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Gas-Kraftwerke als Energiereserve

Am Donnerstag treffen sich Bund und Länder, um den Netzausbau und die Energiewende zu koordinieren. Die Netzbetreiber hoffen erst auf größere Schritte nach der Bundestagswahl - in Form eines Energieministeriums zum Beispiel. Doch die Länder verfolgen bei der Energiewende eigene Ziele.

Von Philip Banse | 10.06.2013
    Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft beklagt sich, dass viele Kraftwerke in Deutschland "nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben" seien. Die Chef-Lobbyistin der deutschen Kraftwerksbetreiber und einst enge Mitarbeiterin von Kanzlerin Merkel, Hildegard Müller:

    "Die wirtschaftliche Lage für unsere Branche ist derzeit schwierig. Immer mehr Geschäftsmodelle erweisen sich nicht mehr als tragfähig. Unsere Unternehmen optimieren sich an allen Ecken und Kanten. Je mehr Zeit vergeht, desto offensichtlicher wird, dass das heutige Marktdesign immer mehr an seine Grenzen kommt."

    Marktdesign – damit ist gemeint: Wie muss ein Strommarkt aussehen, der mal komplett aus erneuerbaren Energien bestehen soll? Und warum sind die Kraftwerksbetreiber in Not? Weil Wind und Sonne mittlerweile ein Viertel des Stroms in Deutschland liefern, ist Strom an den Börsen billig geworden, der Anreiz ist daher gering, neue, teure Gas-Kraftwerke zu bauen. Das ist aber dringend notwendig. Denn die müssen Strom liefern, wenn weder Wind und Sonne genug Strom produzieren. Die Kraftwerksbetreiber wollten hier einen Mechanismus etablieren, mit dem sie für ihre alten Kraftwerke neue Geldquellen anzapfen, etwa indem sie alte Kraftwerke für die Reserve einsetzen und dafür bezahlt werden, sagt Holger Krawinkel vom Verbraucherzentrale Bundesverband.

    Alte Kohle-Kraftwerke seien dafür aber nicht geeignet, sagt Krawinkel, gebaucht würden neue Gaskraftwerke. Um die Reserve sicherzustellen, hat das Bundeswirtschaftsministerium eine Reservekraftwerksverordnung vorgelegt, die sagt, dass die Netzbetreiber für Reserve-Kraftwerke sorgen müssen. Das bezahlte am Ende der Stromkunde, doch die Kosten der Strom-Reserve-Kraftwerke würden übertrieben, sagt Verbrauchschützer Krawinkel:

    "Umgerechnet aufs Jahr würde das nicht mehr kosten als die heutige Offshore-Umlage, nämlich ein Viertel Cent pro Kilowattstunde. Von daher ist diese ganze Diskussion völlig überzogen."

    Die Chef-Lobbyistin der Kraftwerksbetreiber sieht das Hauptproblem der Energiewende denn auch woanders. Hildegard Müller vom BDEW:

    "Ganz oben und losgelöst von den konkreten Themen steht dabei für mich die mangelnde Koordination zwischen Bund und Land. Wir konnten immer wieder beobachten, dass es bei den unterschiedlichen Themen nicht gelang, die Interessen und einen Hut zu bringen. Auch die fehlende Einbettung der europäischen Beschlüsse in die europäischen Zusammenhänge gehört dazu. Ich halte diesen Punkt für den entscheidenden für das Gelingen der Energiewende in Summe. Umso dramatischer ist dieser Punkt."

    Donnerstag treffen sich Bund und Länder noch einmal, um den Netzausbau und die Energiewende insgesamt besser zu koordinieren. Von diesem Treffen erwarte sie "nicht viel", sagte Hildegard Müller, zu dominierend sei das Hochwasser, zu nah die Bundestagswahl. Alle Hoffnungen für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ruhen daher auf der nächsten Bundesregierung mit einem – so die Forderung – Energieministerium. Verbraucherschützer Krawinkel allerdings dämpft die Hoffnungen:

    "Da ist mit den Ländern im Moment nicht gut Kirschenessen. Da möchte jedes Bundesland seine eigenen Ausbauziele verfolgen und ist natürlich auch in der günstigen Lage, dass auch keinerlei Verantwortlichkeit besteht. Es geht nicht nur darum, dass besser koordiniert wird, sondern das muss die Folge haben, dass die Länder stärker auch für ihr eigenes Handeln verantwortlich werden."

    Klar scheint nur: Die Umlage zur Finanzierung des erneuerbaren Stroms wird weiter steigen – auch wenn Kraftwerks-Lobbyisten Müller sich auf keine Zahl festlegen wollten:

    "Der Problemdruck ist bekannt, ihm ist nicht abgeholfen worden, ihm ist nicht abgeholfen worden und insofern ist die Zahl, die da raus kommt, auch eine Konsequenz politischen Scheiterns."

    Aber wie kann das sein? Die Kraftwerksbetreiber klagen, dass sich ihre Kraftwerke nicht mehr lohnen, weil der Strompreis durch viel Sonne und Wind gesunken ist. Gleichzeitig steigen Ökostrom-Umlage und Stromrechnungen der Verbraucher. Warum nicht auch die Stromrechnungen der Verbraucher sinken, erklärt Verbraucherschützer Holger Krawinkel so:

    "Das liegt daran, dass in der Grundversorgung – 40 Prozent der Verbraucher sind ja leider noch in der Grundversorgung – ein gutes Geschäft gemacht wird. Das heißt, dort werden in der Regel aufgrund des geringen Wettbewerbsdrucks diese gesunkenen Preise nicht an die Kunden weiter gegeben. Das ist ein Problem."

    In der Grundversorgung seines lokalen Stromanbieters ist, wer sich weder einen anderen Tarif gebucht, noch einen anderen Anbieter gesucht hat. Verbraucher können die teure Grundversorgung also ganz einfacher verlassen, indem sie den Stromanbieter wechseln.