hat, höchstens Steuern zahlen muss, aber keinen Cent zur Solidarität in Deutschland beitragen muss. Und es führt eben dazu, dass letztlich immer nur Arbeiter und Angestellte die Dummen sind, die arbeiten gehen, und alle anderen sind von der Solidarität weitgehend befreit. Das, finde ich, muss sich ändern. In Deutschland sind wir alle zuständig dafür, dass wenn Menschen krank werden, dass sie eine angemessene medizinische Versorgung bekommen. Und das, was Frau Merkel und Herr Westerwelle vorschlagen, ist die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Und das heißt letztlich, dass die Art und Weise, wie Sie behandelt werden, noch mehr vom Geldbeutel abhängt als das heute ohnehin schon der Fall ist.

    Zurheide: Dann, Steuerzuschlag für Spitzenverdiener. Da sagt Wolfgang Clement, das ist "Symbolpolitik". Das klingt nicht besonders überzeugend.

    Gabriel: Also, erstens finde ich, dass man das zusammen mit der Bürgerversicherung sehen soll. Alleine nur der Spitzensteuersatz, glaube ich, wäre in der Tat zu wenig. Aber ein Land lebt auch von Symbolen. Ich glaube, die Leute haben wirklich ein Gespür dafür, dass die Belastungen, die in dieser Veränderung Deutschlands auch beinhaltet sind, dass die in den letzten Monaten und Jahren immer nur zu einem Teil der Bevölkerung geschoben worden sind - also zu Arbeitnehmern, zu Kranken, zu Rentnern. Ich glaube, das geht nicht. Wir müssen dafür sorgen, dass die notwendigen Veränderungen durch alle getragen werden. Das ist auch so was wie sozialer Patriotismus. Es kann ja nicht sein, dass Leute mit einem höheren Einkommen immer nur anderen Menschen empfehlen: Ihr müsst Zumutungen akzeptieren, aber selber von keiner Zumutung betroffen sind. Deswegen finde ich es vernünftig, dort auch einen Zuschlag zur Einkommenssteuer für Einkommensmillionäre zu machen. Sie wissen, dass die SPD ohnehin nie vorhatte, den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent zu senken, sondern dass das ein Kompromiss war im Bundesrat, den wir eingehen mussten, weil wir sonst mit der FDP keine Mehrheit aus Rheinland-Pfalz bekommen hätten für die Senkung des Eingangsteuersatzes für Arbeitnehmer von 26 auf immerhin 15 Prozent. Das war der Grund. Ansonsten gibt es kein Grund dafür, den Spitzensteuersatz bei 42 Prozent hängen zu lassen.

    Zurheide: Aber damit geben Sie doch zu, dass da auch Dinge gefehlt haben. Und dann taucht ja die Frage auf: Ist denn Bundeskanzler Gerhard Schröder noch der richtige Spitzenkandidat, wenn die SPD ein Stück nach links rückt?

    Gabriel: Ich glaube, dass man, wenn man vor zwei Jahren einen Prozess beginnt unter der Überschrift "Agenda 2010", zwei Dinge sagen muss: Erstens, natürlich sind wir längst nicht am Ende - sonst müssten wir im Übrigen auch nicht zum Bundestag kandidieren. Im Gegenteil, ich glaube, dass wir noch eine lange Strecke vor uns haben in Deutschland, die man aber so gestalten muss, dass die Menschen dabei nicht ausgegrenzt werden. Und da glaube ich, ist Schröder und die Sozialdemokraten weit mehr Garant dafür als jede andere Partei bei uns. Das, was zum Beispiel als Linkspartei da neu entsteht, das ist die alte Linke, die immer genau sagen kann, wogegen sie ist, die aber große Schwierigkeiten hat, mal zu beschreiben, wofür sie eigentlich ist und vor allen Dingen, wie sie es bezahlen wollen. Und das zweite ist, natürlich gibt es in einem solchen Prozess auch Dinge, die Sie verändern müssen - ich weiß auch gar nicht, wieso in der Politik immer der Anspruch erhoben wird, man müsse von Anfang an immer alles genau wissen und richtig machen. Wir machen als Menschen alle mal, probieren etwas aus und stellen fest, das muss man korrigieren, das geht uns als Politiker genauso wie gelegentlich Journalisten.

