Im Corsogespräch spricht Silke Hahne mit dem Autoren und Dozenten Mario Giordano und der Programmiererin und Multimediakünstlerin Grit Schuster.
Silke Hahne: Willkommen, Mario Giordano, Autor und Dozent für interaktive Erzählformen, und Grit Schuster, Programmiererin, Artdirektorin und auch Mediakünstlerin und Autorin. Herr Giordano, Sie haben uns heute Ihr Lieblingsbuch mitgebracht. Was ist das für ein Buch?
Mario Giordano: Es ist eines meiner Lieblingsbücher. Es ist eine Kurzgeschichtensammlung von Ray Bradbury, meinem großen Idol, und da gibt's eine Geschichte, die heißt "Das Kind von morgen", und die beginnt so: "Er wollte nicht der Vater einer kleinen, blauen Pyramide sein." Das ist eine der Geschichten, die mich immer sehr berührt haben. Da geht es um ein Elternpaar, die ein Kind bekommen und feststellen, dass dieses Kind leider in einer anderen Dimension geboren ist und nämlich eine kleine, blaue Pyramide geworden ist. Und der geht's gut, die ist gesund und sie lebt auch und sie pulsiert so ganz freundlich, und die Eltern müssen damit nun irgendwie umgehen und werden nachher vor die Wahl gestellt, selbst in diese Dimension zu wechseln - da gibt es eine Möglichkeit – und auch zu geometrischen Objekten zu werden, um dann ganz bei ihrem Kind zu sein.
Hahne: Als Film kann ich mir das sofort vorstellen. Wie ist das jetzt, wenn man so eine Ausgangsgeschichte hat, wie wird eigentlich aus so einer Erzählung ein Game?
Giordano Wenn wir das so wüssten! Dafür gibt es, glaube ich, kein Rezept. Es geht erst mal wie immer darum, wenn man einen literarischen Stoff adaptiert, sich dafür zu begeistern und dann zu versuchen, in diesem Medium, in das man es übertragen will – man hat eine vage Idee, wie das vielleicht gehen könnte –, irgendeinen Weg zu finden. Das ist so ein bisschen Blindflug und Tapsen im Dunkeln, aber das ist eben auch der große Spaß an der Sache.
Hahne: Frau Schuster, als Programmiererin, welche technischen Grenzen gibt es denn vielleicht auch dabei?
Grit Schuster: Also technische Grenzen gibt es natürlich von der Hardware, auf der das Spiel nachher gespielt werden soll, welche Rechenleistung die hat, welche Grafik man darstellen will, wie viele Daten man überhaupt einbauen will, aber ich finde, das ist nicht die primäre Herausforderung, wenn man das jetzt in ein Spiel umsetzen will, also vor allen heutzutage nicht mehr, glaube ich. Ich finde ja, ein großer ... oder was ein Spiel besser kann als andere Medien, ist ja, dass der Spieler agiert, dass er sozusagen nicht nur die Geschichte erzählt bekommt, sondern dass er wirklich teilnimmt.
Und wenn man jetzt die Geschichte liest, also mir ging's natürlich auch so, dass man sich dann fragt, ja, würde ich ... was würde ich aufgeben, um mit dem Kind zusammen zu sein. Und die Frage stellt man sich hypothetisch, und in einem Spiel kann man das sozusagen erleben. Und ich würde mich halt eben aber auch fragen, will ich jetzt die Geschichte eins zu eins nacherzählen, oder pick ich mir einfach ein paar Elemente raus, die ich interessant finde. Also zum Beispiel, was bedeutet es, große Erwartungen zu haben, die enttäuscht werden, gesellschaftliche Konformität oder jetzt eine ganz andere Ebene, Multiplayer-Game, wie kommuniziere ich von einer Dimension in die andere.
Interaktive Erzählformen bedeuten auch Kontrolle abgeben
Hahne: Sie haben jetzt die Interaktion oder die Aktion, die Handlungsspielräume des Spielers angesprochen. Herr Giordano, was erfordert das dann wiederum von einem Autor, das eventuell mitzudenken, umzusetzen, welche zusätzliche Ebene muss er da mit berücksichtigen?
Giordano: Die größte Herausforderung für die Autoren ist zunächst, Kontrolle abzugeben. Wenn man ein Buch schreibt oder ein Drehbuch schreibt, hat man immer die Kontrolle über die Geschichte, erzählt sie von Anfang über die Mitte bis zum Ende, und bei interaktiven Erzählformen gibt man nun sehr viele Kontrolle an die Spieler oder Nutzer, wie auch immer man sie nennt, ab. Das ist der allererste Schritt, den man bereit sein muss zu gehen. Dann wird es sicherlich kompliziert, aber das kann ja auch sehr spannend sein.
Hahne: Sie sind ja auch Dozent für interaktive Erzählformen, Herr Giordano, merken Sie das bei Ihren Studenten, die ja vielleicht auch sich mit Games konfrontiert haben oder gezockt haben, als sie jünger waren, bringen die das automatisch mit oder müssen die das auch erst mal lernen?
Giordano: Das muss man immer lernen. Man kann nicht davon ausgehen, dass da dieses Wissen so ganz verbreitet ist. Auch die Grundlagen des Erzählens, das Storytelling, damit werden wir ja nicht sofort auch in der Schule konfrontiert, darüber muss man erst mal immer sprechen: Was macht eine Geschichte aus - da gibt es viele Grundlagen zu erzählen.
