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Gangster oder Robin Hood?

Manenberg. Ein Ortsteil von Kapstadt. Graue Wohnblocks. 60 Prozent der unter 30-Jährigen haben keinen Job. Damit ist die breite Mehrheit ausgeschlossen vom normalen Wirtschaftsleben. Hier sind es die Gangs, die "Arbeitsplätze" schaffen. Reich wird ein Straßengangster selten. Der Profit fließt an die Männer im Hintergrund, die sich als Geschäftsleute sehen.

Von Corinna Arndt |
    Der junge Mann in dem verwaschenen Nike-Shirt und den Adidas-Schuhen heißt Michael. Er hat sanfte Augen und weicht dem Blick von Fremden aus. Er ist schüchtern und beantwortet jede Frage zustimmend. Er sitzt in einem Büro des Selbsthilfevereins ehemaliger Gangster im Kapstädter Ortsteil Manenberg.

    Schaut er aus dem Fenster, dann blickt er hindurch zwischen zwei Wohnblöcken in fleckigem Grau. Von einer Fassade zur anderen spannen sich Wäscheleinen. Wenn der Südostwind dazwischenfährt, flattern unzählige Farben wild durcheinander. Das ist Manenberg: 80.000 Einwohner auf zwei Quadratkilometern Sand und Stein. 5.000 davon sind Gangster. Jeder dritte Mann zwischen zehn und dreißig. Manenberg: das steht als Synonym für Bandenkriege, soziale Probleme und "no future". Die Schattenseite des neuen Südafrika. In der Ferne ragt das Tafelbergmassiv auf. Die Schönheit Kapstadts ist so weit weg wie der Mond.

    Michael knetet seine Finger, lehnt sich im Bürostuhl zurück und dreht sich langsam, unablässig hin und her. Dann bricht es aus ihm heraus. Bruchstückhaft, in Fetzen, mal eindringlich flehend, mal wie im Selbstgespräch. Ein halbe Stunde lang.

    "Wir nehmen Drogen und tun alles dafür, um an Stoff zu kommen. Wir haben keine Arbeit, wir stehlen und kaufen uns dafür Drogen und andere Sachen. Irgendwann fällst du auf mit deinem schicken Handy und so. Und dann wollen sie dich ausrauben! Spätestens dann gehst du in eine Gang, damit du geschützt bist."

    Rund 120 solcher Banden gibt es in und um Kapstadt - mehr als in jedem anderen Teil Südafrikas. Die beiden größten Gangs, die Americans und die Hard Livings, haben jeweils einige tausend Mitglieder. Ihr Stammgebiet sind die ehemaligen Townships der farbigen Mischlinge am Kap. Hier, in den Cape Flats, den staubigen Vororten Kapstadts stirbt jeder zweite Mann zwischen 16 und 30 durch Mord. Gangster, manchmal nicht älter als 13 oder 14 Jahre, stehlen, rauben und tragen Konflikte mit geladener Waffe aus. Das sei so gewesen, so lange er denken könne, sagt Michael.

    "Mein Vater ist tot. Er war auf Drogen und ist an Tuberkulose gestorben. Meine Schwester hat auch Drogen genommen. Und mein Bruder raucht Tik. Meine Mutter hat nie mit mir geredet, so wie eine Mutter mit ihrem Sohn redet. Mein ganzes Leben lang nicht. Sie hat mir nie gesagt, was richtig und was falsch ist. Wenn sie zu mir kam, hat sie mich angeschrieen, dass ich dies oder jenes machen und ansonsten die Klappe halten soll. Sie trinkt. Nicht viel, nur am Wochenende. Sie geht auch nicht mehr arbeiten."

    Michael ist 22 und Ex-Gangster, wie er betont. Vor zwei Wochen ist er aus dem Gefängnis entlassen worden. Mal wieder. Seit sieben Jahren dasselbe Spiel: Bandenkriege, Gerichtsprozesse, Haftstrafen, und wieder zurück in die Gang. Wie viele Menschen er ausgeraubt, wie viele er angeschossen hat - er weiß es nicht. Doch jetzt reicht es ihm. Und seine Wut gilt den Anführern.

    "Ich habe Leute ausgeraubt und zusammengeschlagen, erstochen und so was. Wir hatten Bandenkämpfe. Aber sie sagen dir nie die Wahrheit, warum du kämpfst! Und wenn du in den Knast wanderst: keiner besucht dich. Dann merkst du, dass sie dich nur benutzt haben."

