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Gareis: Beschneidung aus der Kunstperspektive

Man habe für die "Akademie der Künste der Welt" sehr engagierte, auch sehr politische Künstler ausgewählt, sagt Sigrid Gareis. Die Generalsekretärin der neuen Ausstellung ergänzt, dass die Auftaktveranstaltung "Tag zum Thema Beschneidung" die Bedeutung des Kulturkonflikts aufzeige.

Kathrin Hondl im Gespräch mit Sigrid Gareis | 26.10.2012
    Kathrin Hondl: Revolutionär vielleicht nicht unbedingt, aber auf jeden Fall neuartig ist die Einrichtung, die morgen in Köln eröffnet wird: "Akademie der Künste der Welt" nennt sie sich, und die Liste ihrer Gründungsmitglieder liest sich wie ein globales "Who is Who" der Kunst, Literatur und Wissenschaft - vom chinesischen Schriftsteller Liao Yiwu über die Kölner Künstlerin Rosemarie Trockel und den Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist bis zu dem brasilianischen Musiker Tom Zé. Und am Telefon ist jetzt die Generalsekretärin der neuen Akademie: Sigrid Gareis, Ethnologin und unter anderem Organisatorin zahlreicher Tanz- und Theaterfestivals. Frau Gareis: In Berlin gibt es die Akademie der Künste und das Haus der Kulturen der Welt - und nun also in Köln die "Akademie der Künste der Welt" - vom Namen her klingt das erstmal wie ein Remix, eine Mischung der beiden Berliner Institutionen - soll es das auch sein - ein bisschen Akademie der Künste, ein bisschen Haus der Kulturen der Welt?

    Sigrid Gareis: Nein. Also ich schätze beide Institutionen, aber es soll schon was anderes werden und was Eigenständiges. Es ist der alte Akademiegedanke, den auch die Akademie der Künste in Berlin hat, aber neu gefasst und neu gefasst unter mehreren Aspekten. Zum einen hat man hier Künstler ausgewählt, die aus allen fünf Kontinenten kommen, im Prinzip im Zenit ihrer Karriere stehen, nicht am Ende, und das wichtigste ist, dass, sagen wir mal, ein Auftrag, den normal eine Akademie hat - oft geht das ins Nationalstaatliche in Berlin oder auch bei der Académie francaise -, der fällt hier weg. Man richtet sich an eine globale Weltgesellschaft, möchte aber auch gesellschaftliche Entwicklungen zur Zuwanderungsgesellschaft unterstützen, und man hat eben da, sagen wir mal, eine alte Form jetzt versucht, mal ganz neu zu orientieren und zu tarieren.

    Hondl: Sie haben ja mal gesagt - das habe ich in der Zeitung heute gelesen -, diese neue Akademie sei ein Möglichkeitsraum. Worum geht es Ihnen genau, wenn Sie von einem Möglichkeitsraum sprechen?

    Gareis: Es ist als solches jetzt, und da ist man noch sehr in der Findung, Künstler und Künstlerinnen wirklich aus allen Kulturen - das ist das Superspannende, da sind Vorschläge dann für Pakistan, Nepal und, und, und - und da zu schauen, wie man aus, sagen wir mal, unterschiedlichsten Kulturen eine neue Stimme, einen neuen Zugriff, eine neue Perspektive vonseiten des Künstlers auf die Gesellschaft entwerfen kann in einer zusammenrückenden Welt. Klar, das muss sich formieren, da hat niemand eine richtige Vorstellung, da sind wir alle noch völlig, sagen wir mal, eigentlich auch politisch überfragt. Und so ist das hier auch: Was gibt man sich für Zielstellungen, an wen adressieren wir diese Stimme der Kunst, das ist alles noch zu entwickeln und da gibt es viele, viele Möglichkeiten.

    Hondl: Also das wäre so eine Art Ideenlabor, ein globaler künstlerischer Think Tank?

    Gareis: Think Tank, ja. Dieses Wort fällt oft in den Sitzungen, oder jetzt auch in den Diskussionen, aber das muss man natürlich jetzt ausgestalten.

    Hondl: Möglichkeitsraum, das könnte man ja auch ganz konkret auf diese Kölner Akademie beziehen. Einen festen eigenen Raum haben Sie ja nicht, oder jedenfalls kein repräsentatives Akademiegebäude oder so was. Gehört das eigentlich auch zum Konzept, oder suchen Sie noch nach einem Gebäude?

    Gareis: Ja wir suchen, sagen wir mal, nach einer Unterkunft. Aber dass die Akademie dezentral angelegt ist, das ist eigentlich ins Konzept eingeschrieben, was ich auch gut finde.

    Hondl: Eröffnet wird die Akademie morgen mit einem "Tag zum Thema Beschneidung", und Ihr Anspruch ist ja hoch. Sie wollen nämlich - so steht es in der Ankündigung - weder die bisherige öffentliche Debatte über Beschneidung noch mal aufwärmen, noch eine "neue Welle der Polemik" lostreten. Um welche neuen oder anderen Perspektiven wollen Sie denn die Beschneidungsdebatte erweitern?

    Gareis: Sagen wir mal, an der Beschneidung merkt man einfach die Bedeutung von Kultur und die Bedeutung von Kulturkonflikt in unserer Welt. Wir schauen immer nur wirtschaftlich und merken gar nicht, dass die Probleme auch durchaus woanders liegen. Und das kann man gerade an der Frage, eben Kulturclash und Kulturaustausch, an dieser Frage extrem gut nachvollziehen - haben wir gar nicht geahnt. Wir haben aber das Ganze eher unter der Kunstperspektive angegangen. Die Lisa Lim, die das Konzert zum Beispiel gestaltet hat, hat Beschneidungsmusik vom 12. Jahrhundert, Perotine, christliche Tradition, über Barockmusik, auch christliche Musik, über Steve Reich bis hin nach Afrika zusammengestellt, wo man über acht Jahrhunderte und unterschiedliche Kontinente dieses Thema als Topos in einer künstlerischen Äußerung hat.

    Hondl: Und inwiefern ist denn jetzt diese Auftaktveranstaltung zum Thema Beschneidung typisch für das, was künftig in und von der "Akademie der Künste der Welt" geplant ist? Geht es Ihnen vor allem darum, gesellschaftliche, politische Debatten aufzugreifen und zu erweitern?

    Gareis: Also man hat hier sehr engagierte, auch sehr politische Künstler ausgewählt, und natürlich wird sich das quasi auch in Zukunft ausdrücken. Dass man, sagen wir mal, so ein konkretes Thema hat, ist vielleicht eher außergewöhnlich. Aber eine politische Orientierung, die deutet sich an.

    Hondl: Vielen Dank - das war Sigrid Gareis, die Geschäftsführerin oder beziehungsweise Generalsekretärin der neuen "Akademie der Künste der Welt", die morgen in Köln eröffnet wird.