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Gameboy statt Goethe?

In den vergangenen zehn Jahren soll laut einer neuen Allensbach-Studie das Kulturinteresse von Jugendlichen um ein Drittel abgenommen haben, das Interesse an Kommunikationstechnologie aber um 60 Prozent gestiegen sein. Den Freizeitforscher Horst Opaschowski überraschen diese Zahlen nicht. Er kritisiert aber ein veraltetes Kulturverständnis der Untersuchung.

Christoph Schmitz im Gespräch mit Horst Opaschowski |
    Christoph Schmitz: Das Institut für Demoskopie Allensbach zieht einen eindeutigen Schluss. Das Interesse der jungen Generation in Deutschland, der 14- bis 30-Jährigen, rückt immer stärker von Themen und Diskussionen ab, die sich mit der Gesellschaft, mit Politik, Wirtschaft, sozialen Fragen und Kultur beschäftigen. Konkret: Unter den unter 30-Jährigen interessieren sich heute im Vergleich zu 1998 acht Prozent weniger für Politik, zehn Prozent weniger für Wirtschaft, 20 weniger für Wissenschaft und Forschung und über 30 Prozent weniger für Kunst und Kultur. Der Anteil derer, die beispielsweise auch gerne einmal klassische Musik hören, ist von 26 auf 15 Prozent gefallen. Andererseits gibt es einen Bereich, der einen großen Anstieg an Aufmerksamkeit gewonnen hat, nämlich alle Felder der Kommunikationstechnologie, von Computer über Handy bis digitales Fernsehen. Der Zuwachs beträgt hier über 60 Prozent. Fazit? Aufstieg der neuen Medien, Einbruch beim klassischen Bildungskanon unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Wer seit Jahrzehnten das Freizeitverhalten in Deutschland untersucht hat, das ist der Freizeitforscher Horst Opaschowski, Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. Sehen Sie Ihre eigenen Untersuchungen von diesen Allensbach-Zahlen bestätigt, oder widersprechen die Ihren Ergebnissen? Das habe ich Horst Opaschowski zuerst gefragt.

    Horst Opaschowski: Nein, mich überrascht eigentlich überhaupt nichts. Ich weiß ja als Erforscher der Lebensgewohnheiten der Deutschen, dass es eine Riesenkluft gibt zwischen Interesse und Aktivität. Also schon vor 30 Jahren legten die Deutschen großen Wert auf Theater und Volkshochschule, aber sie sind fast nie hingegangen. Oder denken Sie an die Umweltschutzdebatte. Natürlich sagt man, man ist umweltinteressiert. Aber wenn es wehtut, ändert man sein Verhalten nicht. Oder denken Sie an die Politik. Alle sagen, es gibt eine Wahlmüdigkeit der jungen Generation, sie seien politikverdrossen. Nein, die sind überhaupt nicht politikverdrossen. Sie sind allenfalls verdrossen über die Art der Präsentation, wie sich die Politik oder die Politiker darstellen. Und ähnlich ist es mit der Kultur.

    Schmitz: Wollen Sie damit sagen, dass diese Umfrage zu unpräzise fragt, eben nicht unterscheidet zwischen Interesse und Aktivität?

    Opaschowski: Das ist der erste Punkt. Und der zweite, dass man natürlich heute sagen muss, dass sich das Kulturverständnis gewaltig verändert hat. Mit der Unterscheidung E und U - Ernst und Unterhaltung - kommt man heute nicht mehr klar. Es gibt so etwas wie eine Vermischungskultur, eine Integrationskultur. Zum Beispiel die Tenöre, die singen heute in Fußballstadien. Die Popkonzerte finden mitunter in Kirchen statt. Eigentlich muss man sagen, früher hatten wenige Kultur und heute können sich viele Kultur leisten und auch erleben, aber eben auf einem sehr breiten Sockel, sozusagen aus der Hochkultur wird im wahrsten Sinne des Wortes eine Breitenkultur.

    Schmitz: Ja, das heißt, Herr Opaschowski, Sie gehen davon aus, dass sich diese verbreiterte Kulturrezeption nicht niedergeschlagen hat in dem sehr strikten Kanon der Fragen bei Allensbach?

    Opaschowski: Ja, da wird ja dann nur ganz allgemein nach Kunst und Kultur gefragt. Das hilft einig wenig. Man muss sehen, dass insbesondere die junge Generation ja eine Explosion, eine Angebotsexplosion der letzten 20, 30 Jahre erlebt hat. Und es ist ja nicht so, dass die eine Sache eine andere verdrängt, sondern eine andere Sache muss dann einfach aus zeitlichen Gründen reduziert werden. Also: Web frisst nicht Fernsehen, wie man immer vorausgesagt hat. Das Fernsehen und auch das Radio und der Deutschlandfunk, die leben weiter. Man muss sich natürlich mehr anstrengen, um die Interessenten bei der Stange zu halten.

    Schmitz: Gut, also es geht um die Frage der Aufmerksamkeitsökonomie. Wie kann denn die kanonisierte Kulturpraxis in Deutschland, die ja dann wohl objektiv wirklich an Zuschauern, Zuhörern, an Rezipienten verloren hat, was Theater, Oper usw. angeht, unter den unter 30-Jährigen, wie kann denn dieses Potenzial bei den jungen Menschen wieder ins Gedächtnis gerufen werden?

    Opaschowski: Ja, man muss erst mal sagen, dass junge Menschen unter Kultur eben nicht nur Theater und Oper verstehen, sondern insbesondere die Expansion der Open-Air-Festivals und Konzerte, der Musicals usw. haben vielen jungen Menschen überhaupt erst den Zugang zur hohen Kultur eröffnet. Also wir müssen einfach davon ausgehen, dass es viele und vielfältige Angebote gibt und dass es für junge Leute immer schwerer wird, sich zu entscheiden. Sie müssen so richtige Zeitkämpfe durchmachen. Es ist nicht so, dass sie interesselos sind, sondern dass sie gar nicht mehr wissen, was sie zuerst und zuletzt tun sollen.

    Schmitz: Sie sind kein Kulturpessimist?

    Opaschowski: Nein, es gibt ja gar keinen Anlass für Kulturverfalldiskussionen.

    Schmitz: Und in der kommenden Woche werden Sie eine Jugendstudie, die 800 Seiten umfasst, herausgeben. Sie versuchen darin hochzurechnen, wie Jugend im Jahre 2030 aussehen wird. Dürfen Sie jetzt schon verraten, welche zentralen Ergebnisse Sie präsentieren können?

    Opaschowski: Die Studie wird den Titel "Deutschland 2030" haben. Und die Frage ist, was ändert sich in 22 Jahren? Mir ist um die Kulturwelt, auch der jungen Generation, überhaupt nicht bange. Es ist klar, dass in Zeiten leerer Kassen kulturpessimistische Töne ein wenig Konjunktur haben. Aber ich finde, solange es noch Proteststürme und Demonstrationen gibt, wenn irgendwo mal ein Kulturetat gekürzt wird und weniger diskutiert wird über die Streichung der Eigenheimzulage oder der Pendlerzulage, solange ist mir um die Zukunft der Kultur nicht bange.