In welchem Umfang die Leistungen der deutschen Sozialversicherungen abgebaut werden, darüber wogt zur Zeit heftiger Richtungsstreit innerhalb und außerhalb der Regierungskoalition. Doch Entscheidungen über solche Fragen treffen heutzutage weniger Sonderparteitage, noch nicht einmal Kanzlervorlagen. Wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung werden zunehmend auf internationaler Ebene gefällt.
Im mexikanischen Cancun z.B. geht es vom 10. bis 14. September um die so genannte Handelsfreiheit auf dem gesamten Erdball. Das schließt alle wirtschaftlichen Güter und Finanzen, ja sogar staatliche Leistungen der Daseinsvorsorge ein. In Cancun tagt die WTO, genauer gesagt die zweijährliche Ministerrunde der 146 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation. Was die Handelsminister dort beraten, verhandeln und zum Teil auch beschließen werden, betrifft die Möglichkeiten der Unternehmen, die die Märkte der Welt beschicken, aber auch die Arbeits- und Einkommensbedingungen derjenigen, die den Handel mit ihrer Arbeitskraft ermöglichen und bewerkstelligen: der normalen, der "kleinen Leute"
Es geht zum Beispiel um GATS. GATS steht für General Agreement on Trade in Services und meint auf Deutsch: Das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf Sie zur öffentlichen Anhörung des Deutschen Bundestages zu dem Thema "Internationale Dienstleistungsabkommen - GATS - Chancen und Risiken für Wirtschaft und Beschäftigung in Deutschland" begrüßen.
Diese Anhörung am 7. April vor dem Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Arbeit war nicht unbedingt geplant von denen, die in Deutschland verantwortlich sind für die Verhandlungen um die so genannte Weiterentwicklung des GATS. Verantwortlich ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, auf Europäischer Ebene die Europäische Kommission. Öffentlicher Streit um Sinn und Zweck von GATS ist von beiden Behörden nicht vorgesehen, im Gegenteil: "Vertraulichkeit" ist vereinbart, von allen WTO-Mitgliedsstaaten.
Doch in der Brüsseler Bürokratie gab es jemanden, dem Demokratie mehr wert ist als Geheimverhandlungen. Deshalb wurden vor einem Jahr die Pläne der deutschen und europäischen Ministerialbürokratie herausgeschmuggelt. Parlamentarier und Bürger erfuhren, was in Cancun verhandelt werden soll. Es gab Protest und schließlich diese öffentliche Anhörung. Der deutsche Bundestag formulierte am 13. April sein Erstaunen über das geheimnistuerische Prozedere zu GATS in einem von SPD und Grünen eingebrachten Antrag:
Mit den neuen international eingegangenen Verpflichtungen werden die Möglichkeiten der nationalen Parlamente Politikfelder zu gestalten, deutlich eingeschränkt. Die Macht wurde ... von den Parlamenten auf die Exekutive verlagert. Angesichts einer breiten und kritischer werdenden öffentlichen Diskussion ist dies bei der zunehmenden Bedeutung der Dienstleistungen, des Dienstleistungshandels und seiner Rückwirkungen wegen des Verlustes an Demokratie nicht mehr vertretbar.
Tatsächlich geben die Staaten mit ihrem Beitritt zur WTO ihre gesetzgeberische Souveränität in Wirtschaftsdingen weitgehend aus der Hand. Die WTO verabredet ökonomische Richtlinien, bindet die Vertragsstaaten an die Verabredungen und droht ihnen mit erheblichen Handelssanktionen, wenn sie nationale Gesetze verabschieden oder beibehalten, die dem Abkommen widersprechen.
Das sorgt für Zündstoff, weil die WTO im GATS und den anderen Vertragswerken keinerlei soziale oder Umweltstandards festlegen. Fixiert werden ausschließlich ökonomische Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft und damit jeder nationalen Wirtschaft. Und diese Rahmenbedingungen haben Folgen für die Menschen in diesen Staaten.
Die WTO will den ungebremsten Handel durchsetzen, das GATS, wie gesagt, den Handel mit Dienstleistungen; das GATT z.B. soll den schrankenlosen Handel von Waren erreichen, das TRIPS soll das Patentrecht auf wirtschaftlich verwertbares geistiges Eigentum verankern und den lukrativen Handel mit solchen Patenten voranbringen.
Die Kritiker der Welthandelsorganisation sagen, alle Abkommen der WTO, ob sie nun GATT, TRIPS und GATS heißen, würden wesentliche Schutzbarrieren einreißen oder zumindest durchlöchern, mit denen national verfasste Staaten die Umwelt ihrer Länder, ihre Arbeitnehmer oder einfach nur die Schwächeren in der Gesellschaft vor Billigkonkurrenz und dem Kampf aller gegen alle schützen. Das GATS-Abkommen z.B. soll nicht nur Finanzdienstleistungen, die Telekommunikation, den Groß- und Einzelhandel, Transport und Tourismus, sondern auch die Wasser- und Energieversorgung, den Bildungssektor, das Gesundheitswesen und soziale Dienstleistungen dem internationalen Markt unterwerfen. Das Primat gewinnorientierten Wirtschaftens werde, so die Kritiker, auch die bislang geschützten Sektoren der Daseinsvorsorge aus der staatlichen Sozialverpflichtung lösen und damit den Grundsatz unterhöhlen, dass jedem Menschen der Zugang zu diesen Diensten gesichert werden muss.