    Sie, das sind die Gangsterbosse, geschätzte zwanzig. Unter ihrem Kommando stehen in den Cape Flats mehr als 100.000, zumeist drogenabhängige, Gangster. Die stehlen, rauben, morden, liefern sich Straßenschlachten und haben ganze Stadtviertel unter ihrer Kontrolle. Vor allem aber sorgen sie dafür, dass die Untergrund-Wirtschaft am Kap reibungslos funktioniert. Reich wird ein Straßengangster in der Regel nicht. Der Profit fließt an die Männer im Hintergrund. Die sehen sich als Geschäftsleute und sind darauf bedacht, sich nicht die Hände schmutzig zu machen, sagt der Bandenexperte Andre Standing vom Institut für Sicherheitsstudien.

    "Die Bandenchefs haben ein völlig anderes Leben. Sie lassen sich von Anwälten schützen und leben häufig gar nicht mehr in den Townships. Sie ziehen alle Register, wenn es darum geht, den Strafverfolgern zu entgehen. Und sie verdienen viel Geld."

    Am lukrativsten ist der Drogenmarkt. Daneben reicht das Spektrum von Kleinkriminalität bis zum Auftragsmord. Der kriminelle Dschungel ist undurchdringlich: Prostitution, Waffenhandel, Wilderei, Schutzgelderpressung, Raub, Diebstahl und Hehlerei - Hauptsache, der Profit stimmt. Wie viel Geld hier täglich eingenommen und gewaschen wird - niemand weiß es. Andre Standing:

    "Diese Typen sind nicht einfach Kriminelle - das sind Unternehmer, erfolgreich mit allen möglichen Geschäften. Knallharte Unternehmer unter knallharten Bedingungen. Einige von denen wären unter normalen Umständen wahrscheinlich erfolgreiche Geschäftsleute."

    Tatsächlich steigen die Gangsterbosse zunehmend in die legale Wirtschaft ein: Sie bauen Taxiunternehmen auf, öffnen Autowerkstätten und verkaufen Autos. Vornehmlich, um Drogengelder zu waschen. Die Polizei hat Mühe, da mitzuhalten. Ermittler konzentrieren sich auf die Hintermänner. Doch die Prozesse sind kompliziert: Regelmäßig verschwinden Akten und wichtige Zeugen – falls sich überhaupt welche finden. Es mangelt an Personal und Material. Kishor Harri ist seit vier Jahren Polizeichef in Manenberg. Der Job ist hart, doch Harri ist optimistisch. Die Zahl seiner Polizisten ist auf 130 aufgestockt und die Polizeiwache im vergangenen Jahr ausgebaut worden.

    "Es ist schwierig, gegen Banden zu ermitteln. Besonders die starken Gangs bestechen Polizeibeamte. Das sind zwar Einzelfälle, aber es kommt vor, dass Polizisten mit den Gangstern unter einer Decke stecken."

    Hartnäckige Gerüchte besagen, dass mindestens ein Polizist in jeder Polizeistation gekauft ist. Entsprechend sicher fühlen sich die Gangster. Noch vor wenigen Jahren haben sich viele Bandenchefs auf offener Straße als Wohltäter feiern lassen. Einer war bekannt – und beliebt – dafür, dass er regelmäßig Geldscheine aus seinem fahrenden Auto warf. Die meisten von ihnen sind heute entweder tot oder hinter Schloss und Riegel. Die neue Generation von Bandenchefs hält sich im Hintergrund, sagt Faggie Johnson. Er ist Sozialarbeiter und wohnt mittendrin in Manenberg. Von seinem Fenster im zweiten Stock beobachtet er spielende Kinder und Drogendealer. Und er kennt sie alle.

    "Da gibt es diesen Typen, der wohnt direkt hinter mir, das ist der Anführer der Americans-Gang. Ein ruhiger Mensch, der redet nicht viel. Aber solche Leute sind sehr gefährlich. Der hat sich ein Imperium aufgebaut, Schritt für Schritt - du solltest die Autos sehen, die er fährt!"

    Gangster mit schnellen Autos, schönen Frauen und Geld wie Heu - das sind die Helden der Kinder von Manenberg. In einer Welt aus zerbrochenen Familien, Alkoholismus, Arbeitslosigkeit und Gewalt sind sie die einzigen Helden. Nach Studien waren 62 Prozent der Achtzehnjährigen bereits Zeuge eines Mordes. Alle wollen raus aus Manenberg. Schaffen tun es wenige. Die Alternative: eine Karriere als Gangster. Noch einmal Andre Standing.

