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Ganz oder gar nicht

Medizin. - Noch immer gelten Hüftbrüche als die häufigsten Knochenbrüche überhaupt, besonders bei älteren Menschen. Grund genug, dass man inzwischen vor allem eines versucht: den Stürzen und damit den Knochenbrüchen vorzubeugen. Viel Vitamin D soll hier genau das Richtige sein, wie eine neue Studie im "New England Journal of Medicine" berichtet.

Von Sabine Goldhahn | 12.07.2012
    Vitamin D scheint schon fast ein Universalheilmittel. Zumindest, wenn man den Forschungsergebnissen der letzten Jahre glaubt. Es stärkt Knochen und Muskeln, hilft dem Immunsystem, schützt vor Herzinfarkten und senkt damit die Sterberate. Auch die deutsche Gesellschaft für Ernährung hat Anfang des Jahres ihren Referenzwert auf 20 Mikrogramm pro Tag erhöht. Völlig zu Recht, meint auch Heike Bischoff-Ferrari, Ärztin am Zentrum für Alter und Mobilität der Universität Zürich. Sie hat die Originaldaten von über 30.000 älteren Menschen untersucht, die in Amerika, Europa und Australien an Studien zu Vitamin D teilgenommen hatten. Für ihre Analyse hat sie vier Gruppen gebildet, die jeweils verschieden hohe Dosierungen von Vitamin D bekommen hatten.

    "Mit diesem Ansatz zeigte sich, dass nur die höchste eingenommene Dosierung von Vitamin D das Knochenbruchrisiko vermindert, und das aber signifikant, also es zeigte sich eine 30-prozentige Verminderung des Hüftbruchrisikos."

    30 Prozent weniger Hüftbrüche, aber auch 14 Prozent weniger Frakturen an anderen Knochen wie am Handgelenk oder Oberarm. – Ein deutlicher Effekt, der aber nur mit einer Dosierung erreicht wurde, die 800 Einheiten oder 20 Mikrogramm pro Tag entspricht, also genau jener Menge, die offiziell empfohlen wird. Bei all jenen, die weniger geschluckt hatten, zeigte das Vitamin keinen Effekt. Doch wie kann man so grosse Mengen an Vitamin D überhaupt aufnehmen? Bischoff-Ferrari:

    "Also die gesündeste Ernährung enthält nicht genug Vitamin D, ist die schlechte Nachricht. Die Hauptquelle von Vitamin D ist ja eigentlich die Sonne, wichtig hier ist einfach, dass die Sonne keine verlässliche Quelle ist für Vitamin D…"

    ...was gleich mehrere Ursachen hat. So ist die Sonne oberhalb des 33.Breitengrades zu wenig intensiv, damit die Haut immer genügend Vitamin D bilden kann. Vor allem in den Wintermonaten reicht die Strahlung nicht aus. Hinzu kommt, dass sich die meisten Menschen so kleiden, dass nur etwa fünf Prozent des Körpers der Sonne ausgesetzt sind. Ein weiterer Faktor sind die Sonnenschutzcremes. Die sind zwar wichtig, um uns vor dem schwarzen Hautkrebs, dem Melanom zu schützen. Aber es gibt einen Haken, so Bischoff-Ferrari:

    "Man muss einfach wissen, dass der Sonnenschutzfaktor bereits ab einem Faktor 6 deutlich die hauteigene Vitamin D-Produktion vermindert, und das ist eben auch wichtig bei den Kindern, die konsequent den Sonnenschutz tragen."

    Einfach raus an die Sonne, die Empfehlung reicht also nicht. Vor allem nicht bei älteren Menschen. Bischoff-Ferrari:

    "Bei den Älteren in der Bevölkerung kommt noch ein wichtiges zusätzliches Risiko mit dazu, nämlich die Tatsache, dass mit dem Alter die hauteigene Vitamin D-Produktion abnimmt, und das ist etwa ein Faktor 4 verglichen zu jüngeren Menschen."

    Dabei haben gerade Leute über 60 Jahre Vitamin D besonders nötig. Das schützt nämlich nicht nur vor Knochenbrüchen, weil es eine bessere Calciumaufnahme aus dem Darm bewirkt und den Calciumeinbau in den Knochen fördert. Es hat auch noch einen positiven Effekt auf die Muskulatur. Die besitzt eigene Vitamin D-Rezeptoren, über die mehr Muskelproteine gebildet werden. Dadurch nehmen vor allem die sogenannten schnellen Muskelfasern vom Typ 2 zu, und zwar sowohl in der Anzahl als auch im Durchmesser.

    "Und das ist natürlich hochspannend, weil die Typ2 schnellen Muskelfasern sind die, die vor allem mit dem Alter abnehmen, und das sind aber auch gleichzeitig die Muskelfasern, die wir brauchen, um ein Sturzereignis abzufangen, da muss man ja ganz schnell reagieren. Und wir haben auch dort klinische Studien, die zeigen, dass man mit dieser Dosierung, eben um die 800 Einheiten Vitamin D das Sturzrisiko um etwa 34 Prozent vermindern kann."

    Vitamin D-Präparate führen also zu weniger Stürzen und weniger Knochenbrüchen, dazu sind sie preiswert und haben keine schädlichen Nebenwirkungen. – Für Bischoff-Ferrari mehr als genügend Argumente, Vitamin D als Nahrungsergänzung für jeden ab 60 zu empfehlen.