Nehmen wir mal einfach den Gesundheitsbereich an oder den Pflegebereich. Wenn die Pflege nicht mehr bezahlt wird ... Oder: Die Dienstleistungsfirmen werden halt nur solche Fälle übernehmen, die zahlen. Und wenn das nicht mehr gezahlt werden wird für eine alte Frau oder eine alte Mutter oder einen alten Vater? Wo gehen sie hin? Sie werden wieder von Frauen gepflegt werden müssen. Die sowieso ganz wenig Geld haben. Also die Altersarmut ist für alle Frauen vorprogrammiert. Einige werden natürlich auch profitieren. Es wird natürlich auch einige Gutverdienende geben. Aber wenn man die Masse der Frauen weltweit ansieht, die werden auf jeden Fall zu den Verliererinnen gehören. Und deshalb ist unsere erste Forderung: Stoppt das GATS. Schluss mit diesen Verhandlungen.
Die emeritierte Professorin Maria Mies arbeitet mit bei Attac, dem globalisierungskritischen Netzwerk. Sie hat mehrere Bücher zur WTO und über den Widerstand gegen diese Organisation verfasst. Gerade hat Maria Mies mit anderen Frauen einen Kongress organisiert, der sich mit der schrankenlosen Vermarktung von Dienstleistungen befasste und die Frage stellte: Was folgt besonders für Frauen aus einer Entwicklung, die mit der so schön und frei klingenden Vokabel von der "Liberalisierung" vorangetrieben wird? Liberalisierung, so Maria Mies, bedeutet Zwang für viele, Freiheit bringt sie nur für wenige. Wenn das Sozialstaatsprinzip fällt, so fürchtet sie, dann werden sämtliche Bereiche der Daseinsvorsorge zur bloßen Ware. Was besonders Frauen massiv schlechter stellen würde:
Das muss in den Köpfen aller deutlich werden, die darüber verhandeln, dass dieses besondere Abkommen eine besondere Gefährdung für Frauen insgesamt ist, sowohl als Arbeitnehmerinnen wie als Kundinnen von Dienstleistungen, die auf erschwingliche Dienstleistungen angewiesen sind.
Wenn große internationale Konzerne in den Gesundheitssektor eindringen, ins Bildungssystem oder in den Bereich der sozialen Dienste, so müssen ihnen nach GATS dieselben Zugangschancen eingeräumt werden wie z.B. gemeinnützigen Vereinen oder den Trägern der freien Wohlfahrtspflege. Im Kampf um staatliche Zuschüsse werden, so fürchten Maria Mies und andere, die kleinen Verbände auf der Strecke bleiben. Der Markt würde segmentiert werden, profitorientierte Unternehmen würden sich nur noch der lukrativen Sektoren annehmen, die anderen würden verfallen. Wer also für die Ausbildung seiner Kinder zu bezahlen bereit und in der Lage sei, werde sie in private Schulen schicken müssen – der öffentliche Schulsektor allerdings würde ausgedünnt und verkümmern.
GATS ist nicht darauf ausgelegt, die Methoden des Marktes, auf dem nur die "global players" ständig kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls wieder einzuschränken. Einziges Ziel ist, den Akteuren auf dem internationalen Markt jedes Hindernis aus dem Weg zu räumen. Darauf ist die Welthandelsorganisation konzeptionell ausgerichtet, und damit auch GATS. Das WTO-Vertragswerk ist als Einbahnstraße in Richtung völliger Abschaffung sogenannter "Marktzugangshindernisse" und Schutzbestimmungen angelegt. Teil IV des GATS-Abkommens konkretisiert diese eindimensionale Zielrichtung unter der programmatischen Überschrift "Fortschreitende Liberalisierung". Die Vertragsregeln legen in Artikel neunzehn fest:
Entsprechend den Zielen dieses Übereinkommens treten die Mitglieder in aufeinanderfolgende Verhandlungsrunden ein, die regelmäßig stattfinden, um schrittweise einen höheren Stand der Liberalisierungen zu erreichen. Die Verhandlungen zielen darauf ab, die nachteiligen Auswirkungen von Maßnahmen auf den Handel mit Dienstleistungen zu vermindern oder zu beseitigen, um dadurch einen effektiven Marktzugang zu erreichen.
Unter anderem, so Artikel sechs, soll durchgesetzt werden, dass
Qualifikationserfordernisse und –verfahren, technische Normen und Zulassungserfordernisse keine unnötigen Hemmnisse für den Handel mit Dienstleistungen darstellen.
''Unnötige Hemmnisse für den Handel'' – das können Arbeitnehmerrechte, Förderrichtlinien für Jungunternehmer, Zuschussregelungen für gemeinnützige Vereine oder Umweltgesetze sein. Solche Subventionen oder Verbote können vor dem WTO-Schiedsgericht von einem anderen Staat angefochten werden. In bislang elf Streitfällen wurde dort ein sogenanntes "Notwendigkeitsverfahren" durchgeführt; zehn mal stellte das WTO-Tribunal fest, nationale Gesetze würden den Freihandel über Gebühr beeinträchtigen. So musste die Europäische Union aufgrund des Urteils dieses Gerichts ihr Einfuhr-Verbot für hormonbehandeltes Rindfleisch aus den USA zurücknehmen. Die EU konnte nicht durch wissenschaftliche Studien hieb- und stichfest belegen, welche konkreten Schädigungen auf hormonbehandeltes Rindfleisch zurückzuführen sind.
