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Ein Spiel mit der Zeit

"Life is Strange" war 2015 ein Überraschungshit in der Spieleszene. Jetzt kommt endlich die deutsch untertitelte Fassung in den Handel. Anlass genug, einen Blick auf dieses ungewöhnliche, stille Abenteuer-Spiel zu werfen, das Zeitreisen auf dem Uni-Campus verspricht.

Von Tobias Nowak | 21.01.2016
    Besucher der Messe E3 in Los Angeles spielen "Life is strange"
    Besucher der Messe E3 in Los Angeles spielen "Life is strange" (picture alliance / dpa / Michael Nelson)
    "Now, Max, can you please tell us the name of the process that first gave birth to the first self-portrait?" – "You are asking me?"
    Max hat erstmal keine Ahnung, als ihr Lehrer sie fragt, welche fotografische Technik die ersten Selfies erlaubte. Sie studiert Fotografie an der rennomierten Blackwell Academy und erlebt hier eine typische Campus-Welt: schüchterne Nerds, versnobte Kinder reicher Eltern, unsichere Einzelgänger. Zu letzteren gehört Max. Aber in den ersten Minuten des Spiels wird sie von einer neuen Fähigkeit ergriffen, die das Spiel prägt: Max kann die Zeit zurücklaufen lassen! Nur ein paar Minuten, aber das reicht, um in einer Unterhaltung das falsche Wort zurückzunehmen.
    "Now, Max, can you please tell us the name of the process that first gave birth to the first self-portrait?" – "The Daguerrian Process, invented by a French Painter named Louis Daguerre."
    Max sucht nach neuen Freunden, kommt unsauberen Geschäften, den Liebeständeleien ihrer Kommilitonen, und einem großen, überirdischen Mysterium auf die Spur. Die Zeit zurückspulen zu können, hilft sehr dabei.
    "No way, no fucking way!" – "Are you okay, Victoria?"
    Die Sprachausgabe des Spiels erfolgt leider nur auf englisch – was aufgrund der exzellenten Sprechleistung nicht schlimm ist. Wer ein bißchen "conversational english" beherrscht, wird keine Probleme haben, "Life is Strange" zu verstehen. Und mit den jetzt neuen, deutschen Untertiteln, kann sich jeder sicher sein, der Geschichte folgen zu können
    "Do not freak out!"
    In vielen modernen Games müssen Spieler Entscheidungen treffen, die den weiteren Spielverlauf entscheidend ändern können. Dies ist eine der Stärken, die Games im vergleich zu "linearen" Erzählmedien haben: Sie erweitern den narrativen Spielraum deutlich und machen auch ein mehrfaches Durchspielen bzw. Erleben der Geschichte spannend. In "Life is Strange" bekommt diese Mechanik noch einen Dreh, denn Max kann ja die Zeit zurückspulen und eine andere Entscheidung treffen.
    "Even in pictures, the forest around here always looks mysterious."
    Man sieht "Life is Strange" zwar an, dass es keine Multi-Millionen-Euro-Entwicklung ist: Die Animationen wirken manchmal etwas hölzern, die Lippensynchronisierung ist ausbaufähig und die langen Ladezeiten zwischen verschiedenen Räumen sind heutzutage eigentlich nicht haltbar. Aber: "Life is Strange" sieht dennoch sehr attraktiv aus. Die Gebäude im tiefstehenden Spätsommerlicht erinnern an Edward Hopper, die Gesichter vermitteln manchmal eine fast gläserne Haptik, und die Landschaft wirkt wie ein lebendes Aquarell. Und die Musik untermalt diese Atmosphäre kongenial.
    Und noch etwas macht "Life is Strange" besonders: Das Spiel erzählt seine Geschichte in insgesamt fünf Folgen, die im Verlauf des letzten Jahres veröffentlicht wurden. Diese Art der "Tranchierung" ist aufgekommen, seitdem die neuen Fernsehserien das serielle Erzählen zu einer Renaissance verholfen haben.
    "Walking Dead: Officer?" – [Zombiefauchen] - "Aah, holy shit!"
    Kein Wunder, dass die US-Zombie-Serie "The Walking Dead" als erstes einen hochgelobten Spielableger bekam, der komplementär zur Fernsehserie funktioniert. Oder, aus dem gleichen Entwicklerstudio, The Wolf Among Us, eine Film-Noir-Detektivgeschichte in einem New York, in dem der Böse Wolf ein Privatschnüffler ist, Schneewittchen die Sekretärin des Bürgermeisters, und Grendel ein alter Alkoholiker.
    Episodisch veröffentlichte Spiele bieten nicht nur den wirtschaftlichen Vorteil, über einen längeren Zeitraum von einem kleineren Team entwickelt werden zu können, während die ersten Folgen schon Einnahmen generieren; Episoden-Spiele können außerdem auf ein dramaturgisch sehr wirkmächtiges Werkzeug zurückgreifen: den Cliffhanger! Und von denen bietet Life is Strange gleich eine Hand voll, die einen staunend, erschrocken oder verzaubert, aber auf jeden Fall ungeduldig auf die nächste Folge warten lassen.
    "What the hell is this?" - "Snowflakes? - "It's like ... 80 degress. How?" - "Climate change, or a storm is coming."