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Ganz leise Nervensägen

Physik. - Wenn sich Akustiker zu ihrem Jahrestreffen zusammenfinden, dann dreht sich vieles auch um krankmachenden Lärm. In Stuttgart präsentieren Fachleute neue Methoden, den Krach zu messen und ihn zu beseitigen.

Von Carl-Josef Kutzbach |
    Der tropfende Wasserhahn oder das Ticken des Weckers haben schon viele um den Schlaf gebracht. Ein noch drastischeres Beispiel nennt Dr. Philipp Leistner, Leiter der Abteilung Akustik im Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Stuttgart:

    "Stellen Sie sich vor: Sie liegen abends im Bett - und es ist nicht der Wecker oder der Wasserhahn, an den gewöhnt man sich sogar noch - Sie wollen gerade einschlafen und hören plötzlich um sich herum eine Mücke summen. Sie wissen, wenn die sticht, das kann schmerzhaft, ärgerlich sein. Sie sehen sie nicht. Nicht mal wer neben ihnen liegt, hört die Mücke, nur sie hören die Mücke, es ist fast nicht messbar. Und das kann aber bei Ihnen zu dramatischen Reaktionen führen. Also, dass leise Geräusche, fast nicht messbare Geräusche, grad noch so hörbare Geräusche, problematisch sind, dafür gibt es genügend Beispiele."

    Dahinter steckt vermutlich, dass das Gehör schon die ersten Menschen vor sich anschleichenden Feinden warnte, indem es nach leisen Geräuschen lauschte. Was die Sache für die Wissenschaft erschwert, ist, dass das keine lauten Geräusche sind, die man gut messen kann. Zudem spielt auch die im Geräusch enthaltene Information eine Rolle, was noch schwerer zu bewerten ist. Die Bauphysiker hatten bereits festgestellt, dass Lärm, zuhause oder im Klassenzimmer, Kinder beim Erlernen von Sprache behindert. Zur Störung der Konzentration genügt schon eine einzige Stimme, selbst, wenn sie Unverständliches in einer fremden Sprache erzählt. Das gilt auch im Großraumbüro und die Forscher versuchen jetzt zu klären:

    "Was macht dieser "leise" Lärm, wie sie ihn nennen, was machen die leisen niedrigen Geräusche, die aber Information enthalten? Ob es jetzt die Information des tropfenden Wasserhahns ist oder die Information mein Nachbar, mein Kollege, neben mir oder weiter entfernt, spricht über irgend etwas - fast unabhängig davon, ob es meine Arbeit betrifft, oder gar nicht betrifft - beide Signale, wenn sie hörbar werden, gerade so hörbar werden, beeinflussen meine Konzentration."

    Deshalb geht, wer über etwas nachdenken möchte, in "Klausur", also zu deutsch in einen abgeschlossenen Raum, eine Klause.

    "Ich denke, dass selbst die Arbeitsorganisatoren, die Ergonomen und Architekten wissen, dass das Einzelbüro, die Einzelzelle - das hört sich ein bisschen dramatischer an - zweifellos für hohe Vertraulichkeit, für hohe Privatsphäre seinen Sinn weiter besitzt."

    Bei Großraumbüros oder Schalterhallen wird man allerdings mehr tun müssen, als die heute üblichen Schallschutzdecken, Teppichböden oder Vorhänge, erklärt Philipp Leistner:

    "Zweiter Schritt, ohne den man heute nicht mehr auskommt, ist eine gewisse Abschirmung auch in offenen Bürolandschaften - das ist möglich bei transparenter Durchsicht nach wie vor - eine Abschirmung zu schaffen, um diese Schallausbreitung in einem dann bedämpften Raum zu unterstützen. Das sind die beiden Mindestmaßnahmen, auf die man sich heute konzentrieren soll."

    So sorgen etwa Glasscheiben mit winzigen Löchern vor einer zweiten Glasscheibe dafür, dass sich Schall im Zwischenraum totläuft, wie sich im letzten Bonner Plenarsaal zeigte. Solche Abschirmungen müssen allerdings recht hoch sein, um zu wirken. Wenn man drüber schauen kann, bringen sie nichts. Technisch sind sie kein Problem, aber die richtige Abstimmung ist nicht einfach, denn auch in einem Raum, der zu stark gedämpft ist, fühlen sich viele Menschen nicht wohl. Vermutlich irritiert, jemanden sprechen zu sehen, ihn aber kaum zu hören. Allerdings weiß man auch, dass der Wechsel zwischen konzentriertem Arbeiten und Kommunikation die Mitarbeiter belebt. Deshalb sucht die Wissenschaft nach weiteren Lösungen. Den Lärm könnte man zum Beispiel dadurch bekämpfen, dass man ihn aufnimmt und über Lautsprecher so verändert abstrahlt, so dass sich die Schwingungen gegenseitig aufheben. Dass sich so etwas auch wirtschaftlich lohnt, deuten Untersuchungen im Callcenter bereits an. Philipp Leistner:

    "Dort kann man - vielleicht noch sehr oberflächlich, aber immerhin - tatsächlich feststellen und abzählen, wie viel ein Callcenter-Agent pro Stunde, wie viele Calls er abwickelt. Das kann man zählen in einer akustisch geeigneten und in einer akustisch ungeeigneten Umgebung und dann stellt man eben ganz klar fest, dass in einer akustisch geeigneten Umgebung der viel mehr Calls fehlerfrei abwickeln kann."