    "Die Erwartung ist: Wer hart arbeitet und loyal ist, der steigt auf. Wie der amerikanische Traum. Bevor sie ins Gefängnis gehen, glauben sie, dass sie groß rauskommen, wenn sie jemanden umbringen, hart arbeiten, cool aussehen und furchtlos agieren. Dann geht ihnen so langsam auf, dass sie verkohlt wurden. Dass es hunderttausend Gangster gibt, aber nur 20 Bosse. Und die verdienen das ganze Geld."

    Wie viel genau, das weiß niemand. Legale und illegale Geschäfte vermischen sich, und oft sind die Hintermänner nicht einmal bekannt. Adrian Lackay, Sprecher der Steuerbehörde, beruft sich auf eine Studie von 2001. Halblegale Aktivitäten eingeschlossen, fährt die Untergrund-Wirtschaft in Südafrika demnach jährlich etwa 18 Milliarden Euro ein oder knapp 12 Prozent des Bruttoinlandproduktes – steuerfrei, versteht sich.

    "Nach unseren aktuellsten Statistiken belaufen sich die Gewinne aus kriminellen Aktivitäten auf etwa ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das sind etwa zwölf Milliarden Rand pro Jahr - umgerechnet 1,6 Milliarden Euro -, Drogen und Edelmetalle nicht eingerechnet."

    Nach Schätzungen werden allein in den Townships um Kapstadt Mandrax und Cannabis im Wert von fast drei Millionen Euro gehandelt. Pro Woche. Seit sich Südafrika nach dem Ende des Apartheid-Regimes auch wirtschaftlich geöffnet hat, ist der Drogenkonsum am Kap explodiert und das Land hat einen festen Platz auf der Weltkarte des Drogenhandels eingenommen, sagt Lackay.

    "Südafrika wird zunehmend zu einem Drehkreuz im internationalen Drogengeschäft. Das gilt vor allem für Rauschgift aus Südamerika und aus dem Osten - in diesem Fall Heroin und Chemikalien zur Mandrax-Herstellung."

    Für Nachschub ist also gesorgt. Doch mittlerweile ist der traditionelle Markt in den farbigen Townships gesättigt, und die Nachfrage stagniert. Als Reaktion darauf expandieren die Drogenbarone in alle Richtungen: in die Kapstädter Innenstadt, in reiche Wohngegenden und in schwarze Townships. Außerdem verschärft sich die Konkurrenz; nicht nur zwischen einheimischen Gangstern und internationalen Drogenkartellen, sondern auch innerhalb der südafrikanischen Banden. Ein Führungsmitglied der Americans hat sich kürzlich mit der Modedroge Tik "selbstständig" gemacht und ist gut im Geschäft – trotz Mordanschlägen und aufflammenden Bandenkriegen, erzählt Faggie Johnson.

    "Er hat angefangen, sein eigenes Tik zu produzieren und zu verkaufen. Direkt hier gegenüber. Er hat gemerkt, dass er bedeutend mehr verdienen kann, wenn er nichts an seinen Boss abtreten muss. Und sein Handel blüht. Er nimmt es mit dem Imperium der Americans auf. Das ist, als würdest du Donald Trump herausfordern. Mutig, aber auch ziemlich dumm. Der macht sich keine Gedanken darum, was das auslöst."

    Die Rücksichtslosigkeit des Herausforderers ist symptomatisch. Im Grunde sei die Untergrund-Wirtschaft nichts anderes als Haifisch-Kapitalismus fernab jeglicher Moral, sagt André Standing.

    "Es ist ein illegaler und polarisierter Markt. Da gibt es die Masse der Arbeitslosen, die ihr Einkommen aus sporadischer Kriminalität bestreiten: Diebstahl, ein bisschen Hasch oder Mandrax verkaufen, ein paar Gefallen tun, darauf warten, das etwas passiert. Das ist die Masse der Gang-Mitglieder. Darüber gibt es eine besser gestellte Klasse. Die erpressen Schutzgelder und verkaufen Drogen im großen Stil. Und ganz oben sitzen die Großhändler, die Hehler und Drogenbarone, die machen jedes Jahr Millionen. Es ist ein simples Wirtschaftssystem, eine Form von Ausbeutung."

