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Gastfreundschaft kennt keine Grenzen

Doppelte Abiturjahrgänge und ausgesetzte Wehrpflicht - eigentlich müsste es 2011 eng werden auf dem deutschen Ausbildungsmarkt, doch Handel und Industrie haben Probleme, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Ein spanisches Restaurant in Cottbus geht deshalb ungewöhnliche Wege, um Lehrlinge zu finden.

Von Axel Flemming | 14.10.2011
    Der rot-orange gestrichene eingeschossige Bau steht im Schatten der sanierten Plattenbauten des Cottbusser Stadtteils Sachsendorf. Zu DDR-Zeiten war das Objekt weniger farbig und hieß "Café Melange", nach der friedlichen Revolution "Ziebells Inn", seit 2005 firmiert es als "El Toro".

    "Spanien, ganz in Ihrer Nahe" steht auf den roten Autos des Betriebs vor der Tür. Das Restaurant gehört den Ziebells, ein kleiner Familienbetrieb mit zehn Festangestellten und drei Lehrlingen. Vater und Sohn arbeiten im Service, Mutter Katrin Ziebell ist in der Küche tätig und die Einzige, die sich vor das Mikrofon traut:

    "Und zwar ist das aus einer Urlaubsreise entstanden, wir waren in Andalusien und fanden das ganze Ambiente ganz toll und haben gedacht, wir machen das auch. Haben zwar zum Anfang gedacht, 'na in Sachsendorf, Spanier wird schwierig werden', zum Anfang hatten wir auch unsere Schwierigkeiten, aber: Es läuft sehr gut. Durch viel Mundpropaganda, Radiowerbung, und, und, und, hat sich das sehr schnell rumgesprochen. Und wir haben auch Gäste von ziemlich weit her."

    Das sieht man an den Kennzeichen der Autos, die direkt vor der Tür parken: so ungefähr alles aus dem Einzugsbereich von Berlin bis Dresden.
    Katrin Ziebell war zu DDR-Zeiten 25 Jahre im Handel tätig, auch ihr Mann hat ursprünglich etwas anderes gelernt. Gelandet sind sie dann aber nach der Wende in der Gastronomie:

    "Dieses Unternehmen, wo ich war, gab es dann nicht mehr, und daraufhin habe ich gedacht: Steige ich doch bei meinem Mann mit ein, was kann's Besseres geben?"

    Schwarze Holztische und schwarze Stühle, 100 Plätze im Innenraum, spanische Musik aus dem Lautsprecher, im Sommer eine Veranda und eine Terrasse mit noch einmal 80 Plätzen: südländisches Flair in Cottbus.

    Die Karte bietet die begehrten spanischen Kleinigkeiten: über 40 Tapas, Spieße und Steaks vom Lavasteingrill und ein paar Nachspeisen:

    "Mein Liebling, mein Nachtisch? Unser spanischer Apfelkuchen, der wird auch selbst zubereitet. Und was auch für unser Haus spricht, ist unsere selbst gemachte Aioli, die spanische Knoblauchmayonnaise."

    Das "El Toro" bildet seit seinem Bestehen aus, aber es ist nun gar nicht mehr so einfach, geeignete Lehrlinge zu bekommen, klagt die Chefin:

    "Es kamen dies Jahr ganz wenige Bewerbungen. Und die, die gekommen sind, die waren für uns eigentlich irrelevant. Wir gucken uns auch das Zeugnis an. Obwohl ich immer sage, ich gehe nicht nur vom Zeugnis aus. Aber ich sehe ja auch, wie eine Bewerbung geschrieben ist. Ob Fehler drin sind oder keine Bilder oder unvollständige Bewerbungen, da mache ich mir schon meinen Reim drauf, und wir brauchen hier zuverlässiges Personal."

    Da passte es gut, dass die Industrie und Handelskammer Cottbus den Blick über die Landesgrenze vermittelte. Sie organisierte ein deutsch-polnisches Praktikantenprogramm:

    "Da haben wir gedacht: warum nicht? Wir sind ja offen für alles. Probieren wir es einfach mal. Und dann waren wir einmal da, dann war der Michael da mit seinem Betreuer, haben wir mit ihm gesprochen und gesagt: Okay, wir probieren es. War er zwei Tage bei uns Probe arbeiten, lief sehr gut ab. Also, wir haben gedacht, er hat das schon länger gemacht. Sehr ordentlich, sehr sauber, alles gemeistert, und da haben wir gesagt: okay!"

