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Gauck am Schauplatz des deutschen Massakers
"Babi Jar ist ein einzigartiger Schreckensort"

Bundespräsident Joachim Gauck hat an die Opfer deutscher Kriegsverbrechen in der Schlucht von Babi Jar bei Kiew erinnert. Mit Beihilfe der Wehrmacht ermordeten Männer einer SS-Sondereinheit damals rund 34.000 Juden. "Sie alle fielen dem nationalsozialistischen Vernichtungswillen zum Opfer", sagte Gauck.

29.09.2016
    Bundespräsident Joachim Gauck in Babi Jar
    Bundespräsident Joachim Gauck in Babi Jar (dpa/picture-alliance/Wolfgang Kumm)
    Bei einer Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Massenhinrichtungen rief er am Donnerstag in der ukrainischen Hauptstadt dazu auf, die Erinnerung an die dort ermordeten Juden, Ukrainer, Russen und Polen wachzuhalten. "Babi Jar ist ein einzigartiger Schreckensort", betonte Gauck. Die Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges seien ein "Zivilisationsbruch". Sie offenbarten "den verbrecherischen Charakter des rasseideologischen Vernichtungskrieges im Osten Europas". Die deutsche Wehrmacht sei an diesen Verbrechen maßgeblich beteiligt gewesen.
    "Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungswillens"
    In der Schlucht von Babi Jar fand am 29. und 30. September 1941 die größte Massenexekution von Juden während des Eroberungs- und Vernichtungskrieges der Nationalsozialisten in der Sowjetunion statt. Angehörige eines SS-Sonderkommandos und zweier Polizeibataillone erschossen dort mehr als 33.700 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Nach dem Krieg wurde die Schlucht im Nordwesten der ukrainischen Hauptstadt eingeebnet.
    Gauck erinnerte daran, dass auch Zehntausende sowjetischer Kriegsgefangener, psychisch Kranker, Sinti und Roma und Angehöriger der ukrainischen Nationalbewegung in Babi Jar ermordet wurden. "Sie alle fielen dem nationalsozialistischen Vernichtungswillen zum Opfer", sagte der Bundespräsident laut Redetext. Später hätten die Täter versucht, die Erinnerung an die Verbrechen zu tilgen. Sowjetische Kriegsgefangene hätten die Leichname in Babi Jar ausgraben und verbrennen müssen.
    Gauck fordert gemeinsames Erinnern
    Gauck rief dazu auf, die Erinnerung an die deutschen Kriegsverbrechen wachzuhalten. "Wir haben gelernt und werden es nicht vergessen, dass es kein Nachdenken über die deutsche Schuld und die uns gemeinsame Geschichte geben kann, das sich diesen Blick erspart", unterstrich der Bundespräsident. Zudem müsse ein gemeinsames Erinnern der Täter und der Opfer möglich sein. "Wir, die wir verstehen wollen, wie es dazu kommen konnte, dass unsere Väter und Großväter zu Mördern oder zu Opfern wurden, sind heute aufeinander angewiesen", sagt Gauck an diesem tiefschwarzen Ort deutscher Geschichte. Und ergänzt: "Antworten auf unsere Fragen werden wir nur gemeinsam finden."
    Ein 1976 errichtetes Mahnmal in Babi Jar erinnert an die Kriegsopfer, erwähnt aber die ermordeten Juden mit keinem Wort. Erst 1991, wenige Monate nach dem Ende der Sowjetunion, ließ die jüdische Gemeinde in der Nähe ein Mahnmal in der Form einer Menora, des siebenarmigen Leuchters, aufstellen. Am Donnerstag wurde eine Vereinbarung zum Bau eines Ortes der Erinnerung an das Massaker unterzeichnet. Die Organisatoren streben die Eröffnung des Zentrums für 2021 an, dem 80. Jahrestag des Massakers.
    Babi Jar ging Auschwitz voraus
    Neben den von den Nationalsozialisten errichteten Vernichtungslagern müsse Babi Jar als Erinnerungsort einen festen Platz haben, forderte Gauck. "Wir verstehen Auschwitz als Symbol für das Töten in den Vernichtungslagern. Babi Jar steht für das, was dem industriellen Morden vorausging: das abertausendfache Töten durch Erschießen." Zum Blick in den Abgrund der deutschen Geschichte gehöre das Eingeständnis, dass auch die deutsche Wehrmacht an diesen Verbrechen maßgeblich beteiligt gewesen sei. "Viel zu lange hat es gedauert, bis sich diese Einsicht in Deutschland durchgesetzt hat", sagte Gauck.
    Gauck im Geiste der Versöhnung
    Seine Teilnahme an den Gedenkveranstaltungen in der Ukraine soll auch so etwas wie ein Schlussstein in einer ganzen Begegnungskette des Präsidenten in Ländern sein, in denen die Deutschen in der Nazizeit gewütet haben.
    Allein zwölf Reden Gaucks zum Gedenken an die Nazi-Opfer und den von den Deutschen angezettelten Zweiten Weltkrieg reihen sich in seiner Amtszeit aneinander. Zwischen 2012 und 2016 hat der Bundespräsident acht Auslandsreisen quasi in den Geist der Versöhnung gestellt. Und dabei gerade auch Orte besucht, die von deutschen Soldaten heimgesucht wurden, deren Opfer aber in Vergessenheit zu geraten drohten.
    (nch/fwa)