Durch Zufall wird im Garten einer Kleinfamilie in Pearcedale, einem Örtchen südöstlich von Melbourne, unter einer Betonplatte ein Skelett entdeckt. Ein Fall für Sergeant Alan Auhl und seine Kollegen von den Cold Cases. Auhl ist der Senior der "Abteilung für ungelöste Fälle und vermisste Personen" der Polizei Melbourne. Eigentlich war Auhl vor fünf Jahren nach einer erfolgreichen Karriere in Pension gegangen, doch weil er wenig mit dem Ruhestand anfangen konnte und weil man ihn von offizieller Seite darum bat, ist er seit einem halben Jahr wieder im aktiven Dienst.
"Er sollte jene Fälle identifizieren, die mithilfe von neuen Techniken geklärt werden konnten; jene bestimmen, die falsch behandelt oder in denen nicht tief genug ermittelt worden war; jene, in denen neue Informationen vorlagen (…). Er sollte darauf drängen, dass alte DNA-Proben neu untersucht wurden; es noch einmal mit Augenzeugen versuchen, die sich in der Zwischenzeit mit den Verdächtigen überworfen hatten; Veränderungen festhalten, die sich im Laufe der Zeit ergeben hatten."
Der "alte Knacker"
Eigentlich soll Auhl seine Kollegen unterstützen, indem er seine Erfahrungen weitergibt und die Jüngeren entlastet, damit sie sich aktuellen Fällen widmen können. Doch diese empfangen ihn nicht gerade mit Begeisterung, sondern murren ganz offen, dass ihnen dieser "alte Knacker" vor die Nase gesetzt wurde.
"Auhl hatte ziemlich klare Vorstellungen von den Vorurteilen, die hinter den Spottnamen und der Aufmüpfigkeit lagen, die er sich von den jüngeren Detectives der Abteilung gefallen lassen musste. Er behinderte ihren beruflichen Aufstieg. Er erwartete – und bekam – eine Vorzugsbehandlung. Er war nicht auf dem neuesten Stand des technischen und investigativen Fortschritts. Langsam, alt, stellte in lebensgefährlichen Situationen eine Gefahr dar. Das meiste davon stimmte nicht, aber in den [vergangenen] sechs Monaten (…) war Auhl einigen auf die Zehen getreten und hatte unangenehme Fragen gestellt."
Ohne sich weiter davon beeindrucken zu lassen, verschafft sich Auhl mit Beharrlichkeit und Kompetenz nach und nach die Anerkennung der Detectives Claire Pascal und Josh Bugg, der beiden Kollegen, die ihm direkt zugeordnet sind. Zeitgleich haben sie mehrere komplexe Fälle zu lösen: Das gefundene Skelett erweist sich als der vermisst geglaubte Verdächtige in einem alten Mordfall, der nun erneut aufgerollt wird und mitten in eine obskure Religionsgemeinschaft führt. Zudem entdeckt Auhl eine neue Spur in einem alten Fall, der seinerzeit als Unfall eingeschätzt wurde, sich nun jedoch als Mord entpuppt. Hinzu kommt die unerwartete Anschuldigung eines Arztes, seine Freundin plane, ihn zu ermorden. Dies veranlasst Auhl, die beiden verdächtigen Todesfälle der Ehefrauen des Arztes noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Alan Auhl setzt alles – wirklich alles – daran, die Fälle zu lösen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Er sei "besessen – auf eine gute Art", wie seine Ex-Frau meint.
Zwischen Recht und Gerechtigkeit
Garry Disher hat mit Alan Auhl einen Ermittler geschaffen, der moralisch zwischen seinen beiden Serienhelden steht: zwischen dem Berufsverbrecher Wyatt und dem rechtschaffenen Detective Inspector Hal Challis. Die Wyatt-Reihe erscheint im kleinen feinen Verlag Pulp Master, die Serie um Hal Challis wird wie "Kaltes Licht" vom Unionsverlag herausgegeben. Wie Challis geht es Auhl um das Recht – und wie Wyatt ist ihm noch mehr an Gerechtigkeit gelegen; zwei Dinge, die bekanntlich nicht dasselbe sind und nicht immer zusammen gehen.
Anders als die beiden Serienermittler ist Sergeant Auhl aber kein Einzelgänger. Er hat im Gegenteil sein Haus geöffnet für allerlei Schutzbedürftige. Neben seiner Tochter, seiner Ex-Frau und einer Biochemikerin aus Sri Lanka samt Ehemann wohnen zurzeit auch Neve Fanning und ihre kleine Tochter Pia im "Chateau Auhl", wie Alan es nennt. Die beiden versuchen, dem gewalttätigen Ehemann und Vater zu entkommen. Auch Alans Kollegin Claire kommt hier für eine Weile unter, als sie sich klarzuwerden versucht, wie sie mit ihrem untreuen Ehemann umgehen soll.
Auhl ist ein besonnener, warmherziger Mensch, der sich für jene verantwortlich fühlt, die in Not sind. Um ihnen zu helfen und um der Gerechtigkeit zu ihrem Recht zu verhelfen, schreckt er auch vor Selbstjustiz nicht zurück. Selbstjustiz im Krimi ist ein diffiziles Thema. Es gibt Autoren, die sie ohne Skrupel als gerechtfertigt einsetzen, wenn nur das zu sühnende Verbrechen schrecklich genug ist. Disher geht differenzierter vor. Weder heroisiert er Selbstjustiz, noch nimmt er sie auf die frivol-selbstgerecht leichte Schulter. Zwar zweifelt Auhl nicht daran, dass seine Taten der Gerechtigkeit dienen, doch er fragt sich, welche Spuren sie in ihm hinterlassen und was für einen Menschen sie aus ihm machen.
Genauer Blick für gesellschaftliche Verhältnisse
Garry Disher gelingt es, die verschiedenen Erzählstränge souverän zu verweben. Seine Figuren sind mit sehr feinem Pinsel gezeichnet und wirken in ihrer Nuanciertheit jederzeit glaubwürdig und lebendig. Präzise und ohne auch nur ein Wort zu viel zu erzählen, lässt Disher seinen Ermittler die Fälle ohne große Action, dafür mit altmodischer Polizeiarbeit lösen: recherchieren, Zeugen befragen, Spuren nachgehen. Dies macht er mit einem genauen Blick für gesellschaftliche Verhältnisse: seien es soziale Ungleichheit oder die kaum verdeckte Frauenfeindlichkeit innerhalb der Polizei und in partnerschaftlichen Beziehungen oder die offene Misogynie der Religionsgemeinschaft, in die eine der Spuren führt: In ihr sind Frauen kaum mehr als dienendes Fleisch.
"Kaltes Licht" hätte durch die eigenwillige Hauptfigur das Potenzial zu einem Serienauftakt. Bislang ist der Roman einer der zahlreichen für sich stehenden Krimis, die Garry Disher zusätzlich zu seinen Serien veröffentlicht. Doch auch als Solitär ist er von überzeugender Tiefe und Komplexität.
Garry Disher: "Kaltes Licht"
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Unionsverlag, Zürich. 314 Seiten, 22 Euro.
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Unionsverlag, Zürich. 314 Seiten, 22 Euro.