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Gärender Konflikt

Die Stimmung ist aufgebracht in Kampala, der Hauptstadt Ugandas: Nachdem die Regierung dem kulturellen Führer der größten ethnischen Bevölkerungsgruppe des Landes die Teilnahme an einem Fest verweigerte, demonstrieren Jugendliche auf den Straßen.

Von Simone Schlindwein |
    Die Stimmung ist aufgebracht in Kampala, der Hauptstadt Ugandas. Junger Männer und Frauen hocken vor dem Eingangstor eines großen Gebäudes, das im Kolonialstil erbaut wurde. Es ist das Verwaltungsgebäude des Königs der Baganda. Mit über 60 Prozent sind die Baganda Ugandas größte Ethnie. Und ihr König, der Kabaka, ist ihr kultureller Führer. Für seine Freiheit protestieren hier die Jugendlichen. "Lasst unseren König gehen", steht auf den Schildern, die sie gemalt haben.

    Eria sitzt seit dem Morgengrauen hier. Er schwitzt und ist erschöpft. In der vergangenen Nacht hatte er mit seinen Freunden die Polizeistation in Brand gesetzt. Doch heute hat er sich entschieden, friedlich zu demonstrieren. Eria ist 21 Jahre alt. Man sieht ihm an: Er stammt aus der neu erwachsenen Mittelschicht. Er trägt ein gebügeltes Hemd und Jeans. Eria studiert Wirtschaft im dritten Semester. Und: Er ist der Präsident der Baganda-Studentenorganisation.

    Eigentlich wollte er heute mit seinen Studienkollegen auf das Baganda-Jugendfest fahren - 50 Kilometer außerhalb der Stadt. Sie hatten Geld gesammelt, Busse organisiert und sich gefreut. Denn ihr König, der Kabaka, hatte zugesagt, das Fest feierlich zu eröffnen. Doch dann kam alles anders.

    "Jedes Jahr am 12. September feiern wir unseren Tag der Jugend. Wir fahren dann nach Bugerere. Doch dieses Mal verbietet uns die Regierung, dorthin zu fahren. Vor wenigen Tagen hat der König einen Gesandten dorthin geschickt, um das Fest vorzubereiten. Doch der wurde von der Polizei gestoppt. Auch der Königspalast wurde von Militärs umzingelt, damit der Kabaka nicht hinfahren kann, um zu uns zu sprechen. Deswegen demonstrieren wir hier."

    Für Eria und seine Freunde zeigt sich einmal wieder: Präsident Yoweri Museveni will alle politischen Rivalen ausschalten. Die Opposition wird unterdrückt oder ist innerlich gespalten. Daher finden unzufriedene Jugendliche wie Eria keine Fürsprecher. Und so halten sie sich an ihren eigenen König. Dieser ist - wie auch die anderen traditionellen Stammesfürsten in Uganda - laut Verfassung anerkannt. Er darf zwar kein politisches Amt ausfüllen, dafür aber kulturelle Aufgaben übernehmen, wie eben das Jugendfest zu eröffnen. Doch Präsident Museveni hat es ihm diesmal "aus Sicherheitsgründen", wie es heißt, untersagt. Eria will das nicht länger dulden.

    "Uganda ist ein demokratisches Land. Wir haben alle für unsere Unabhängigkeit gekämpft. Doch wir müssen immer wieder feststellen: Museveni ist ein Diktator und er nutzt seine militärische Macht aus. Er hält sich nicht an die Verfassung. Denn die besagte einmal, dass nach zehn Jahren der Präsident zurücktreten muss. Jetzt regiert er aber schon 23 Jahre. Seit wir geboren sind, ist er Präsident. Er ist alt geworden. Wir wollen eine junge Führung und neue Ideen."

    Die anderen um Eria nicken zustimmend. Mehr als die Hälfte der Ugander sind unter 21 Jahre alt. Sie wachsen in einem modernen Afrika auf: Mit Computer und Internet sind sie mit der westlichen Welt vernetzt. Sie haben Träume von einer besseren Zukunft. Doch was sie sehen, ist ernüchternd. Trotz Millionen Euro internationaler Hilfsgelder kommt das Land nicht voran. Die Infrastruktur ist marode, es fehlt selbst an den einfachsten Dingen: Dauernd fällt der Strom aus, die Straßen sind schlecht, Krankenhäusern fehlt es an Medikamenten, die Universität hat kein Geld für Tafelkreide. Die Reichen in Uganda aber werden reicher und reicher. Auch das ist nicht zu übersehen: Sie leben in großen Palästen und sie fahren teure Autos.

