Mythos und Wirklichkeit stehen aber – wie zumeist auch sonst – sich auch hier nicht unbedingt deckungsgleich gegenüber. Daß Galilei keineswegs nur der integere Wissenschaftler war, daß die Wissenschaft keineswegs nur durch sich selbst auf die Beine kam, und daß ihr – entgegen allen Vormeinungen - dabei die Kirche in einem gewissen Sinne sogar tatkräftig unter die Arme griff, zeigt Mario Biagioli in seinem Buch "Galilei, der Höfling".
Der Harvardprofessor betrachtet den mathematischen Astronomen aus einer ungewohnten, aber sehr fruchtbaren Perspektive: Galilei als Höfling. Er weist nach, daß sowohl der Aufstieg Galileis und seiner Wissenschaft als auch dessen Fall sich erst im Zusammenhang mit dem barocken Patronagesystem wirklich verstehen läßt. Anschaulich beschreibt Biagioli die Patronagebeziehnung zwischen Schirmherren und ihren Günstlingen als elegantes Wechselspiel zur Herstellung (und Aufrechterhaltung) von Macht. Detailliert und minutiös zeigt er Galileis außerordentliches Talent, sich auf der höfischen Bühne zu bewegen, auf.
Als Galilei zum Beispiel die Jupitermonde entdeckte, erkannte er schnell, daß sie sich gut in die dynastische Mythologie des Fürstenhofes der Medici einpassen ließen. Er widmete sie dem Fürsten und gab den neuen Monden dessen Namen – die Mediceischen Gestirne. Dabei achtete er darauf, daß dieser Vorgang keinesfalls als Verkauf und noch nicht einmal als Geschenk seinerseits erschien. Diese Auslöschung seiner Urheberschaft war die höchstmögliche Ehrerweisung. Damit zwang Galilei den Fürsten geradezu, ihm die Gunst zu erwidern. - Eine Dynamik des wechselseitigen Schenkens ist das, die Biagioli zurecht mit dem von Marcel Mauss untersuchten Potlatsch der Indianer vergleicht. Dieser fast rirtuelle Gabentausch also verschaffte Galilei seine Stellung als Hofphilosoph.
Und das hatte weitreichende Folgen, die bislang stark unterschätzt wurden. Denn bis dahin war Galilei als Mathematiker, nur für Quantitäten, für abstrakte Rechnungen zuständig. Mit der Wirklichkeit, den Qualitäten hatte die Mathematik nach vorherrschender Meinung wenig zu tun. Nun, durch die Stellung als Philosoph am Hofe, übertrug sich das Ansehen des Schirmherren indirekt auf Galilei. Die fürstliche Autorität verschaffte ihm die Legitimation, um in Fragen der realen Welt überhaupt auch nur ein Mitspracherecht zu erlangen. Erst Galileis geschicktes Taktieren am Hofe also, nicht seine wissenschaftliche Überzeugungskraft, verhalf der Mathematik als adäquate physikalische Darstellungsform zum Durchbruch. Und das ist nichts weniger als der Beginn der neuzeitlich-mathematischen Naturwissenschaft. Galileis höfischen Strategien verurteilt Biagioli demnach nicht als bloßen Opportunismus, sondern erkennt darin eine Notwendigkeit für die kognitive Legitimation seiner wissenschaftlichen Arbeit.
Einmal in das höfische System des Gebens eingebunden, entsprangen daraus für den Astronomen aber auch Verpflichtungen. Zwar mußte Galilei sich nicht länger mit lästigem Unterricht rumschlagen. Aber sowohl die Gegenstände, die der Hofphilosoph untersuchte, als auch die Art und Weise, in der er sie diskutierte, waren von den höfischen Interessen wesentlich bestimmt. Paradoxerweise, so Biagioli, sei Galilei von der Dynamik des höfischen Disputs förmlich dazu gezwungen worden, auf der kopernikanischen Weltsicht zu beharren. Es ist schwer vorstellbar, aber Papst Urban VIII. hat höchstpersönlich Galilei zu seinen kopernikanischen Ansichten gedrängt. Der Papst war von Galileis brillantem und sarkastischem Schriften besonders angetan. Er hat Galilei (deshalb) bei der Veröffentlichung des umstrittenen "Dialogs über die zwei hauptsächlichen Weltsysteme" unterstützt. Die Verurteilung Galileis aufgrund eben dieser Schrift und auf Betreiben eben dieses Papstes, liest Biagioli dann als den typischen "Sturz des Favoriten" am Hofe. Aus dieser Perspektive war Galilei nichts anderes als ein Bauernopfer im Kampf um Macht und Ansehen.
Biagiolis Betrachtungen werfen so ein vollkommen anders Licht auf den schon viel diskutierten Fall. Zwar ist der Ansatz, Galilei im Zusammenhang mit der höfischen Patronage zu betrachten, nicht ganz neu (Richard Westfall hatte ihn erstmals vertreten) - in dieser Konsequenz und Ausführlichkeit ist das Buch aber einmalig. Biagioli legt umfangreiche Belege für seine Thesen vor. Das läßt sein über 500 Seiten starkes Buch zwar übrigens zu langatmig werden. Es gelingt ihm aber dennoch, die Übersicht zu behalten. So unterliegt er nicht seinen wissenschaftsphilosophischen Reflexionen und entgeht der Versuchung die ideelle Legitimation der Wissenschaft positivistisch durch kulturelle Geschehnisse zu ersetzen. Genauso wenig leugnet er, daß es sich bei dem Prozeß auch um einen Zusammenstoß von katholischen Ansichten und neuzeitlicher Wissenschaft gehandelt hat. Diese Unverkrampftheit, die Vielfältigkeit der Faktoren zuzulassen, zusammen mit einer angenehm zu lesenden, prosaischen Sprache, machen - trotz der zu großen Ausführlichkeit - sein Buch sehr empfehlenswert.