Hahne: Ich hab mal geguckt, welche Games kommen jetzt raus, werden neu vorgestellt auf der Gamescom. Die tragen dann so Namen wie "Call of Duty", "Warfare" oder "Assassin's Creed", wenn es sowieso viel um Ballern oder Autofahren oder Abschlachten geht. Warum, vielleicht Frau Schuster, braucht dann ein Spiel einen Plot?
Schuster: Es gibt halt verschiedene Bedürfnisse, die bei einem Spieler erfüllt werden sollen, also verschiedene Motivationen, warum jemand ein Spiel spielt. Das kann einfach nur schöne Sinneswahrnehmung sein, es kann Zeitvertreib sein, ganz lapidar, und eins davon ist eben auch Erzählung. Da muss man sich eben als Spieldesigner fragen, was will ich vermitteln, wen will ich ansprechen und welche Bedürfnisse will ich erfüllen. Und danach richtet sich das dann auch, meiner Meinung nach, ob das Spiel eine Handlung und einen Plot braucht oder nicht.
Handlungsgetriebenes Spiel
Hahne: Gibt es da besonders gelungene Beispiele aus dem Bereich der Erzählung?
Schuster: Ein Beispiel, was jetzt vor ein paar Jahren ziemlich präsent war, war "Heavy Rain", ein sehr, sehr episches Spiel – manche mutmaßen, es ist gar kein Spiel, sondern ist ein interaktiver Film. Das, was sie da gemacht haben, ist, es gibt wahnsinnig viele Stränge und verschiedene Enden. Das Ding ist halt aber, dass der Spieler meistens - also es gibt natürlich welche, die spielen das dann ganz oft, um die ganzen Enden zu entdecken, aber in der Regel erlebt man ja die Geschichte linear, nämlich genau dieses eine Erlebnis, was ich spiele, ist die Geschichte, die ich wahrnehme. Und wenn man Pech hat, hat man ganz viel Geld und Zeit und Energie in ganz viele Handlungsstränge gesteckt, die dann gar nicht erlebt werden. Ja, aber ist ein gutes Beispiel für ein sehr handlungsgetriebenes Spiel.
Giordano: Wobei man dazusagen muss, dass dieser Begriff Story oder Geschichte in ganz unterschiedlicher Weise benutzt wird. Es war bis vor Kurzem noch so – und es gibt immer noch auch Spiele, die das so betrachten –, dass die Story ein Element, ein Zusatzelement ist, das auf die Geschichte oder über die Geschichte drübergestülpt wird, dass es Passagen gibt, wo dem Spieler Dinge erzählt werden oder Filmsequenzen noch eingespielt werden, die dann angeblich die Story sind. Das sind dann aber immer die Momente, wo man sich sehr schnell mal weiterklickt, weil man endlich wieder Leute totfahren will oder Blutbäder anrichten möchte. Das ist nicht das, was wir dann mit Story meinen.
Handwerk des Erzählens
Hahne: Was bringen denn literarische Autoren vielleicht in dem Bereich mit, was Spielefirmen oder Spielemacher lernen können?
Giordano: Zunächst bringen Sie das Handwerk des Erzählens mit. Geschichten werden erzählt, weil sie uns emotional berühren sollen – und das ja auch tun – und weil sie eine ästhetische Qualität haben. Und das ist das, was Buchautoren oder auch Drehbuchautoren sicher mitbringen und was auch Games guttun kann.
Hahne: Ist das denn tatsächlich ein neues Arbeitsfeld, denken Sie, für Autoren?
Giordano: Absolut. Wir haben gerade gestern auf einer Podiumsdiskussion zusammengesessen mit Gameautoren, die sehr früh schon angefangen haben, konzentriert auch für Games zu arbeiten. Das sehe ich absolut als ein zusätzliches Beschäftigungsfeld für Autoren. Autor zu sein, ist ja nun nichts, womit man sofort ein Vermögen machen kann, da ist man immer froh, wenn man Beschäftigungsmöglichkeiten sieht, und Games sind sicherlich eins davon.
Hahne: Frau Schuster, wenn man jetzt einen Strich drunterzieht unter die Diskussion über Storytelling bei Games, muss sich die Erzählung im Endeffekt nicht doch immer ohnehin der Technik unterordnen?
Schuster: Das kommt eben drauf an, was ich erzählen will. Also wenn ich nur zum Beispiel ein Gefühl erzählen will, wie ist es, wenn ich der bin, wenn ich in dieser Situation bin, dann, glaube ich, ist das kein Problem. Aber wenn zum Beispiel in einem Spiel jetzt die Aktion das Wichtigste ist, dann würde ich schon die Geschichte der Technik unterordnen oder dem, was vorhanden ist. Es kommt eben auch drauf an, wie ist die Konstellation des Teams, welche Möglichkeiten haben die, welche Software haben die, welche Fähigkeiten haben die und, ja, das spielt halt alles ineinander rein, und davon hängt es ab.
Giordano: Dazu gibt es ja in der Gamesbranche auch wirklich zwei Positionen. Da gibt es dann Spielefirmen wie Daedalic, die ganz deutlich sagen, die Autoren gehen vor, die Geschichte geht vor, und es gibt andere Firmen, die dann sagen, das kann nicht funktionieren, an irgendeinem Punkt greift das Gameplay ein, und da kann man den Autoren nicht mehr ganz freie Hand lassen, weil man es sonst nicht mehr in den Griff kriegen würde mit der Programmierung. Aber da hat man's wirklich zwei unterschiedlichen Positionen zu tun und muss dann immer drauf gucken, was sind das für Games, über was für Games reden wir da.
Hahne: Mario Giodano und Grit Schuster, vielen Dank für das Gespräch!
Schuster: Gerne!
Giordano: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.