    "Diese Leute kommen aus Westuganda, wo auch Präsident Museveni herkommt. Wir sind überzeugt: Diese Reichtümer sind gestohlen. Aus dem globalen Aids-Fond, den die westlichen Länder bereitgestellt haben, sind Millionen verschwunden. Unsere Regierung ist korrupt und sie nimmt sich sogar unser Geld. Zum Beispiel muss jeder fünf Prozent in die Rentenkasse bezahlen, um später eine Pension zu bekommen. Doch das Geld verschwindet einfach. Ein Minister ist in den Skandal verwickelt. Doch er wird nicht verhaftet. Uns reicht es jetzt. Wir wollen eine neue Regierung."

    Doch für Eria ist dies nicht nur ein Kampf, bei dem sich Arm und Reich gegenüberstehen. Für ihn ist es ein Krieg zwischen Ethnien. Denn: Präsident Museveni ist nicht vom Stamm der Baganda. Er kommt aus dem Westen, er gehört zu den Banyakore - der zweitgrößten Volksgruppe. Und auch viele Minister und Beamte in der Regierung sind Banyakore. Als loyale Gefährten hat Museveni sie in die Hauptstadt geholt. Eria macht in seiner Universität ähnliche Strukturen aus: Die Banyakore-Studenten - so glaubt er - würden bevorzugt.

    "Als ich mich um einen Studienplatz mit Stipendium beworben habe, war es ähnlich. Ich hatte beim Aufnahmetest mehr Punkte als benötigt. Doch ich habe den Platz nicht bekommen, weil ich einer von den Baganda bin. Die Leute aus dem Westen aber - die bekommen die guten Studienplätze. Die studieren dann Medizin! Was für Ärzte sollen das denn mal werden?"

    Es sind diese ganz subjektiven Erfahrungen, die junge Männer wie Eria auf die Straße treiben. Doch der Konflikt, der in Uganda ausgetragen wird, ist grundsätzlicher. Es geht um Macht, es geht um Grund und Boden und um Rohstoffe. Und in diesen ganz grundsätzlichen Konflikt sind alle wichtigen Führer des Landes verwickelt, denn jeder hat etwas zu gewinnen oder zu verlieren, so auch der König, der Kabaka.

    Für Eria ist "sein" Kampf sehr viel konkreter, sehr viel existenzieller. Er und auch andere seines Alters sehen für sich keine Zukunft. Die reale Arbeitslosenquote bewegt sich zwischen 30 und 50 Prozent. Selbst gut ausgebildete Studenten wie Eria finden nach ihrem Abschluss nur selten einen Job. Deswegen hat er entschieden: Er will für eine bessere Zukunft kämpfen.

    "Ich träume bereits hier und heute von einem besseren Uganda in fünf Jahren. Wir wissen, wir bekommen nichts auf einem Silbertablett serviert. Keine zweite Unabhängigkeitsbewegung. Wir müssen zur Not eben sterben, um die Freiheit für unsere Söhne zu erkämpfen. Deswegen bin ich hier und bleibe hier auch sitzen. Die Soldaten und Polizisten sollen ruhig kommen. Selbst wenn sie drohen, mich zu erschießen. Ich bleibe sitzen. Ich bin bereit zu sterben."

    Eria scheint entschlossen. Ohne Furcht blickt er in den Himmel. Dort kreist ein Polizeihubschrauber. Dann kommen Lastwagen angefahren. Polizisten und Militärs steigen aus. Sie laden ihre Maschinengewehre durch. Sie schießen in die Luft, um klar zu machen, dass sie es ernst meinen. 24 Menschen sind bei den Protesten in Uganda bereits umgekommen. Die meisten von ihnen wurden erschossen. Die Polizei treibt die Demonstranten auch diesmal auseinander. Geknickt läuft Eria davon. Er ist müde, durstig, erschöpft und dunkle Regenwolken kündigen den nächsten Tropenschauer an. Doch er will weiterkämpfen. Das sagt er später am Telefon.