Die WTO will nicht nur gesundheitspolitische oder Umweltschutz-Barrieren im Warenhandel beseitigen; mit GATS sollen auch nationale Schutzmaßnahmen gegen die private Vermarktung von lebensnotwendigen Gütern fallen. Maria Mies schildert ein Beispiel:
Sie kennen wahrscheinlich den Fall von Cochabamba in Bolivien, wo die Bevölkerung ein halbes Jahr auf die Straße gegangen ist und gegen die Privatisierung ihres Trinkwassers demonstriert hat, das auf einen Schlag so hohe Preise ... also die Preise wurden so erhöht, dass ein normaler Arbeiter ein Drittel seines Einkommens für Wasser zahlen musste. Bis schließlich da ein Mensch erschossen wurde! Dann hat die Regierung erst beigegeben, hat das wieder re-nationalisiert das Wasser. Die Firma aber, Bechtel, der amerikanische Konzern, verfolgt jetzt die Regierung mit dem Streitschlichtungsmechanismus der WTO und fordert Kompensation für das entgangene Geschäft.
Bei den laufenden GATS-Verhandlungen geht es nicht mehr darum, ob die "Handelsfreiheit" überhaupt zu einem quasi völkerrechtlichen Verfassungsgrundsatz erhoben werden darf. Gestritten wird nur noch um das Tempo, mit dem Schutzbestimmungen für Beschäftigte, Umwelt oder für die Schwachen in einer Gesellschaft beiseite geräumt werden.
Industrie und Handel stützen den Kurs der globalen Marktöffnung. Sie käme, so ihr Argument, über kurz oder lang allen zugute. Je exportorientierter und größer ein Unternehmer, umso energischer verfechten seine Lobbyisten diese Politik. Die Telekommunikationsindustrie, die Wasser- und Energiewirtschaft, die Banken, international operierende Gesundheits- oder Bildungskonzerne, aber auch der Groß- und Einzelhandel puschen den Abbau von Schutzbestimmungen, die sie am Zugang zu nationalen Märkten hindern.
Das bedeutet, dass deutsche Handelskonzerne die Möglichkeit erhalten müssen, im Ausland hundertprozentige Tochtergesellschaften zu gründen. Das ist heute nicht überall der Fall, es gibt restriktive Jointventure-Bestimmungen, die zum Teil nur eine Minderheitsbeteiligung erlauben. Des Weiteren wünschen wir uns, dass deutsche Handelskonzerne im Ausland die Möglichkeit erhalten, Grunderwerb als Eigentum zu erwerben und nicht im Rahmen einer Pacht oder eines Mietvertrages Geschäfte dort betreiben können. Im Übrigen ist ein weiterer wichtiger Punkt für uns, dass keine Begrenzungen hinsichtlich der Anzahl und Standorte von Einzelhandelsfilialen festgeschrieben werden. Wir sehen das als Eingriff in die Geschäftspolitik der Handelskonzerne an. Ein weiterer wichtiger Punkt ist für uns, dass uneingeschränkter Gewinntransfer möglich ist. In einigen Ländern bestehen in dieser Hinsicht nach wie vor Beschränkungen und Devisenkontrollen.
Mit Heftigkeit trat der Sachverständige Dirk Falke vom Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels vor dem Bundestagsausschuss für seine Sache ein: Die Freiheit, unbegrenzt Dienstleistungen in anderen Ländern anzubieten, steigere den Umsatz der Mutterkonzerne in Deutschland und werde sich deshalb hierzulande positiv auswirken, versprechen alle Befürworter von GATS. Die Kritiker, darin sind sich die Lobbyisten der Wirtschaft einig, unterschlügen diese positiven Effekte. Und schürten außerdem unberechtigte Sorgen. Es bestünde gar keine Gefahr, dass auch Sektoren der öffentlichen Daseinsvorsorge wie die Wasserversorgung, das Bildungs- oder Gesundheitswesen dem internationalen Marktgeschehen unterworfen würden. Der GATS-Vertrag schließe das aus, schreibt z.B. der Bundesverband der Deutschen Industrie in einer Einlassung für den Bundestagsausschuss Wirtschaft:
Aufgrund der sektorspezifischen Herangehensweise des GATS können sensible Sektoren vollständig ausgeklammert oder nationale politische Ziele, wie beispielsweise der Gesundheits-. Verbraucher- und Umweltschutz sowie wichtige Qualitätsstandards durchgesetzt werden.
Tatsächlich klammert der GATS-Vertrag im Artikel eins nur noch solche staatlichen Dienstleistungen vom Zwang zu schrittweiser Liberalisierung aus, die:
...weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern erbracht wird.
Da aber nur die Bundeswehr konkurrenzlos staatlich organisiert ist und alle anderen Bereiche "hoheitlicher Dienstleistungen" der nationalen privaten Konkurrenz längst geöffnet wurden, greift auch im Bildungssektor, im Gesundheitswesen, bei der Wasserversorgung oder bei den sozialen Diensten der GATS-Vertrag mit seiner Verpflichtung, internationale Konkurrenz am jeweiligen "Markt" zuzulassen. Bei der Anhörung vor dem Wirtschaftsausschuss des Bundestages wies der Vertreter der kommunalen Versorgungsbetriebe, Ulrich Cronauge, darauf hin:
Hier ist festzustellen, dass das Thema Wasser erstmalig in dieser Verhandlungsrunde in die GATS-Verhandlungen eingeführt wird. Das war in dem Ausgangspapier aus dem Jahre 1994 nicht der Fall.