    Zurheide: Aber die SPD wird doch so - zumindest wenn die Kandidaten sich anschaut - eher nach links rücken. Wie kann denn dann Gerhard Schröder glauben, dass - wenn er denn wiedergewählt würde - dass er dann mehr Vertrauen in der Fraktion hat als heute, wo er sagt, das Vertrauen ist nicht da, weil da einige nicht mitmachen wollen?

    Gabriel: Ich glaube nicht, dass die SPD nach links rückt. Sondern die SPD muss eine Bandbreite haben von der politischen Mitte natürlich auch bis nach links - das ist klar, das ist die Sozialdemokratie in Deutschland. Und die soziale Balance zu halten, das ist für jemanden wie Schröder genauso ein Auftrag wie für alle anderen. Man muss mal überlegen: Wir tun ja jetzt so, als sei das jemand, der ausschließlich auf ökonomische Prozesse und Steuersenkungen für Unternehmen gesetzt hätte. Dabei wird vergessen, dass mit Gerhard Schröder verbunden ist die Erhöhung des Kindergeldes, die Senkung der Steuern für Arbeitnehmer mit Kindern, die Erhöhung des BAföG, mehr Investitionen für Forschung und Technologie, der Ausstieg aus der Kernenergie - und übrigens nicht zuletzt die Verhinderung militärischer Abenteuer im Irak. Das alles ist auch mit dem Namen Gerhard Schröder verbunden. So zu tun, als sei das sozusagen ausschließlich mit einer Senkung der Körperschaftssteuer verbunden, ist natürlich auch Quatsch.

    Zurheide: Lassen Sie uns zum Schluss, Herr Gabriel, auf VW zu sprechen kommen. Dort gibt es im Moment eine Korruptionsaffäre, die Staatsanwaltschaft ist eingeschaltet. Haben da die Kontrollmechanismen versagt - Sie waren ja auch mal im Aufsichtsrat?

    Gabriel: Also, ich muss ganz offen sagen, das ist natürlich eine entsetzliche Geschichte, die da abläuft. In der Tat ist das für das Unternehmen mit Sicherheit ein schwerer Schaden. Allemal auch für die Glaubwürdigkeit natürlich gegenüber dem Betriebsrat und der IG Metall, weil es da Vorwürfe gibt gegen den früheren Betriebsratsvorsitzenden. Das Einzige, was man jetzt machen kann, ist, das so schnell wie möglich aufzuklären. Wenn es wirklich zu kriminellen Handlungen gekommen ist, dann werden Sie - wie in allen kriminellen Handlungen - feststellen, dass natürlich immer die Aufsichtsgremien versagen, deshalb, weil jemand, der eine kriminelle Tat vorbereitet, nun nicht gerade im Aufsichtsrat ankündigen wird, was er da vorhat. Von daher, es ist Gott sei Dank rausgekommen. Jetzt geht es darum, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt. Das Unternehmen muss ganz schnell wieder in ruhiges Fahrwasser gebracht werden.

    Zurheide: Ist VW zu politisch? Ist der Einfluss der Politik zu groß? Das kritisieren heute manche.

    Gabriel: Ja das ist natürlich der Versuch meistens derjenigen, die den Staat, der da eine Minderheitenbeteiligung hat, rausdrängen will. Ich kann nur sagen, wenn das passiert und man das Unternehmen zur Beute von Finanzinvestoren werden lässt - die kurzfristige Interessen haben -, dann wird das Unternehmen zerlegt und in kurzer Zeit ein paar Tausend Arbeitsplätze abgebaut. Der Staatsanteil hatte immer nur eine Funktion: einen langfristigen Investor im Unternehmen zu haben, der nicht kurzfristige Finanzmarktinteressen sozusagen in den Vordergrund stellt. Und das, glaube ich, ist schon in Ordnung. Was der Staat nicht machen darf, ist - hat er auch nie getan -, er darf sich nicht einmischen ins operative Geschäft, da hat er die Finger von zu lassen. Politiker und Beamte verstehen nichts von der Automobilproduktion, das sollen sie mal Leuten überlassen, die das besser können. Aber bei der Frage: Wo wird investiert, werden Werke geschlossen, setzen wir auf langfristigen Erfolg oder auf kurzfristige Börsenerfolge? - da finde ich, ist gerade bei so einem bedeutenden Unternehmen wie Volkswagen eigentlich klar, dass wir dort eine Erfolgsgeschichte haben. Ich meine, das ist das Unternehmen, das in der Region in den letzten Jahren Arbeitsplätze geschaffen hat, statt immer nur welche abzubauen und ins Ausland zu verlagern.