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"Ganz Griechenland ist korrupt"

Die Griechen verzweifeln an der Korruption im Land. Nur ein Beispiel: Wer bevorzugt behandelt werden will im Krankenhaus, muss "Fakelaki" geben - Bestechungsgeld. Kein Wunder, dass sich Griechenland auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International auch 2011 weit oben findet.

Von Rodothea Seralidou | 01.12.2011
    "Ganz Griechenland ist korrupt! Das fängt von oben an und geht bis ganz unten. Egal wen du um etwas bittest: Sogar ein Angestellter bei der Stadt wird dir sagen, gib mir was, dann tue ich dir den Gefallen!"

    ... sagt Apostolos Papazoglou, ein kleiner Mann mit Schnurrbart. Dass Griechenland auch dieses Jahr in Sachen Korruption besonders schlecht abschneidet, wundert den 60-jährigen Schreiner nicht. Es gebe nur wenige Länder, die korrupter seien als Griechenland, sagt er. Und mit dieser Meinung steht er nicht alleine da. Auch Thanassis Zacharakis, ein pensionierter Bankangestellter, ist davon überzeugt, dass das Problem der Korruption in Griechenland allgegenwärtig ist:

    "Das ganze System ist faul: Die Politiker machen ihren Wählern Gefälligkeiten, damit sie ihre Kundschaft nicht verlieren! Und die Bürger gehen zu ihnen, weil das der einzige Weg ist, ihre Probleme zu lösen. Egal ob man vom Finanzamt spricht oder vom Bauamt, oder ob ihr Kind einen Job sucht."

    Tatsächlich steht Griechenland seit Jahren in Sachen Korruption an der Spitze der EU. Das belegt der jährliche Korruptionsindex der Nicht-Regierungsorganisation Transparency International. 2010 lag Griechenland im internationalen Vergleich auf Platz 78. Der heute veröffentlichte aktuelle Report zeigt: 2011 reicht es nur noch für Platz 80 - zusammen mit Ländern wie Kolumbien, Marokko und Thailand. Dieser Platz wundert die Griechen kaum. Auch Thanassis Zacharakis nicht:

    "Das griechische Volk ist bis ins Knochenmark korrupt. Das hat auch mit den vielen Jahren osmanischer Herrschaft zu tun: Das Bakschisch, das Trinkgeld, gibt es bis heute. Es ist ein Bildungsproblem. Leider gibt es keine guten Vorbilder seitens der Politiker, der Gesellschaft, der Justiz und der anderen Machtzentren, an denen man sich orientieren könnte."

    Besonders verbreitet sei das Problem im Gesundheitssystem, sagt Zacharakis: Dass viele Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern ein sogenanntes "Fakelaki", sprich Schmiergeld verlangen, um den Patienten bevorzugt zu behandeln, ist in Griechenland ein öffentliches Geheimnis. Zacharakis kann auch aus eigener Erfahrung ein Lied davon singen: Vor Jahren wurde er mit Meniskus am Knie in ein Krankenhaus eingewiesen. Doch Vorrang hatten erst einmal andere Patienten:

    "Diejenigen, die geschmiert haben, konnten nach 15 Tagen nach Hause. Ich musste 96 Tage auf die OP warten, in meinem Bein hatte sich so viel Eiter gesammelt, dass man es fast hätte abschneiden müssen. Nach diesem Erlebnis haben wir immer ein Fakelaki gegeben, egal, ob für meine Mutter, meine Frau oder mein Kind. Das Schlimme ist, die Ärzte denken, das sei selbstverständlich! Und diese Menschen haben den Eid des Hippokrates geleistet!"

    ... schimpft Zacharakis. Solange aber die Patienten das System mittragen, seien sie mitverantwortlich, findet die Verkäuferin Mary Sketa:

    "Eine Freundin erzählte mir neulich, sie hätte nach der erfolgreichen Operation dem Arzt Geld gegeben. Ich habe zu ihr gesagt: Spinnst du? Die OP hattest du doch schon hinter dir. Und sie war erfolgreich. Wozu das Geld? Ich war schon immer gegen diese schlimme Gewohnheit des Fakelaki - seit meiner Studienzeit!"

    Laut Transparency International zeigen die bis jetzt ergriffenen Maßnahmen der griechischen Regierung kaum Erfolg: Sie seien im Alltag und den Gewohnheiten der Bürger gar nicht erst angekommen. Mehr noch: Studien der Organisation belegen, dass die Griechen, so wie die Bürger vieler anderer Staaten auch, die politischen Parteien als den korruptesten Sektor ihres Landes wahrnehmen. Diese Wahrnehmung bestätigt Dimitris Vasilakis. Der heute 50-jährige Familienvater hat lange Zeit selber für griechische Politiker gearbeitet.

    "Ich war für mehrere Politiker in der Öffentlichkeitsarbeit tätig. Ich bin gegangen, weil ich den Dreck, den ich da täglich mitbekam, nicht aushalten konnte. Wenn nicht der Staat von Anfang an neu gegründet wird, wird sich nichts ändern. Es wird viele Generationen dauern, vielleicht können unsere Kinder damit anfangen. Uns kann man da vergessen!"