Die Kunsthalle Tübingen geht neue Wege. Das wird schon daran deutlich, dass Anselm Reyle die gesamten Ausstellungsräume in eine Art psychedelische Lasterhöhle umwandeln durfte, Disco und Mutterbauch in einem, Partyzone, LSD-kompatible Assoziationsfläche. Der neue Kunsthallen-Kurator Daniel Schreiber:
"Das Plakat sieht so aus wie ein Plattencover aus den 70er-Jahren, und auch die ganze Atmosphäre ist entlehnt einem Hobbykeller oder einer Diskothek, als ob man einen Raum schön gemacht hätte für eine wilde Klassenparty so in den 70er-Jahren…"
Ob das dem Altvorderen Götz Adriani gefällt, der seinen Segen dazu gab? Reyle hat die sonst weißen Räume mit gefältelter dunkler Deko-Folie ausgeschlagen und schummrig beleuchtet, das ergibt schräge Lichtreflexe und eine Stimmung zwischen Horrorkabinett und Nobelschuppen. In diesem "Meta-Kunstwerk", wie es Daniel Schreiber nennt, sind die verschiedensten Reyle-Objekte im Sinne einer kleinen Werkschau verteilt, vom rosa lackierten Kitsch-Friedhofs-Kruzifix bis zur grellbunten Neon-Skulptur.
Der 39-jährige Anselm Reyle betreibt in Berlin eine Art Kunstfabrik mit bis zu 40 Mitarbeitern und ist auf dem internationalen Markt ungemein erfolgreich; dabei ist er der eher bescheidene Turnschuh-Künstler mit Punk-Vergangenheit geblieben. Sein Konzept der Verfremdung basiert vor allem auf der Veränderung von Oberflächen, die er meist mit Autoeffektlack überzieht: Ein bäuerliches Objekt wie ein alter Heuwagen aus dem 19. Jahrhundert wird von Reyle pinkfarben lackiert, und plötzlich steht da ein grotesker Zusammenstoß von Glamour und Arbeitswelt, von gestern und heute im Raum. Oder Reyle bearbeitet einen Klumpen Ton mit den Füßen und erklärt ihn zur Kunst:
"Generell interessieren mich sehr einfache und nachvollziehbare Schritte, die einfach aufzuschlüsseln sind: Woher kommt was? Wie einfach ist das gemacht? Wenn ich einen Tonballen nehme und drauftrete, das kann sehr schnell gehen – und ich behaupte: Das ist jetzt schon Kunst. Und die Behauptung dadurch unterstreiche, dass das Ganze in Bronze gegossen wird und dann noch einen Chromlack bekommt, bis man’s auch wirklich glaubt. Also dieses: wann ist was Kunst, wird als Kunst ernstgenommen – das interessiert mich, das teste ich aus."
Reyle spielt mit den Traditionen des Ready-Mades, des Objet Trouvé, die er weiterspinnt wie Spoerri oder Rauschenberg: das Liegengebliebene, scheinbar Wertlose wird von ihm zu Assemblagen geballt, die dann besprüht werden und zum Beispiel eine vornehm-reptilienartige Glanzlack-Haut bekommen - wie die rotgefleckt leuchtenden, auf Leinwand montierten Gitarren-Schrott-Panoramen.
Auch das Wild-Gestische und die konkrete Kunst werden von Reyle gern zitiert und mit glänzendem Firnis versehen: Wulstige, ackerfurchen-ähnliche Emil-Schumacher-Mantschereien wirken gleich ganz anders, wenn sie mit Schutzschicht daherkommen. Böse könnte man sagen: Das ist wie wilde Kunst aus dem IKEA-Katalog für die Generation Golf, die zu Geld gekommen ist. Positiv gewendet heißt das aber auch, daß Reyle abstrakte und unzugängliche Kunst für die verfügbar macht, die eigentlich keine Ahnung von ihr haben.
Manches wirkt aufgesetzt und ist nur schöner Schein, anderes hat eine beeindruckende Ironie und sogar Körperhaftigkeit. Im Grunde müßte in dieser zur Kifferhöhle umgebauten Tübinger Kunsthalle ständig Pink-Floyd-Musik laufen. Das tut Reyle nun nicht: Es herrscht klösterliche Stille. Ob diese Ausstellung in der Provinz ein Erfolg wird, steht in den Sternen: Sie würde eher ins schicke New York oder nach Berlin passen. Aber Reyle ist in Tübingen geboren und dort in WGs aufgewachsen, er wollte mal zurück zu den Ursprüngen.