Und wenn auch die EU-Kommission in ihrem aktuellen Verhandlungspapier für Cancun in Europa weder Bildung, Kultur und Gesundheit noch die Wasserversorgung der globalen Konzernkonkurrenz aussetzen will, so fordert sie eben das von anderen Ländern. Die Folgen der globalen Liberalisierung für den Verlust kommunaler Selbstverwaltung:
Lassen Sie mich das plakativ sagen: Insoweit wird, wenn über GATS verhandelt wird, auch über kommunale Selbstverwaltung verhandelt. Das heißt, es geht hier sehr wohl um die Frage, ob bei kommunalen Dienstleistungen, etwa dem Bereich Ver- und Entsorgung, der heute zum klassischen Repertoire der Kommunen und ihrer Unternehmen gehört, dies auch noch morgen so sein wird oder ob wir uns über weitgehende Liberalisierungen dieser kommunalen Infrastrukturbereiche eventuell städtischerseits entledigen. Das heißt, dass diese Bereiche womöglich den Weg in die Privatwirtschaft nehmen werden. Insoweit ist aus kommunaler Sicht sicherlich große Skepsis geboten, was diesen Prozess betrifft.
Der vielbeschworene Schutz der nationalen Heiligtümer Bildung und Kultur ist also eher ein propagandistischer. Er wird wegen der Verpflichtung im GATS-Vertrag zu ständig fortschreitender Liberalisierung früher oder später zerschlagen werden, sind sich die WTO-Kritiker sicher.
Ähnliches gilt auch für den Schutz des Arbeitsmarktes vor Lohn- und Sozialdumping. Denn GATS erlaubt den Export von Arbeitskräften, die als "Dienstleistende" in jedes beliebige andere Land verschickt werden können. Zwar versichern die Befürworter von GATS, wie z.B. der Bundesverband der Deutschen Industrie:
Es geht aber nicht darum, dass man irgendwelche einfachen Arbeitskräfte ins Ausland bringt, sondern es geht wirklich um diesen Bereich der Hochqualifizierten.
Aber die Beweisführung der Gewerkschaften für ihre Kritik ist doch näher am Text des GATS-Abkommens bzw. den Liberalisierungsforderungen, mit denen die Europäische Union in die nächste Verhandlungsrunde geht. In der Angebotsliste der Europäischen Kommission für die Verhandlungen in Cancun heißt es nämlich, dass Arbeitnehmer, die von dienstleistenden Unternehmen im Ausland eingesetzt werden dürfen, auch solche sein können, deren Qualifikation ausschließlich in einer 3-jährigen Berufserfahrung besteht. Außerdem werden die Lohn- und Gehaltsabrechnungen für die ins Ausland entsandten Arbeitnehmer nach dem Recht des entsendenden Unternehmens abgewickelt. Ein großes Problem, das sich nach Ansicht von Frank Schmidt-Hullmann von der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt schon beim Entsendegesetz in der Bauwirtschaft gezeigt hat:
Hier sehen wir, wenn das Arbeitsverhältnis nicht als Inlandsarbeitsverhältnis ausgestaltet ist, so dass auch die Rechtsfrage klar ist – die ist bei Entsendekräften immer unklar – und wenn nicht auch Abrechnungsmodalitäten über Inlandskonten des Arbeitnehmers laufen müssen, große Probleme für die Kontrollbehörden, und wir befürchten massives Unterlaufen aller Schutzbestimmungen, die eventuell als Fußnote drin stehen.
Und hier wird das GATS mit seiner aktuellen Liberalisierungsrunde wieder zu einem Problem besonders für Frauen. Denn im Dienstleistungssektor arbeiten weltweit überdurchschnittlich viele Frauen, in der Europäischen Union sind 80 Prozent der Dienstleistungsarbeitsplätze von ihnen besetzt. Wenn das GATS diese Arbeitsplätze der internationalen Konkurrenz aussetzt, dann steht nicht nur die bezahlbare Dienstleistung für alle, dann stehen auch die Arbeits- und Lohnbedingungen im Dienstleistungssektor unter einem ungeheuren Druck.
Für die indische Globalisierungskritikerin Vandana Shiva bringt das GATS-Abkommen und seine Fortschreibung ausschließlich negative Folgen für die Bevölkerung in den Ländern der 3. Welt und in den Industriestaaten. Denn in beiden Regionen, besonders allerdings in der 3. Welt, würden privatisierte Dienstleistungen für die Mehrheit der Menschen unbezahlbar, der durch GATS ermöglichte Arbeitskräfteexport in die Industrieländer würde ungleiche und ungerechte Lohn- und Arbeitsverhältnisse bringen, gewinnen würden nur die "global player":
Die Europäische Union versucht mit Indien darüber zu verhandeln, dass sie Fachleuten mit speziellen GATS-Visa die Einreise erlaubt, dass sie also die Mobilität dieser Leute ermöglicht. Aber das ist keine Mobilität, weil diese GATS-Visa eher eine moderne Form von Sklavenarbeit bedeuten, da gibt es keine freie Arbeitsplatzwahl. Firmen werden Arbeitskräfte zu niedrigen Kosten anstellen, um Arbeits- und Lohnverhältnisse im europäischen Teil der Welt zu unterlaufen und das wird dem Reformprozess, der ohnehin in Europa läuft, noch mehr Elend zufügen. Umgekehrt werden die europäischen Firmen in Indien die Privatisierung von Energie, Wasser, Gesundheit, Erziehung, Banken, Versicherungen usw. mit vorantreiben. Das alles wird als fairer Austausch präsentiert. Aber in Wirklichkeit ist es ein doppelter Gewinn – für die Unternehmensprofite. Für die Menschen ist es ein doppelter Verlust an fundamentaler ökonomischer Sicherheit, sowohl in Indien wie in Europa.
