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"Ganz aktive Nächstenliebe"

Bis heute ist Elisabeth von Thüringen ein Vorbild christlicher Nächstenliebe. Auf der Wartburg bei Eisenach ist derzeit eine Ausstellung über ihr Leben zu sehen. Ursula Braasch-Schwersmann vom hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde glaubt, die Beschäftigung mit Elisabeths Leben biete etwas für Alt und Jung, für jedwede Konfession.

Moderation: Kersten Knipp |
    Kersten Knipp Frauen, die sich querstellen, hat es zu allen Zeiten gegeben. Eine Frau, die eine besonders radikale Entscheidung traf, war Elisabeth von Thüringen. Geboren 1207 als Tochter des ungarischen Königs Andreas II., sagte sie sich mit Anfang 20 von allen Verlockungen irdischer Macht los, um ihr Leben den Armen zu widmen. Ein unbedingter Bruch mit der Vergangenheit, so entschieden und mutig, dass Elisabeth, die schon mit 24 Jahren starb, nur vier Jahre nach ihrem Tod heilig gesprochen wurde.

    Auf der Wartburg wurde gestern eine ihr gewidmete Ausstellung eröffnet. Vor der Sendung habe ich die Historikerin und Elisabeth-Expertin Ursula Braasch-Schwersmann vom hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde gefragt, welche Gründe Elisabeth zu ihrer Entscheidung geführt haben.
    Ursula Braasch-Schwersmann: Sie hatte bis zu ihrem 14. Lebensjahr so ein für die damaligen Verhältnisse völlig normales Leben im Hochadelsumfeld gehabt und ist dann aber in Kontakt gekommen mit den unmittelbaren Freunden aus dem Umkreis von Franz von Assisi. Und diese Leute, diese neuen Träger von Idealen, von kirchlichen Idealen, die haben ihr tiefen Eindruck bereitet, weil: Es war nicht mehr die Frömmigkeit hinter Klostermauern, es war nicht mehr die Vita contemplativa, also das Leben nur für sich, und das Dasein und das Beten für das spätere Seelenheil, sondern eine ganz aktive Nächstenliebe. Und diese aktive Nächstenliebe hat sie in ihrem Umfeld vermisst und hat sie umso leuchtender selber vorleben wollen. Das ist also für sie eine ganz praktische Entscheidung gewesen: Wenn man viel hat, muss man auch viel geben. Und wer nichts hat, soll etwas bekommen.

    Knipp: Trotzdem scheint diese Entscheidung nicht leicht gefallen zu sein. Sie sprechen weiterhin von einer inneren Zerrissenheit, die diese Frau geplagt habe. Wie äußert sich das? Woran machen Sie das fest?

    Braasch-Schwersmann: Also sie hat natürlich gewusst, dass sie ihren Stand verlässt. Und sie hat diese Zerrissenheit sicherlich auch darin gespürt, dass sie ihre eigene Familie verlassen hat. Sie hat ihre drei Kinder verlassen, was uns heute also immer sehr empört. Das ist natürlich ein Schritt gewesen, der sie frei machen sollte. Aber das hat sie natürlich selber zu der Frage geführt, ob das richtig ist, was sie macht. Denn sie hatte ja auch keine Vorbilder. Sie konnte sich ja an niemandem orientieren. Sie war eine Frau, die aus dem Hochadel kam. Sie ist mit 14 Mutter geworden, sie ist kurz danach Witwe geworden. Ihr Mann, wenige Jahre älter, ist auf dem Kreuzzug gestorben. In dem Moment, als sie Witwe wird, ist sie Mutter von drei Kindern. Und das wird ihre Entscheidung sicherlich beeinflusst haben, wie sie weiter leben soll. Aber ihr religiöser Impuls, nun eben halt sich diesen Idealen des Franz zuzuwenden, der ist so groß gewesen, der hat alles andere dann eben halt auch vergessen lassen.

    Knipp: Ich will noch einmal auf die Radikalität dieser Entscheidung zu sprechen kommen. Wie kann man sich das vorstellen, diesen Schritt zu machen? Wir sprechen jetzt vom frühen 13. Jahrhundert, und es ist eine ungeheure Radikalität. Es wird gesagt, das Mittelalter sei der frühe Punkt der Individuation oder auch des eigenständigen Denkens. Da habe sich das herauskristallisiert. Was waren im Grunde die Medien, auf deren Grundlage eine solche Entscheidung stattfand? Worauf gründete diese Entscheidung?

    Braasch-Schwersmann: Also hier, in diesem Fall, ist es mit Sicherheit so gewesen, dass zunächst einmal dieser schon erwähnte Kontakt zu den Franziskanerbrüdern da gewesen ist. Ein Bruder Rodeger ist ihr Beichtvater gewesen. Der zweite Beichtvater, den Ludwig IV., also ihr Ehemann, noch für sie bestimmt hatte, bevor er auf den Kreuzzug gegangen ist, war Konrad von Marburg. Daher auch diese Beziehung nachher nach Marburg. Deswegen hat sie hier ihr Hospital gegründet. Der kam von hier. Und der hatte in Paris, unter anderem in Paris studiert und dort eben halt einen Verkünder kennengelernt, Petrus Cantor, der wiederum eben halt diese neue Form der Frömmigkeit, diese offene Caritas, diese Barmherzigkeit, dieses Nachahmen von Christus im direkten, ja, Lebensplan? Das ging mündlich, das ging mündlich über diese Beichtväter, über die christliche Unterweisung.

    Und dann setzt eben Elisabeths kritischer Verstand ein. Sie ist gesellschaftskritisch. Sie verweigert Lebensmittel, die auf Kosten der ärmeren Bevölkerung gehen. Sie engagiert sich für Minderbemittelte. Das kommt dann direkt aus ihr selber heraus, indem sie sagt, so hat Christus das vorgelebt, so muss ich das auch machen. Also das ist schon eine intellektuelle Leistung, die sie selber vollbracht hat.

    Knipp: Was würden Sie meinen, steht im Mittelpunkt der heutigen, ich will nicht sagen, Verehrung, das wäre vielleicht ein zu altes Wort, aber sagen wir mal, des Interesses an Elisabeth? Ist es im Grunde die Radikalität der Entscheidung, oder ist es der Caritas-Gedanke und nicht nur der Gedanke, sondern das Gelebte, die gelebte Caritas? Was meinen Sie, ist heute wichtig?

    Braasch-Schwersmann: Also, ich denke, Elisabeth bietet eigentlich für Alt und Jung, für jedwede Konfession etwas. Sie hat eigentlich auch viel zu sagen zu dieser ganzen aktuellen Wertediskussion. Ich hab mir auch ein bisschen Gedanken da drüber gemacht, warum wirklich sie so populär ist. Ich denke, wenn man das so auf eine Formel versucht zu bringen, sie hat nicht nur versucht, Wunden zu heilen in dieser ganzen Hospitalangelegenheit, sondern sie hat eigentlich auch versucht, Wunden überhaupt grundsätzlich zu vermeiden. Und ich denke, das ist etwas, was heute durchaus auch der eine oder andere von uns will, aber es fällt ihm auch nicht so einfach leicht, das umzusetzen.

    Knipp: Ursula Braasch-Schwersmann über das Leben der Heiligen Elisabeth, dokumentiert auf einer Ausstellung auf der Wartburg, zu sehen bis zum 19. November.