Der Harvardprofessor betrachtet den mathematischen Astronomen aus einer ungewohnten, aber sehr fruchtbaren Perspektive: Galilei als Höfling. Er weist nach, daß sowohl der Aufstieg Galileis und seiner Wissenschaft als auch dessen Fall sich erst im Zusammenhang mit dem barocken Patronagesystem wirklich verstehen läßt. Anschaulich beschreibt Biagioli die Patronagebeziehnung zwischen Schirmherren und ihren Günstlingen als elegantes Wechselspiel zur Herstellung (und Aufrechterhaltung) von Macht. Detailliert und minutiös zeigt er Galileis außerordentliches Talent, sich auf der höfischen Bühne zu bewegen, auf.
Als Galilei zum Beispiel die Jupitermonde entdeckte, erkannte er schnell, daß sie sich gut in die dynastische Mythologie des Fürstenhofes der Medici einpassen ließen. Er widmete sie dem Fürsten und gab den neuen Monden dessen Namen – die Mediceischen Gestirne. Dabei achtete er darauf, daß dieser Vorgang keinesfalls als Verkauf und noch nicht einmal als Geschenk seinerseits erschien. Diese Auslöschung seiner Urheberschaft war die höchstmögliche Ehrerweisung. Damit zwang Galilei den Fürsten geradezu, ihm die Gunst zu erwidern. - Eine Dynamik des wechselseitigen Schenkens ist das, die Biagioli zurecht mit dem von Marcel Mauss untersuchten Potlatsch der Indianer vergleicht. Dieser fast rirtuelle Gabentausch also verschaffte Galilei seine Stellung als Hofphilosoph.
Und das hatte weitreichende Folgen, die bislang stark unterschätzt wurden. Denn bis dahin war Galilei als Mathematiker, nur für Quantitäten, für abstrakte Rechnungen zuständig. Mit der Wirklichkeit, den Qualitäten hatte die Mathematik nach vorherrschender Meinung wenig zu tun. Nun, durch die Stellung als Philosoph am Hofe, übertrug sich das Ansehen des Schirmherren indirekt auf Galilei. Die fürstliche Autorität verschaffte ihm die Legitimation, um in Fragen der realen Welt überhaupt auch nur ein Mitspracherecht zu erlangen. Erst Galileis geschicktes Taktieren am Hofe also, nicht seine wissenschaftliche Überzeugungskraft, verhalf der Mathematik als adäquate physikalische Darstellungsform zum Durchbruch. Und das ist nichts weniger als der Beginn der neuzeitlich-mathematischen Naturwissenschaft. Galileis höfischen Strategien verurteilt Biagioli demnach nicht als bloßen Opportunismus, sondern erkennt darin eine Notwendigkeit für die kognitive Legitimation seiner wissenschaftlichen Arbeit.
Einmal in das höfische System des Gebens eingebunden, entsprangen daraus für den Astronomen aber auch Verpflichtungen. Zwar mußte Galilei sich nicht länger mit lästigem Unterricht rumschlagen. Aber sowohl die Gegenstände, die der Hofphilosoph untersuchte, als auch die Art und Weise, in der er sie diskutierte, waren von den höfischen Interessen wesentlich bestimmt. Paradoxerweise, so Biagioli, sei Galilei von der Dynamik des höfischen Disputs förmlich dazu gezwungen worden, auf der kopernikanischen Weltsicht zu beharren. Es ist schwer vorstellbar, aber Papst Urban VIII. hat höchstpersönlich Galilei zu seinen kopernikanischen Ansichten gedrängt. Der Papst war von Galileis brillantem und sarkastischem Schriften besonders angetan. Er hat Galilei (deshalb) bei der Veröffentlichung des umstrittenen "Dialogs über die zwei hauptsächlichen Weltsysteme" unterstützt. Die Verurteilung Galileis aufgrund eben dieser Schrift und auf Betreiben eben dieses Papstes, liest Biagioli dann als den typischen "Sturz des Favoriten" am Hofe. Aus dieser Perspektive war Galilei nichts anderes als ein Bauernopfer im Kampf um Macht und Ansehen.
Biagiolis Betrachtungen werfen so ein vollkommen anders Licht auf den schon viel diskutierten Fall. Zwar ist der Ansatz, Galilei im Zusammenhang mit der höfischen Patronage zu betrachten, nicht ganz neu (Richard Westfall hatte ihn erstmals vertreten) - in dieser Konsequenz und Ausführlichkeit ist das Buch aber einmalig. Biagioli legt umfangreiche Belege für seine Thesen vor. Das läßt sein über 500 Seiten starkes Buch zwar übrigens zu langatmig werden. Es gelingt ihm aber dennoch, die Übersicht zu behalten. So unterliegt er nicht seinen wissenschaftsphilosophischen Reflexionen und entgeht der Versuchung die ideelle Legitimation der Wissenschaft positivistisch durch kulturelle Geschehnisse zu ersetzen. Genauso wenig leugnet er, daß es sich bei dem Prozeß auch um einen Zusammenstoß von katholischen Ansichten und neuzeitlicher Wissenschaft gehandelt hat. Diese Unverkrampftheit, die Vielfältigkeit der Faktoren zuzulassen, zusammen mit einer angenehm zu lesenden, prosaischen Sprache, machen - trotz der zu großen Ausführlichkeit - sein Buch sehr empfehlenswert.