Im mexikanischen Cancun z.B. geht es vom 10. bis 14. September um die so genannte Handelsfreiheit auf dem gesamten Erdball. Das schließt alle wirtschaftlichen Güter und Finanzen, ja sogar staatliche Leistungen der Daseinsvorsorge ein. In Cancun tagt die WTO, genauer gesagt die zweijährliche Ministerrunde der 146 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation. Was die Handelsminister dort beraten, verhandeln und zum Teil auch beschließen werden, betrifft die Möglichkeiten der Unternehmen, die die Märkte der Welt beschicken, aber auch die Arbeits- und Einkommensbedingungen derjenigen, die den Handel mit ihrer Arbeitskraft ermöglichen und bewerkstelligen: der normalen, der "kleinen Leute"
Es geht zum Beispiel um GATS. GATS steht für General Agreement on Trade in Services und meint auf Deutsch: Das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf Sie zur öffentlichen Anhörung des Deutschen Bundestages zu dem Thema "Internationale Dienstleistungsabkommen - GATS - Chancen und Risiken für Wirtschaft und Beschäftigung in Deutschland" begrüßen.
Diese Anhörung am 7. April vor dem Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Arbeit war nicht unbedingt geplant von denen, die in Deutschland verantwortlich sind für die Verhandlungen um die so genannte Weiterentwicklung des GATS. Verantwortlich ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, auf Europäischer Ebene die Europäische Kommission. Öffentlicher Streit um Sinn und Zweck von GATS ist von beiden Behörden nicht vorgesehen, im Gegenteil: "Vertraulichkeit" ist vereinbart, von allen WTO-Mitgliedsstaaten.
Doch in der Brüsseler Bürokratie gab es jemanden, dem Demokratie mehr wert ist als Geheimverhandlungen. Deshalb wurden vor einem Jahr die Pläne der deutschen und europäischen Ministerialbürokratie herausgeschmuggelt. Parlamentarier und Bürger erfuhren, was in Cancun verhandelt werden soll. Es gab Protest und schließlich diese öffentliche Anhörung. Der deutsche Bundestag formulierte am 13. April sein Erstaunen über das geheimnistuerische Prozedere zu GATS in einem von SPD und Grünen eingebrachten Antrag:
Mit den neuen international eingegangenen Verpflichtungen werden die Möglichkeiten der nationalen Parlamente Politikfelder zu gestalten, deutlich eingeschränkt. Die Macht wurde ... von den Parlamenten auf die Exekutive verlagert. Angesichts einer breiten und kritischer werdenden öffentlichen Diskussion ist dies bei der zunehmenden Bedeutung der Dienstleistungen, des Dienstleistungshandels und seiner Rückwirkungen wegen des Verlustes an Demokratie nicht mehr vertretbar.
Tatsächlich geben die Staaten mit ihrem Beitritt zur WTO ihre gesetzgeberische Souveränität in Wirtschaftsdingen weitgehend aus der Hand. Die WTO verabredet ökonomische Richtlinien, bindet die Vertragsstaaten an die Verabredungen und droht ihnen mit erheblichen Handelssanktionen, wenn sie nationale Gesetze verabschieden oder beibehalten, die dem Abkommen widersprechen.
Das sorgt für Zündstoff, weil die WTO im GATS und den anderen Vertragswerken keinerlei soziale oder Umweltstandards festlegen. Fixiert werden ausschließlich ökonomische Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft und damit jeder nationalen Wirtschaft. Und diese Rahmenbedingungen haben Folgen für die Menschen in diesen Staaten.
Die WTO will den ungebremsten Handel durchsetzen, das GATS, wie gesagt, den Handel mit Dienstleistungen; das GATT z.B. soll den schrankenlosen Handel von Waren erreichen, das TRIPS soll das Patentrecht auf wirtschaftlich verwertbares geistiges Eigentum verankern und den lukrativen Handel mit solchen Patenten voranbringen.
Die Kritiker der Welthandelsorganisation sagen, alle Abkommen der WTO, ob sie nun GATT, TRIPS und GATS heißen, würden wesentliche Schutzbarrieren einreißen oder zumindest durchlöchern, mit denen national verfasste Staaten die Umwelt ihrer Länder, ihre Arbeitnehmer oder einfach nur die Schwächeren in der Gesellschaft vor Billigkonkurrenz und dem Kampf aller gegen alle schützen. Das GATS-Abkommen z.B. soll nicht nur Finanzdienstleistungen, die Telekommunikation, den Groß- und Einzelhandel, Transport und Tourismus, sondern auch die Wasser- und Energieversorgung, den Bildungssektor, das Gesundheitswesen und soziale Dienstleistungen dem internationalen Markt unterwerfen. Das Primat gewinnorientierten Wirtschaftens werde, so die Kritiker, auch die bislang geschützten Sektoren der Daseinsvorsorge aus der staatlichen Sozialverpflichtung lösen und damit den Grundsatz unterhöhlen, dass jedem Menschen der Zugang zu diesen Diensten gesichert werden muss.