Service:
Die Ausstellung "Acid Mothers Temple" von Anselm Reyle ist bis 10. Januar 2010 in der Kunsthalle Tübingen zu sehen.
"Das Plakat sieht so aus wie ein Plattencover aus den 70er-Jahren, und auch die ganze Atmosphäre ist entlehnt einem Hobbykeller oder einer Diskothek, als ob man einen Raum schön gemacht hätte für eine wilde Klassenparty so in den 70er-Jahren…"
Ob das dem Altvorderen Götz Adriani gefällt, der seinen Segen dazu gab? Reyle hat die sonst weißen Räume mit gefältelter dunkler Deko-Folie ausgeschlagen und schummrig beleuchtet, das ergibt schräge Lichtreflexe und eine Stimmung zwischen Horrorkabinett und Nobelschuppen. In diesem "Meta-Kunstwerk", wie es Daniel Schreiber nennt, sind die verschiedensten Reyle-Objekte im Sinne einer kleinen Werkschau verteilt, vom rosa lackierten Kitsch-Friedhofs-Kruzifix bis zur grellbunten Neon-Skulptur.
Der 39-jährige Anselm Reyle betreibt in Berlin eine Art Kunstfabrik mit bis zu 40 Mitarbeitern und ist auf dem internationalen Markt ungemein erfolgreich; dabei ist er der eher bescheidene Turnschuh-Künstler mit Punk-Vergangenheit geblieben. Sein Konzept der Verfremdung basiert vor allem auf der Veränderung von Oberflächen, die er meist mit Autoeffektlack überzieht: Ein bäuerliches Objekt wie ein alter Heuwagen aus dem 19. Jahrhundert wird von Reyle pinkfarben lackiert, und plötzlich steht da ein grotesker Zusammenstoß von Glamour und Arbeitswelt, von gestern und heute im Raum. Oder Reyle bearbeitet einen Klumpen Ton mit den Füßen und erklärt ihn zur Kunst:
"Generell interessieren mich sehr einfache und nachvollziehbare Schritte, die einfach aufzuschlüsseln sind: Woher kommt was? Wie einfach ist das gemacht? Wenn ich einen Tonballen nehme und drauftrete, das kann sehr schnell gehen – und ich behaupte: Das ist jetzt schon Kunst. Und die Behauptung dadurch unterstreiche, dass das Ganze in Bronze gegossen wird und dann noch einen Chromlack bekommt, bis man’s auch wirklich glaubt. Also dieses: wann ist was Kunst, wird als Kunst ernstgenommen – das interessiert mich, das teste ich aus."
Reyle spielt mit den Traditionen des Ready-Mades, des Objet Trouvé, die er weiterspinnt wie Spoerri oder Rauschenberg: das Liegengebliebene, scheinbar Wertlose wird von ihm zu Assemblagen geballt, die dann besprüht werden und zum Beispiel eine vornehm-reptilienartige Glanzlack-Haut bekommen - wie die rotgefleckt leuchtenden, auf Leinwand montierten Gitarren-Schrott-Panoramen.
Auch das Wild-Gestische und die konkrete Kunst werden von Reyle gern zitiert und mit glänzendem Firnis versehen: Wulstige, ackerfurchen-ähnliche Emil-Schumacher-Mantschereien wirken gleich ganz anders, wenn sie mit Schutzschicht daherkommen. Böse könnte man sagen: Das ist wie wilde Kunst aus dem IKEA-Katalog für die Generation Golf, die zu Geld gekommen ist. Positiv gewendet heißt das aber auch, daß Reyle abstrakte und unzugängliche Kunst für die verfügbar macht, die eigentlich keine Ahnung von ihr haben.
Manches wirkt aufgesetzt und ist nur schöner Schein, anderes hat eine beeindruckende Ironie und sogar Körperhaftigkeit. Im Grunde müßte in dieser zur Kifferhöhle umgebauten Tübinger Kunsthalle ständig Pink-Floyd-Musik laufen. Das tut Reyle nun nicht: Es herrscht klösterliche Stille. Ob diese Ausstellung in der Provinz ein Erfolg wird, steht in den Sternen: Sie würde eher ins schicke New York oder nach Berlin passen. Aber Reyle ist in Tübingen geboren und dort in WGs aufgewachsen, er wollte mal zurück zu den Ursprüngen.
Service:
Die Ausstellung "Acid Mothers Temple" von Anselm Reyle ist bis 10. Januar 2010 in der Kunsthalle Tübingen zu sehen.