Wargames
Vom Bildschirm aufs Schlachtfeld

Computerspiele haben inzwischen eine große Bedeutung für die moderne Kriegsführung. Sie bringen neue Technologien voran, Armeen und Terror-Organisationen gewinnen durch sie Rekruten oder erproben militärische Strategien.

Von Kolja Unger |
    Besucher spielen ein virtuelles Ego-Shooter-Spiel auf der Messe Gamescom in Köln 2023.
    Virtuelles Ego-Shooter-Spiel auf der Gamescom: Fähigkeiten, die man für Games braucht, würden auch in einem echten Krieg helfen. (picture alliance / SvenSimon / Malte Ossowski)
    Spielen und Krieg – das wirkt auf den ersten Blick wie ein Widerspruch. Entsprechend groß war das Befremden hierzulande, als bekannt wurde, dass die Ukraine auf eine Gamifizierungs-Strategie setzt, um Soldaten an der Front zu motivieren. Für getötete russische Soldaten erhalten ukrainische Drohnenpiloten digitale Punkte, die sie auf einer Online-Plattform gegen reale militärische Ausrüstung eintauschen können.
    Das ist nur ein Beispiel dafür, wie stark der Krieg und das Spielen inzwischen miteinander verwoben sind. Militärische Spiele, sogenannte Wargames, revolutionierten bereits im 19. Jahrhundert die strategische Kriegsführung. Heute kooperieren Videospiel- und Waffenindustrie auf vielfältige Weise – und die Armeen von NATO-Staaten, aber auch autoritäre Regime und Terror-Organisationen, setzen zunehmend auf Games, um militärisch relevante Technologien voranzutreiben oder um Soldaten zu rekrutieren.

    Inhalt

    Preußen und die Geschichte der Wargames

    Mit Wargames lassen sich Militärtaktiken erproben, ohne dass jemand dabei in Gefahr gerät. Es gibt sie in verschiedenen Ausführungen: Mit Karten und Spielsteinen, analog, hybrid oder digital. Der Begriff geht auf das preußische Kriegsspiel aus dem Jahre 1824 zurück, eine Art Planspiel, das die damalige Kriegsführung auf ein neues Level hob.
    Nach militärischen Erfolgen des Königreichs machte das Kriegsspiel auch außerhalb Preußens Schule. Wargames sind seither Technologietreiber und Schulungsort zugleich: Damals wurden die Fortschritte bei der Kartografie genutzt, um die Unwägbarkeiten militärischer Manöver in Echtzeit durchzuspielen. Elemente wie ein Würfel dienten der Friktion, simulierten also die nicht vorhersehbaren Schwierigkeiten, die während eines Krieges auftreten. Inzwischen sind es vor allem Computerspiele und digitale Simulationen, die immer realistischer werden, mit denen militärische Szenarien getestet werden.

    Wie Wargames genutzt werden

    In der Führungsakademie der Bundeswehr üben Offiziere mit dem Brettspiel „Die Suwalki-Gap“, was zu tun wäre, wenn Russland die NATO-Ostflanke in Litauen angreift. Die Geschichte habe gezeigt, wie wichtig es sei, Wargames nicht als bloße „Spielerei“ abzutun, sagt Thorsten Kodalle von der Führungsakademie der Bundeswehr. So hätte der Vietnamkrieg ein anderes Ende nehmen können, wenn die militärische Führung der USA sich an die Ergebnisse eines von der CIA entwickelten Wargames gehalten hätte, anstatt sich ausschließlich auf eine Luftoffensive zu verlassen.

    Kein bloßer Zeitvertreib

    Wargames sind in der militärischen Anwendung also alles andere als bloßer Zeitvertreib. Sie werden von Armeen weltweit genutzt, und das nicht nur für theoretische Manöver. Denn die Spiele erfreuen sich großer Beliebtheit - unter Soldat*innen, aber auch darüber hinaus.
    Die US-Army setzte bereits Anfang der 2000er-Jahre auf das immer beliebter werdende Medium Computerspiel, um neue Soldaten zu rekrutieren. Eigens dafür hatten die amerikanischen Streitkräfte den Ego-Shooter „America’s Army“ entwickelt. Die Idee: In einer Online-Version Gamer*innen mit herausragenden Fähigkeiten direkt anzuwerben.
    Computerspiele werden allerdings auch von autoritär regierten Staaten wie Russland, China oder dem Iran sowie von Terrororganisationen genutzt – und missbraucht. Etwa um die Spielenden propagandistisch zu beeinflussen.

    Heroisch und unbesiegt

    Der Soziologe Manouchehr Shamrizi ist bei Recherchen auf Spiele aus Russland gestoßen, bei denen Ereignisse des Afghanistankrieges kontrafaktisch stattfinden. Diese Spiele richteten sich gezielt an die russische Jugend, um aufzuzeigen, wie heroisch und unbesiegt die Sowjetarmee in Afghanistan gewesen sei, was aber nicht den Tatsachen entspreche, sagt Shamrizi.
    Auch Hamas, Hisbollah und Huthis rekrutierten auf diesem Weg Mitglieder, berichtet der Soziologe, der das Gamelab der Humboldt Universität gegründet und das Außenministerium in Sicherheitsfragen beraten hat: „Sie tun das auch durch die Zurschaustellung ihrer vermeintlichen Erfolge, indem man den 7. Oktober nachspielen kann.“

    Wie Computerspiel- und Rüstungsindustrie kooperieren

    Eine Drohne steuern: Das funktioniert im Krieg genauso wie in Computerspielen. Sogar mit der gleichen Technik. Das hat unter anderem dazu geführt, dass die EU Anfang 2025 in ihrem 16. Sanktionspaket den Export von Videospiel-Controllern nach Russland untersagte. Mit ihnen kann man nämlich nicht nur spielen, sondern auch Kampfdrohnen steuern.
    Gamer*innen entwickelten – häufig, ohne es zu merken – beim Spielen Technologien weiter, sagt Felix Falk vom Branchenverband Game. So würden beispielsweise KI-Modelle in Spielen trainiert, oder das autonome Fahren in Autorennspielen. Oder eben auch intelligente Waffensysteme. Wissentlich oder unwissentlich testen Gamer*innen in Wargames ihre Bedienung und verbessern sie.