Nehmen wir mal einfach den Gesundheitsbereich an oder den Pflegebereich. Wenn die Pflege nicht mehr bezahlt wird ... Oder: Die Dienstleistungsfirmen werden halt nur solche Fälle übernehmen, die zahlen. Und wenn das nicht mehr gezahlt werden wird für eine alte Frau oder eine alte Mutter oder einen alten Vater? Wo gehen sie hin? Sie werden wieder von Frauen gepflegt werden müssen. Die sowieso ganz wenig Geld haben. Also die Altersarmut ist für alle Frauen vorprogrammiert. Einige werden natürlich auch profitieren. Es wird natürlich auch einige Gutverdienende geben. Aber wenn man die Masse der Frauen weltweit ansieht, die werden auf jeden Fall zu den Verliererinnen gehören. Und deshalb ist unsere erste Forderung: Stoppt das GATS. Schluss mit diesen Verhandlungen.
Die emeritierte Professorin Maria Mies arbeitet mit bei Attac, dem globalisierungskritischen Netzwerk. Sie hat mehrere Bücher zur WTO und über den Widerstand gegen diese Organisation verfasst. Gerade hat Maria Mies mit anderen Frauen einen Kongress organisiert, der sich mit der schrankenlosen Vermarktung von Dienstleistungen befasste und die Frage stellte: Was folgt besonders für Frauen aus einer Entwicklung, die mit der so schön und frei klingenden Vokabel von der "Liberalisierung" vorangetrieben wird? Liberalisierung, so Maria Mies, bedeutet Zwang für viele, Freiheit bringt sie nur für wenige. Wenn das Sozialstaatsprinzip fällt, so fürchtet sie, dann werden sämtliche Bereiche der Daseinsvorsorge zur bloßen Ware. Was besonders Frauen massiv schlechter stellen würde:
Das muss in den Köpfen aller deutlich werden, die darüber verhandeln, dass dieses besondere Abkommen eine besondere Gefährdung für Frauen insgesamt ist, sowohl als Arbeitnehmerinnen wie als Kundinnen von Dienstleistungen, die auf erschwingliche Dienstleistungen angewiesen sind.
Wenn große internationale Konzerne in den Gesundheitssektor eindringen, ins Bildungssystem oder in den Bereich der sozialen Dienste, so müssen ihnen nach GATS dieselben Zugangschancen eingeräumt werden wie z.B. gemeinnützigen Vereinen oder den Trägern der freien Wohlfahrtspflege. Im Kampf um staatliche Zuschüsse werden, so fürchten Maria Mies und andere, die kleinen Verbände auf der Strecke bleiben. Der Markt würde segmentiert werden, profitorientierte Unternehmen würden sich nur noch der lukrativen Sektoren annehmen, die anderen würden verfallen. Wer also für die Ausbildung seiner Kinder zu bezahlen bereit und in der Lage sei, werde sie in private Schulen schicken müssen – der öffentliche Schulsektor allerdings würde ausgedünnt und verkümmern.
GATS ist nicht darauf ausgelegt, die Methoden des Marktes, auf dem nur die "global players" ständig kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls wieder einzuschränken. Einziges Ziel ist, den Akteuren auf dem internationalen Markt jedes Hindernis aus dem Weg zu räumen. Darauf ist die Welthandelsorganisation konzeptionell ausgerichtet, und damit auch GATS. Das WTO-Vertragswerk ist als Einbahnstraße in Richtung völliger Abschaffung sogenannter "Marktzugangshindernisse" und Schutzbestimmungen angelegt. Teil IV des GATS-Abkommens konkretisiert diese eindimensionale Zielrichtung unter der programmatischen Überschrift "Fortschreitende Liberalisierung". Die Vertragsregeln legen in Artikel neunzehn fest:
Entsprechend den Zielen dieses Übereinkommens treten die Mitglieder in aufeinanderfolgende Verhandlungsrunden ein, die regelmäßig stattfinden, um schrittweise einen höheren Stand der Liberalisierungen zu erreichen. Die Verhandlungen zielen darauf ab, die nachteiligen Auswirkungen von Maßnahmen auf den Handel mit Dienstleistungen zu vermindern oder zu beseitigen, um dadurch einen effektiven Marktzugang zu erreichen.
Unter anderem, so Artikel sechs, soll durchgesetzt werden, dass
Qualifikationserfordernisse und –verfahren, technische Normen und Zulassungserfordernisse keine unnötigen Hemmnisse für den Handel mit Dienstleistungen darstellen.
''Unnötige Hemmnisse für den Handel'' – das können Arbeitnehmerrechte, Förderrichtlinien für Jungunternehmer, Zuschussregelungen für gemeinnützige Vereine oder Umweltgesetze sein. Solche Subventionen oder Verbote können vor dem WTO-Schiedsgericht von einem anderen Staat angefochten werden. In bislang elf Streitfällen wurde dort ein sogenanntes "Notwendigkeitsverfahren" durchgeführt; zehn mal stellte das WTO-Tribunal fest, nationale Gesetze würden den Freihandel über Gebühr beeinträchtigen. So musste die Europäische Union aufgrund des Urteils dieses Gerichts ihr Einfuhr-Verbot für hormonbehandeltes Rindfleisch aus den USA zurücknehmen. Die EU konnte nicht durch wissenschaftliche Studien hieb- und stichfest belegen, welche konkreten Schädigungen auf hormonbehandeltes Rindfleisch zurückzuführen sind.