    Seit September ist Michael dabei, lernt nun Koch:

    "Ich heiße Hapiosik, und ich komme aus Polen, 20 Kilometer von Zieliona Gora, und ich bin jetzt in Cottbus. Und lerne Firma 'El Toro' und Schule."

    Auch wenn er vom Äußeren mit seinen schwarzen Haaren fast als Spanier durchgehen könnte: Michael stammt aus der Nähe des ehemaligen schlesischen Grünberg; jetzt wohnt er in einem Studentenwohnheim in Cottbus. Er hofft, nach der Ausbildung übernommen zu werden.

    Aber die Lehre dauert noch fast drei Jahre, vor allem sein Deutsch muss sich bis dahin verbessern, damit er die Prüfungen schaffen kann:

    "Schule ist gut, aber ich nicht alles verstehen, ja! Und Leute, alles gut und Firma: Ist alles schön!"

    "Es ist natürlich gerade für die grenznahen Regionen von Interesse, hier den Wirtschaftsraum auch dadurch mitzugestalten, dass wir transnationale Bildungsprojekte ins Leben rufen","

    sagt Iris Kirschner, bei der IHK Cottbus zuständig für Ausbildung.

    ""Anderer Auslöser ist natürlich, dass gerade die neuen Bundesländer stark vom demografischen Schwund und von Abwanderung betroffen sind und mehr und mehr Ausbildungsplätze auch nicht besetzt werden können. Insofern ist es folgerichtig, darüber nachzudenken, können wir nicht mit unseren Partnern auf der anderen Seite der Grenze stärker zusammenarbeiten in solchen Bereichen."

    Bei den Schulabgängern in den letzten fünf Jahren gab es einen Rückgang von etwa 50 Prozent. Die Betriebe bekommen das nun mit voller Wucht zu spüren. Ein Drittel gab in einer IHK-Befragung in der Region an, die Ausbildungsplätze nicht mehr besetzen zu können. Die Gastronomie ist da keine Ausnahme:

    "Wir haben einige sehr beliebte Berufe bei Jugendlichen, Tierpfleger oder einige Berufe in den Medien, wo noch immer mehrere Hundert Bewerber auf eine Stelle kommen auch bei einigen sehr attraktiven Ausbildungsbetrieben. Und bestimmte Branchen, und dazu zählt sicher auch das Gastgewerbe, mit in Augen von Jugendlichen auch eher unattraktiven Arbeitszeiten, bekommen es natürlich stärker zu spüren."

    Noch immer gibt es einen Grundstock von Jugendlichen, der in den vergangenen Jahren keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, aber auch der schmilzt langsam ab.

    Können Jugendliche aus dem Ausland wie Michael eine dauerhafte Perspektive für Betriebe in Deutschland sein, Lehrlinge zu finden?

    "Also, wir freuen uns natürlich, wenn Jugendliche aus Polen hier auch die Chancen wahrnehmen, allein schon aufgrund der sprachlichen Kompetenz, die sie auch mitbringen, was durchaus die Wirtschaft im grenznahen Raum beleben kann. Es ist sicherlich kein Allheilmittel jetzt für die Ausbildungsplatzprobleme oder die Besetzungsprobleme der Betriebe. Es wird an der Stelle nicht die eine Lösung sein, wir müssen auch sicherlich weiter versuchen, die Jugendlichen hier vor Ort adäquat zu qualifizieren oder aus den Schulen zu entlassen, dass sie eine betriebliche Ausbildung aufnehmen können. Und wir müssen sicherlich versuchen uns hier als Region attraktiv für junge Menschen aufzustellen."

    Katrin Ziebell kann erst einmal aufatmen. Nach nur drei unzureichenden Bewerbungen, die ihr dieses Jahr für das "El Toro" vorlagen, ergibt sich für 2012 schon eine Perspektive:

    "Wir hatten jetzt zum Beispiel auch eine Anfrage fürs nächste Jahr, ob wir Lehrlinge einstellen. Und der junge Mann, der da gefragt hat, der hat jetzt erst mal sich zum Praktikum bereit erklärt, ein schulisches Praktikum, der kommt jetzt im November. Und da sieht man ja schon, dass der sich mit dem Beruf identifizieren möchte. Kann er mal reinschnuppern. Und wenn es ihm nächstes Jahr immer noch gefällt, können wir das natürlich machen."