    Doch die Untergrund-Wirtschaft hat auch eine andere Seite: 60 Prozent der unter 30-Jährigen in den Cape Flats haben keinen Job. Damit ist die breite Mehrheit ausgeschlossen vom normalen Wirtschaftsleben. Hier sind es die Gangs, die "Arbeitsplätze" schaffen. Nach Polizei-Statistiken verdienen 30.000 Menschen ihren Lebensunterhalt durch sie, direkt oder indirekt, als Kämpfer, Dealer, Hehler, Prostituierte oder Drogenkuriere. Damit hat die Untergrundwirtschaft soziale Dimensionen erreicht.

    Beispiel Diebstahl: Laut Konsumgüterverband sind im Jahr 2004 allein in der Westkap-Provinz Güter und Bargeld im Wert von umgerechnet 900.000 Euro gestohlen worden. Für mehr als die Hälfte der Fälle werden kriminelle Banden verantwortlich gemacht. Doch was des einen Verlust, beschert den Menschen in Manenberg Konsumgüter auf dem Schwarzmarkt, die sie sich anderweitig nicht leisten könnten. Es sei ganz einfach, erklärt Faggie: Die Nachfrage bestimme das Angebot.

    "Was hier jeden Tag passiert: Es klopft an der Tür: Hallo, ich hab da was. Die gehen gezielt zu Leuten, die etwas Geld haben oder irgendwas brauchen, zum Beispiel bestimmte Ersatzteile fürs Auto. Man kann sogar Bestellungen aufgeben. Wenn du keine 5.000 Rand für einen Laptop zahlen willst, dann beschaffen sie dir eben einen für 1.000. Natürlich illegal, aber du bekommst alles, was du brauchst!"

    In Gebieten wie Manenberg federt billige Hehlerware die Folgen der Armut ab. Mehr noch: das Verbrechen verliert seinen unmoralischen Beigeschmack. Unter anderem deshalb werden die Banden vom beträchtlichen Teil der Bevölkerung geduldet oder sogar aktiv beschützt. Und die Gangsterbosse achten darauf, ihr Wohltäter-Image zu pflegen: Sie sponsern Fußballturniere, Begräbnisse und Karnevalstruppen. Sie zahlen Schulgebühren, Mieten und Taxifahrten ins Krankenhaus. Mit Menschenfreundlichkeit hat das nur selten etwas zu tun. In der Regel gilt: Ohne Gegenleistung gibt es gar nichts, sagt Faggie Johnson.

    "Die Dealer zahlen deine Miete, aber sie erwarten eine Gegenleistung. Zum Beispiel musst du Drogen, Hehlerware, Waffen oder Geld bei dir verstecken. Dafür zahlen sie vielleicht deine gesamte Jahresmiete oder die Stromrechnung. Wenn du bei den Gangs in der Kreide stehst, geben sie dir trotzdem Geld - aber du musst dich erkenntlich zeigen."

    Das System funktioniert. Und je mehr davon profitieren, desto weniger stellen es in Frage. Gangs sind untrennbar mit den Gemeinden verbunden. Wenn etwas passiert, stoße die Polizei regelmäßig auf eine Mauer des Schweigens, sagt Polizeichef Harri.

    "Viele Leute denken, man kann die Gangster von den guten Bürgern trennen. Unsere Gangster hier kommen aus dem Ort. Es sind unsere Kinder. Das macht es schwierig für die Polizei, jemanden zu verhaften, weil du dich erst mit dem halben Ort herumschlagen musst. Normale Menschen lassen sich von Gangs aushalten, einfach weil die sozialen Probleme so riesig sind. Sie verstecken Drogen oder Waffen, sie bieten moralische Unterstützung in Gerichtsverhandlungen, sie legen sich bei Razzien mit der Polizei an. Teile der Gemeinde leben tatsächlich in Symbiose mit den Gangs. Letztes Jahr sagte ein Gangster zu mir: Wenn ich Fleisch esse, dann isst auch meine Familie Fleisch. Wir dürfen nicht vergessen, wie arm die Menschen sind. Da ist jede Hilfe willkommen. Gangs füllen eine Lücke: Sie sind da, wo die Zivilgesellschaft und der Staat versagt haben."

    Für die Menschen in den Cape Flats ist es ein ewiges Dilemma. Sie verabscheuen die tägliche Gewalt und profitieren gleichzeitig von den Früchten des Verbrechens. Und bis die ANC-geführte Regierung Südafrikas das Armutsproblem löst, wird sich an dieser Situation auch wenig ändern, prophezeit Mary Simons, Politikwissenschaftlerin an der Universität Kapstadt.