Die WTO will nicht nur gesundheitspolitische oder Umweltschutz-Barrieren im Warenhandel beseitigen; mit GATS sollen auch nationale Schutzmaßnahmen gegen die private Vermarktung von lebensnotwendigen Gütern fallen. Maria Mies schildert ein Beispiel:
Sie kennen wahrscheinlich den Fall von Cochabamba in Bolivien, wo die Bevölkerung ein halbes Jahr auf die Straße gegangen ist und gegen die Privatisierung ihres Trinkwassers demonstriert hat, das auf einen Schlag so hohe Preise ... also die Preise wurden so erhöht, dass ein normaler Arbeiter ein Drittel seines Einkommens für Wasser zahlen musste. Bis schließlich da ein Mensch erschossen wurde! Dann hat die Regierung erst beigegeben, hat das wieder re-nationalisiert das Wasser. Die Firma aber, Bechtel, der amerikanische Konzern, verfolgt jetzt die Regierung mit dem Streitschlichtungsmechanismus der WTO und fordert Kompensation für das entgangene Geschäft.
Bei den laufenden GATS-Verhandlungen geht es nicht mehr darum, ob die "Handelsfreiheit" überhaupt zu einem quasi völkerrechtlichen Verfassungsgrundsatz erhoben werden darf. Gestritten wird nur noch um das Tempo, mit dem Schutzbestimmungen für Beschäftigte, Umwelt oder für die Schwachen in einer Gesellschaft beiseite geräumt werden.
Industrie und Handel stützen den Kurs der globalen Marktöffnung. Sie käme, so ihr Argument, über kurz oder lang allen zugute. Je exportorientierter und größer ein Unternehmer, umso energischer verfechten seine Lobbyisten diese Politik. Die Telekommunikationsindustrie, die Wasser- und Energiewirtschaft, die Banken, international operierende Gesundheits- oder Bildungskonzerne, aber auch der Groß- und Einzelhandel puschen den Abbau von Schutzbestimmungen, die sie am Zugang zu nationalen Märkten hindern.
Das bedeutet, dass deutsche Handelskonzerne die Möglichkeit erhalten müssen, im Ausland hundertprozentige Tochtergesellschaften zu gründen. Das ist heute nicht überall der Fall, es gibt restriktive Jointventure-Bestimmungen, die zum Teil nur eine Minderheitsbeteiligung erlauben. Des Weiteren wünschen wir uns, dass deutsche Handelskonzerne im Ausland die Möglichkeit erhalten, Grunderwerb als Eigentum zu erwerben und nicht im Rahmen einer Pacht oder eines Mietvertrages Geschäfte dort betreiben können. Im Übrigen ist ein weiterer wichtiger Punkt für uns, dass keine Begrenzungen hinsichtlich der Anzahl und Standorte von Einzelhandelsfilialen festgeschrieben werden. Wir sehen das als Eingriff in die Geschäftspolitik der Handelskonzerne an. Ein weiterer wichtiger Punkt ist für uns, dass uneingeschränkter Gewinntransfer möglich ist. In einigen Ländern bestehen in dieser Hinsicht nach wie vor Beschränkungen und Devisenkontrollen.
Mit Heftigkeit trat der Sachverständige Dirk Falke vom Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels vor dem Bundestagsausschuss für seine Sache ein: Die Freiheit, unbegrenzt Dienstleistungen in anderen Ländern anzubieten, steigere den Umsatz der Mutterkonzerne in Deutschland und werde sich deshalb hierzulande positiv auswirken, versprechen alle Befürworter von GATS. Die Kritiker, darin sind sich die Lobbyisten der Wirtschaft einig, unterschlügen diese positiven Effekte. Und schürten außerdem unberechtigte Sorgen. Es bestünde gar keine Gefahr, dass auch Sektoren der öffentlichen Daseinsvorsorge wie die Wasserversorgung, das Bildungs- oder Gesundheitswesen dem internationalen Marktgeschehen unterworfen würden. Der GATS-Vertrag schließe das aus, schreibt z.B. der Bundesverband der Deutschen Industrie in einer Einlassung für den Bundestagsausschuss Wirtschaft:
Aufgrund der sektorspezifischen Herangehensweise des GATS können sensible Sektoren vollständig ausgeklammert oder nationale politische Ziele, wie beispielsweise der Gesundheits-. Verbraucher- und Umweltschutz sowie wichtige Qualitätsstandards durchgesetzt werden.
Tatsächlich klammert der GATS-Vertrag im Artikel eins nur noch solche staatlichen Dienstleistungen vom Zwang zu schrittweiser Liberalisierung aus, die:
...weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern erbracht wird.
Da aber nur die Bundeswehr konkurrenzlos staatlich organisiert ist und alle anderen Bereiche "hoheitlicher Dienstleistungen" der nationalen privaten Konkurrenz längst geöffnet wurden, greift auch im Bildungssektor, im Gesundheitswesen, bei der Wasserversorgung oder bei den sozialen Diensten der GATS-Vertrag mit seiner Verpflichtung, internationale Konkurrenz am jeweiligen "Markt" zuzulassen. Bei der Anhörung vor dem Wirtschaftsausschuss des Bundestages wies der Vertreter der kommunalen Versorgungsbetriebe, Ulrich Cronauge, darauf hin:
Hier ist festzustellen, dass das Thema Wasser erstmalig in dieser Verhandlungsrunde in die GATS-Verhandlungen eingeführt wird. Das war in dem Ausgangspapier aus dem Jahre 1994 nicht der Fall.