    Ein realistischer Jagdsimulator

    Armeen und Waffenindustrie setzen bewusst auf Kooperationen mit Gaming-Studios und stellen ihnen Ressourcen zur Verfügung. Beispielsweise hat das Studio Ten Square Games mit einer Waffenfirma einen möglichst realistischen Jagdsimulator entwickelt. In „Hunting Clash“ sind die Spieler*innen mit Waffen und anderen Produkten der Firma Beretta ausgestattet.
    Solche Kooperationen sind auch bei anderen Waffengattungen denkbar. Auf diese Weise können die Studios ihre Spiele realistischer machen, während Armeen für sich mit dem Versprechen werben können, das Hobby, beispielsweise Drohnen zu steuern, zum Beruf zu machen. Für die Bundeswehr ist das allerdings noch ein Tabu.

    Gaming als Assessment-Center für Armeen 

    Drei Milliarden Menschen spielen Computerspiele. Gamer*innen sind zudem häufig global vernetzt, digital affin und resilient, weiß Felix Falk vom Branchenverband Game, der jährlich die Computerspielmesse Gamescom in Köln ausrichtet. Hier hatte auch die Bundeswehr einen Stand.
    Gamerinnen und Gamer seien für die Armee eine wichtige Zielgruppe, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Thomas Erndl. Reaktionsfähigkeit, die Koordinierung von Teams, Multitasking: Die Fähigkeiten, die Spieler mitbrächten, seien für die Bundeswehr relevant.
    Sein Amtskollege Ulrich Thoden, MdB von der Linken, warnt hingegen vor einer Vermischung von kriegerischem Spiel und militärischer Realität. Es sei grundsätzlich falsch, junge Menschen mit Spielen für einen Wehrdienst „zu ködern“. In einem Computerspiel könne man schließlich den Reset-Knopf drücken, den letzten Spielstand laden und an einem Spawn-Point wiederauferstehen. Das alles sei im echten Leben nicht der Fall.

     Die psychologische Wirkung von Kriegsspielen

    Computerspiele wie "Call of Duty", "Battlefield" und "Fortnite" führen die Spieler*innen allesamt auf virtuelle Schlachtfelder. Fast schon automatisch erwerben Computerspielende also Kompetenzen, die sich militärisch als nützlich erweisen können.
    Darüber hinaus seien Lernergebnisse von Wargames sehr nachhaltig, berichtet Thorsten Kodalle von der Führungsakademie der Bundeswehr. Das Erlernte bleibe länger haften. Das, glaubt er, liegt vor allem an den Emotionen, die beim Spielen ausgelöst werden. Die Gamer*innen schlüpften in eine Rolle: „Und das bleibt dann im Gedächtnis haften oder brennt sich ein, weil sie hier natürlich verschiedene Sinne aktivieren, Sachen im wahrsten Sinne des Wortes begreifen.“

    Amokläufe von Gamer*innen

    Die Frage, wie sich das Spielen von kriegerischer Gewalt psychologisch auswirkt, wurde zuerst im Zusammenhang mit Amokläufen von Gamer*innen breiter diskutiert. Die Forschung kommt zu eher differenzierten Ergebnissen. Einerseits gibt es viele Studien, die kurzfristige Effekte von Gewaltinhalten in Computerspielen belegen. Die emotionale und physiologische Erregung ist demzufolge über das Spielende hinaus vorhanden und klingt dann langsam ab.
    Langfriststudien können aber bei gesunden Erwachsenen keinen eindeutigen Effekt von Gewaltinhalten in Computerspielen auf Einstellung und Verhalten belegen. Erwachsene sind in der Regel in der Lage, zwischen fiktionalen Gewaltinhalten und realen zu differenzieren.

    Risiken von Wargames für Jugendliche

    Bei Jugendlichen und Kindern sehe das anders aus, sagt der Medienwissenschaftler Johannes Breuer von der Ruhr Universität Duisburg Essen. Sie seien vulnerabler und beeinflussbarer als ältere Menschen und anfällig für Anwerbeversuche und das Versprechen von Karriere und einem besseren Leben. Breuer sieht deswegen bei der Rekrutierung von Soldaten über Games Regulierungsbedarf in Europa.

    Online kämpfen und der reale Krieg

    Der linke Bundestagsabgeordnete Ulrich Thoden denkt ähnlich. Er ist Lehrer. Sein Eindruck: Junge Menschen, die nun verstärkt für die Bundeswehr gewonnen werden sollen - auch an Orten, die bislang primär ihrer Unterhaltung dienten - erleben derzeit eine Ohnmachtserfahrung, das Gefühl, dass sie nichts verändern können. So werde nichts gegen den Klimawandel getan, Jugendliche wüssten nicht, ob die Rente sicher ist, müssten in maroden Schulen lernen - und nun werde auch noch von ihnen gefordert, sich an der Waffe ausbilden zu lassen.
    Wissen junge Menschen schon genau, was das bedeutet? Mit einem Avatar und einer Waffe aus Pixeln in der Hand durch fiktive Räume zu laufen, ist eine Sache. Im Militäreinsatz um sein Leben zu kämpfen, eine andere. Diese Grenze scharf zu ziehen, wird jedoch zunehmend schwerer.