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Ganzstagsschulen
Zu wenig Grundschulen mit Nachmittagsbetreuung

Die Ganztagsbetreuung von Grundschülern bleibt eine Baustelle - ein Beispiel ist der Kölner Stadtteil Widdersdorf. Hier wohnen besonders viele junge Familien, doch das Ganztagsangebot hält mit der Nachfrage nicht mit. Deshalb sind die Eltern auf die Straße gegangen.

Von Aglaia Dane | 02.04.2015
    Eine Schülerin einer zweiten Klasse schreibt das ABC an die Tafel.
    70 Prozent der Eltern wünschen sich eine Ganztagsbetreuung ihrer Kinder (pa/dpa/Reinhardt)
    Vor der Olympia-Schule in Köln-Widdersdorf verteilen Mütter und Väter bunte Luftballons. Genau 105 sind es, alle gefüllt mit Helium. 105 Ballons, denn 105 Kinder sind für den Sommer für die Offene Ganztagsschule angemeldet worden. Aber bisher gibt nur die Zusage für 44 Plätze.
    Mehr als 100 Leute haben sich versammelt: Sechsjährige, die der Einschulung entgegenfiebern, Lokalpolitiker, die Unterstützung signalisieren wollen und Dutzende Eltern, die nicht wissen, ob sie ab dem Sommer noch so weiter arbeiten können wie jetzt. Denn wenn ihr Kind nicht einen der begehrten Ganztagsplätze bekommen sollte, dann kommt es ab August um 11.30 Uhr aus der Schule. Da ist nicht einmal ein Halbtagsjob möglich. Das Problem ist nicht neu. Auch letztes Jahr hatte sich in dem Neubauviertel eine Elterninitiative gegründet und Mittel für zusätzliche Ganztagsplätze erkämpft - mit Erfolg. Nadine Widdegins war dabei, weil ihr Sohn letztes Jahr eingeschult wurde:
    "Ich weiß, dass wir genau nachgefragt haben beim damaligen Politiker, ob wir jedes Jahr jetzt hier stehen. Und der meinte, nee, nee, jetzt wissen wir ja, dass es einen erhöhten Bedarf gibt im Kölner Westen. Das würde dann schon berücksichtigt werden. Aber jetzt sehen wir ja, es wird nicht berücksichtigt. Und ich bin sicher, nächstes Jahr stehen wir wieder da."
    Baustelle Ganztagsbetreuung
    Einige Eltern machen sich gemeinsam auf den Weg zu einem der Reihenhäuser gegenüber der Grundschule. Lagebesprechung der Initiative für die nächsten Protestaktionen. Es geht um Unterschriftenlisten, Besuche von Ratssitzungen und Flash-Mobs.
    Nik Holstein ist Vater von zwei Töchtern. Er ist Manager im Ford-Werk, seine Frau arbeitet für eine Zeitarbeitsfirma. Sie haben sich vor ein paar Jahren ganz bewusst dazu entschlossen, nach Köln-Widdersdorf zu ziehen - weil sie dachten, dass es hier alles gibt, was Familien brauchen. Widdersdorf ist Deutschlands größte Neubausiedlung: Es gibt Doppel- und Reihenhäuser, Wiesen, Supermärkte und die Olympia-Schule gleich um die Ecke:
    "Das sollte man eigentlich vermuten, dass ins Neubaugebiet primär Familien ziehen. Aber das war für die Stadt wohl eine Überraschung. Weil die Planung der Infrastruktur, zumindest was Kindergärten anbelangt, so wurde es uns von der Stadt gesagt, mit dem Landesdurchschnitt geplant wurde. Das ist schon merkwürdig, weil es ja eigentlich auf der Hand liegt, dass primär junge Familien in Neubaugebiete ziehe."
    Köln kein Einzelfall
    Fehlende OGTS-Plätze - Köln-Widdersdorf ist da kein Einzelfall. In vielen Städten in Nordrhein-Westfalen gibt es eine Kluft zwischen Angebot und Nachfrage, ebenso zum Beispiel in Bremen und München. Relativ gut ist die Lage dagegen in Hamburg und Berlin. In ganz Deutschland gehen laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung insgesamt etwa 30 Prozent der Schüler auf eine Ganztagsschule. Aber etwa 70 Prozent der Eltern wünschen sich so ein Angebot.
    Die Ganztagsbetreuung von Grundschülern ist eine Baustelle - die Politik ist sich dessen bewusst, auch in Köln. Die Kölner Schuldezernentin Agnes Klein beschwichtigt aber: Bisher hat man immer kurzfristig noch zusätzliche OGTS-Plätze eingerichtet. Sie ist optimistisch, dass das in Widdersdorf auch dieses Jahr klappt. Endgültig zusagen kann die Stadt das aber wohl erst im Frühsommer - für viele Eltern zu spät. Doch daran ist nicht zu rütteln, denn die Stadt muss auf Beschlüsse des Lands warten - beide gemeinsam sind verantwortlich für die Vergabe und Finanzierung von Plätzen in Offenen Ganztagsschulen. Nik Holstein findet das System problematisch.
    "Es drängt sich das Gefühl auf, dass die Verantwortlichkeiten zwischen Stadt und Land hin- und hergeschoben werden. Oder aber dass die Strukturen so unübersichtlich sind, dass man gar nicht die Möglichkeit hat, den richtigen Adressaten zu finden."