Und wenn auch die EU-Kommission in ihrem aktuellen Verhandlungspapier für Cancun in Europa weder Bildung, Kultur und Gesundheit noch die Wasserversorgung der globalen Konzernkonkurrenz aussetzen will, so fordert sie eben das von anderen Ländern. Die Folgen der globalen Liberalisierung für den Verlust kommunaler Selbstverwaltung:
Lassen Sie mich das plakativ sagen: Insoweit wird, wenn über GATS verhandelt wird, auch über kommunale Selbstverwaltung verhandelt. Das heißt, es geht hier sehr wohl um die Frage, ob bei kommunalen Dienstleistungen, etwa dem Bereich Ver- und Entsorgung, der heute zum klassischen Repertoire der Kommunen und ihrer Unternehmen gehört, dies auch noch morgen so sein wird oder ob wir uns über weitgehende Liberalisierungen dieser kommunalen Infrastrukturbereiche eventuell städtischerseits entledigen. Das heißt, dass diese Bereiche womöglich den Weg in die Privatwirtschaft nehmen werden. Insoweit ist aus kommunaler Sicht sicherlich große Skepsis geboten, was diesen Prozess betrifft.
Der vielbeschworene Schutz der nationalen Heiligtümer Bildung und Kultur ist also eher ein propagandistischer. Er wird wegen der Verpflichtung im GATS-Vertrag zu ständig fortschreitender Liberalisierung früher oder später zerschlagen werden, sind sich die WTO-Kritiker sicher.
Ähnliches gilt auch für den Schutz des Arbeitsmarktes vor Lohn- und Sozialdumping. Denn GATS erlaubt den Export von Arbeitskräften, die als "Dienstleistende" in jedes beliebige andere Land verschickt werden können. Zwar versichern die Befürworter von GATS, wie z.B. der Bundesverband der Deutschen Industrie:
Es geht aber nicht darum, dass man irgendwelche einfachen Arbeitskräfte ins Ausland bringt, sondern es geht wirklich um diesen Bereich der Hochqualifizierten.
Aber die Beweisführung der Gewerkschaften für ihre Kritik ist doch näher am Text des GATS-Abkommens bzw. den Liberalisierungsforderungen, mit denen die Europäische Union in die nächste Verhandlungsrunde geht. In der Angebotsliste der Europäischen Kommission für die Verhandlungen in Cancun heißt es nämlich, dass Arbeitnehmer, die von dienstleistenden Unternehmen im Ausland eingesetzt werden dürfen, auch solche sein können, deren Qualifikation ausschließlich in einer 3-jährigen Berufserfahrung besteht. Außerdem werden die Lohn- und Gehaltsabrechnungen für die ins Ausland entsandten Arbeitnehmer nach dem Recht des entsendenden Unternehmens abgewickelt. Ein großes Problem, das sich nach Ansicht von Frank Schmidt-Hullmann von der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt schon beim Entsendegesetz in der Bauwirtschaft gezeigt hat:
Hier sehen wir, wenn das Arbeitsverhältnis nicht als Inlandsarbeitsverhältnis ausgestaltet ist, so dass auch die Rechtsfrage klar ist – die ist bei Entsendekräften immer unklar – und wenn nicht auch Abrechnungsmodalitäten über Inlandskonten des Arbeitnehmers laufen müssen, große Probleme für die Kontrollbehörden, und wir befürchten massives Unterlaufen aller Schutzbestimmungen, die eventuell als Fußnote drin stehen.
Und hier wird das GATS mit seiner aktuellen Liberalisierungsrunde wieder zu einem Problem besonders für Frauen. Denn im Dienstleistungssektor arbeiten weltweit überdurchschnittlich viele Frauen, in der Europäischen Union sind 80 Prozent der Dienstleistungsarbeitsplätze von ihnen besetzt. Wenn das GATS diese Arbeitsplätze der internationalen Konkurrenz aussetzt, dann steht nicht nur die bezahlbare Dienstleistung für alle, dann stehen auch die Arbeits- und Lohnbedingungen im Dienstleistungssektor unter einem ungeheuren Druck.
Für die indische Globalisierungskritikerin Vandana Shiva bringt das GATS-Abkommen und seine Fortschreibung ausschließlich negative Folgen für die Bevölkerung in den Ländern der 3. Welt und in den Industriestaaten. Denn in beiden Regionen, besonders allerdings in der 3. Welt, würden privatisierte Dienstleistungen für die Mehrheit der Menschen unbezahlbar, der durch GATS ermöglichte Arbeitskräfteexport in die Industrieländer würde ungleiche und ungerechte Lohn- und Arbeitsverhältnisse bringen, gewinnen würden nur die "global player":
Die Europäische Union versucht mit Indien darüber zu verhandeln, dass sie Fachleuten mit speziellen GATS-Visa die Einreise erlaubt, dass sie also die Mobilität dieser Leute ermöglicht. Aber das ist keine Mobilität, weil diese GATS-Visa eher eine moderne Form von Sklavenarbeit bedeuten, da gibt es keine freie Arbeitsplatzwahl. Firmen werden Arbeitskräfte zu niedrigen Kosten anstellen, um Arbeits- und Lohnverhältnisse im europäischen Teil der Welt zu unterlaufen und das wird dem Reformprozess, der ohnehin in Europa läuft, noch mehr Elend zufügen. Umgekehrt werden die europäischen Firmen in Indien die Privatisierung von Energie, Wasser, Gesundheit, Erziehung, Banken, Versicherungen usw. mit vorantreiben. Das alles wird als fairer Austausch präsentiert. Aber in Wirklichkeit ist es ein doppelter Gewinn – für die Unternehmensprofite. Für die Menschen ist es ein doppelter Verlust an fundamentaler ökonomischer Sicherheit, sowohl in Indien wie in Europa.