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Gauck schlägt eine Verehrung entgegen wie gewöhnlich nur Sportheroen

Gauck und Sport? Der ehemalige Chef der Stasi-Unterlagenbehörde und heutige Bundespräsidentschaftskandidat Joachim Gauck hat einige Verbindungen zum Sport - die nicht alle positiv sind.

Von Grit Hartmann | 27.06.2010
    "Wir schaffen ja auch den Fußballsport nicht ab, weil es immer wieder Spieler gibt, die Foul spielen. Ebenso wenig den Radsport oder die Leichtathletik, weil unehrliche Sportler dopen. Vielmehr erlassen wir Regeln und Regelwerke oder setzen Instanzen ein, um diesen Missbrauch des Sports zu stoppen. Keiner schafft ihn ab. Und so werden wir das auch mit der Wirtschaft und mit den Finanzmärkten machen. Wer ausgerechnet der Wirtschaft die Freiheit nehmen will, wird immer viel mehr verlieren, als er gewinnen könnte."
    Joachim Gauck am Dienstag im Deutschen Theater. "Freiheit, Verantwortung, Gemeinsinn" überschrieb er seine Grundsatzrede, und diese Reihenfolge hat der einstige Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde fraglos mit Bedacht gesetzt. Freiheit ist ihm, dem Ostdeutschen, so wichtig, dass er lieber vor ihrer Abschaffung warnt als vor der Verantwortungslosigkeit, die im Verzicht auf Fesseln liegen kann. Das gilt für den Wirtschaftszweig Sport - dem Mangel an Selbstreinigungskraft begegnet hierzulande kein Antidopinggesetz. Und das gilt für die Finanzbranche - dass die Politik auf deren Hybris angemessen reagiert hat, glaubt nun wirklich keiner.
    Verbale Ausflüge in den Sport können verräterisch sein, weil sie häufig vereinfachen, was sich komplexer verhält. Deshalb gehören sie zur politischen Routine. Was aber sagt es, wenn so viel sportiver Duktus im Politbetrieb ist wie derzeit beim rot-grünen Kandidaten für das höchste Staatsamt? Unterstützer aller Couleur sehen im Pastor aus Rostock den Nachfolger des "Meisters der Herzen" aus Gelsenkirchen, einen "Präsidenten der Herzen". Die FAZ adelt Gauck zum "bürgerlichen Helden"; ihm schlägt eine Verehrung entgegen wie gewöhnlich nur Sportheroen. Wie diese wird er mit Erwartungen überfrachtet. Grünen-Chefin Claudia Roth stellt die Wunschskala auf Empfang:
    "Er ist ein Brückenbauer zwischen Ost und West, er ist ein Brückenbauer zwischen den Generationen, übrigens auch zwischen Nord und Süd. Er hat extreme politische Erfahrung. Er kann mit großen Reden tatsächlich die Menschen erreichen. Er spricht mit dem Herzen. Er kann erreichen, dass Demokratie wieder Glanz bekommt, dass Freiheit und Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung wieder verbunden wird. Und er hat vor allem eines, und ich glaube, dafür gibt es eine ganz, ganz große Sehnsucht: Er ist extrem parteiisch, aber kein Parteipolitiker. Wir brauchen eine moralische, eine ethische Autorität und Instanz in unserem Land."
    Die Nähe des Polit-Marketings für Gauck zu den Idealen, für die üblicherweise der Sport eine Projektionsfläche abgibt, ist unübersehbar. Um Glaubwürdigkeit geht es, auch um Emotionen. Und ganz wie im Sport befeuern Legenden die Begeisterung. Gauck - ein DDR-Bürgerrechtler? Lies nach bei Jürgen Fuchs, einem wirklich Unbeugsamen, der 200 Stasi-Verhöre überstand und 1999 an Krebs starb: "Wie mutig war Gauck vor 89?", fragt Fuchs in seinem großen Roman "Magdalena". Die Antwort: Nicht allzu sehr. 1988 organisierte Gauck den Kirchentag in Rostock zu voller Zufriedenheit der SED; am Ende schätzte sie den Pastor als Vertreter ihrer "Kirche-im-Staat"-Politik. "Magdalena" indes handelt von der Stasi-Unterlagen-Behörde und verweist im Untertitel - "VEB Horch & Gauck" - auf Kontinuitäten. Fuchs unterstellt dem Bundesbeauftragten anhaltend unkeusche Nähe zum Staat, zu Autoritäten. Ihn störte, dass MfS-Mitarbeiter und Nomenklatura zahlreich in der Behörde untergekommen waren, darunter mindestens ein Stasi-Obrist, der sich beizeiten dem Verfassungsschutz angedient haben soll - mit Wissen über Lothar de Maiziére, den Vorsitzenden der Ost-CDU, dessen IM-Akte bis heute fehlt. Fuchs sah in dieser Einstellungspraxis einen Affront gegen die Opfer. Gauck sprach von einem "großzügigen Integrationsangebot".

    Eine späte Parallele fand der Vorgang in der direkten Verbindung zwischen Joachim Gauck und dem Sport. Der Deutsche Olympische Sportbund engagierte Gauck Anfang 2007 als Vorsitzenden seiner neuen Stasi-Kommission. Gauck führte sich mit einem Akt ein, der viele überraschte, aber den Interessen des Sportapparates diente: Den Eiskunstlauf-Erfolgstrainer Ingo Steuer resozialisierte er als einsichtigen jungen Mann, zur gleichen Zeit, als der von Sportaltkadern der DDR dankbar Geldspenden entgegen nahm. Der Vorgänger-Kommission galten Steuers Spitzeleien als so schwerwiegend, dass sie ihn für ungeeignet hielt, die Bundesrepublik zu repräsentieren. Das Gauck-Gremium war dann nicht mehr wahrnehmbar - obwohl es, wie der DOSB auf Anfrage mitteilt, neun Mal getagt hat.

    Gauck, der zweifellos große Verdienste um den Aufbau der Demokratie in Ostdeutschland hat, vermag diesen Teil der Realität rhetorisch zu überbrücken. Er weiß, was seine Kandidatur bedient:
    "Das ist die Sehnsucht, die dahintersteckt. Ich denke schon, die Leute wünschen sich eigentlich, an ihr Land glauben zu können, sich verorten zu können. Das ist mein Land. Ich will glaubwürdige Politiker, ich will glaubwürdige Institutionen. Das könnte einer sein, so denken die. Das ist ein doppeltes Signal, eins bezieht sich auf die Person, eins auf die von ihnen gewünschte Demokratie."
    Wie der Sport weckt Gauck Glaubenspotenziale. Hier an ein transparentes System, in dem klare Regeln gelten. Dort an ein höchstes Staatsamt, dem politisches Kalkül fremd sein darf. Beide Wünsche sind zu schön, um wahr zu sein.