    "Die tödliche Kombination, die wir in Kapstadt beobachten, ist Sozialhilfe gepaart mit Bandenwesen. Die Frauen bekommen Sozialleistungen und halten damit weitläufige Haushalte über Wasser. Aber das Geld reicht nur fürs Allernötigste. Und damit sind sie angewiesen darauf, dass ihre Söhne Gangster werden und mit dem, was sie erbeuten, die Familie unterstützen. Und sie schützen ihre Söhne! Gangster erhalten so viel Unterstützung, weil sie de facto in diesen Gemeinden das staatliche Sozialsystem ergänzen. Sie sind wie Robin Hoods!"

    Das Problem: Während die Untergrund-Wirtschaft die Armut von Teilen der Bevölkerung lindert, verhindert sie gleichzeitig gesundes Wirtschaftswachstum in den verarmten Cape Flats in Kapstadt. Die Sicherheitslage ist so prekär, dass sich kaum Geschäfte ansiedeln. Wer wirtschaftlich erfolgreich ist, macht sich zur Zielscheibe für Kriminelle. Die Folge: Geld, das in Gebieten wie Manenberg im Umlauf ist, wird nicht im Ort ausgegeben. Noch einmal Andre Standing.

    "Es ist ein zweischneidiges Schwert. Ja, Gangs bringen Geld in arme Gemeinden; von außen durch Diebstähle in Fabriken und weißen Wohngegenden. Aber die bei weitem lukrativsten Geschäfte sind Schutzgelderpressung und Drogenhandel. Und dieses Geld wird nicht vor Ort in den Gemeinden investiert. Es ist in den Händen von wenigen Drogenhändlern, die sich damit große Häuser in reichen Gegenden bauen. Das heißt, anstelle einer wachsenden lokalen Wirtschaft gibt es einen Kapitalabfluss. Und das macht alles nur noch schlimmer."

    In Manenberg regiert die Hoffnungslosigkeit. Direkt gegenüber der Selbsthilfegruppe für ehemalige Gangster, im unsteten Schatten der flatternden Wäsche, haben die "Play Boys" ihr Hauptquartier: eine Nachwuchsgang, in der bereits Zehnjährige Mitglied sind. Gekämpft wird mit Fäusten und Steinen. Immer wieder kommt es zu schweren Kopfverletzungen. Der Anführer, Falde, wohnt nur wenige Meter entfernt mit seiner Mutter und zwei Geschwistern in einer winzigen Wohnung. In der auf Hochglanz polierten Schrankwand stehen Figuren aus Porzellan. An der Wand hängt ein Bild der Ka'ba in Mekka. Auf dem Sofa liegt eine Häkeldecke. Darauf sitzt Falde.

    "Ich bin der Chef. Wenn es Streit in der Bande gibt, dann entscheide ich. Wenn wir mit anderen Gangs kämpfen, renne ich vorneweg. Wir haben noch keine richtigen Waffen. Aber wir haben schon eigene Pistolen gebaut, mit Kupferrohren und Schrauben und echter Munition, die wir von den großen Gangstern bekommen haben."

    15 Jahre alt ist Falde. Klein, trotzig hochgerecktes Kinn, wacher Blick. Er kann kaum lesen. Keine Schule will ihn mehr aufnehmen. Dafür kennt ihn jeder Polizist in Manenberg. Er ist ein Kämpfer, der sich von niemandem etwas sagen lässt. Seine Karriereaussichten im Untergrund: vielversprechend. Faggie Johnson kennt das Prozedere nur zu gut:


    "Es dauert nicht lange, bis die richtigen Gangster auf die Kleinen aufmerksam werden: die mit Mut, Schneid und Selbstbewusstsein. Die wollen sie, vor allem, um Drogen zu schmuggeln. Schließlich fällt ein Dreizehnjähriger nicht auf. Und sie benutzen sie für Morde. Niemand rechnet beim Anblick eines Kindes in Schuluniform damit, dass es kommt, um jemanden zu erschießen. Und genau das tun sie."

    Falde sagt, er habe bisher alle Angebote abgelehnt. Auf Drängen seiner Mutter geht er sogar wieder regelmäßig in die Moschee. Mit gesenktem Blick, frisch gebügeltem Gewand und roter Kopfbedeckung. Am nächsten Tag gibt er zu: Ernst ist es ihm nicht mit der moralischen Wende. Zu verlockend scheint die Zukunft: Er, der Anführer der Play Boys, ist auf dem besten Weg, ein gefürchteter Gangsterboss zu werden. Oder ein berühmter Fußballspieler. Für Manchester United.