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Gauweilers Klage gegen die EU-Verfassung

Der Bürger hat nichts mehr zu sagen. Europa diktiert das Gesetz. Dies glaubt jedenfalls der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler. Der erklärte Euro-Gegner will daher eine deutsche Volksabstimmung über den europäischen Verfassungsvertrag erzwingen. Das Bundesverfassungsgericht soll per einstweiliger Anordnung die Bundestagsabstimmung über den Verfassungsvertrag am 12. Mai stoppen. Und Karlsruhe soll eben jene Volksabstimmung anordnen.

    Nun ist Karlsruhe in Sachen Europa derzeit schon ganz gut beschäftigt. Denn dort wird bereits über den Europäischen Haftbefehl und dessen Verfassungsmäßigkeit verhandelt. Das hohe Gericht müsse prüfen, so der Vorsitzende Richter, ob Deutschland nicht bereits zu viel von seiner Staatlichkeit nach Europa transportiert habe. Ebenso wird in Karlsruhe bewertet, ob der Bundesgesetzgeber seine Möglichkeiten ausgeschöpft habe. Kurz, ob der deutsche Abgeordnete, die deutsche Regierung eigentlich noch Herr im eigenen Haus sind.

    Genau das treibt auch Gauweiler jetzt nach Karlsruhe. Gewiss, der Bayer ist ein notorischer Kritiker der europäischen Integration. Das entwertet allerdings noch kein einziges seiner Argumente. Dennoch ist seine Klage ein Widerspruch in sich. Denn der Verfassungsvertrag verspricht ja gerade jene Demokratiedefizite im Hause Europa endlich abzubauen, die Gauweiler angeblich ein Dorn im Auge sind.

    Er demonstriert auf sehr deutsche Weise, der verstorbene Franz Josef Strauss hätte gesagt: durch Prozesshanselei, was derzeit auch in Frankreich die Debatte über den Verfassungsvertrag vergiftet. Nämlich eine Gemisch aus allerlei Missverständnissen über Ziele und Inhalte des Verfassungsvertrags. Der macht nationale Verfassungen mitnichten drittrangig, sondern formuliert endlich eine Art Grundgesetz für alles, was europäisch, also gemeinsam unternommen wird,. Seit die Europäische Gemeinschaft von Rom über Maastricht bis Nizza ihre komplizierten Verträge von Diplomaten und Eurokraten unter Ausschluss der Öffentlichkeit basteln ließ, lag Europas Bürgern noch niemals ein derart klares Regelwerk vor, zudem in einem Konvent ausgehandelt von gewählten Parlamentariern und Politikern. Europa mangelte es bis zum Verfassungsvertrag an Transparenz, Effizienz, an demokratischen Regeln. Das könnte jetzt besser werden. Dass es bislang so schlecht lief, hat seine Gründe.

    Darum die erste Frage an Gauweilers Adresse: Wer treibt denn das beliebte und gefährliche Verwirrspiel, erst als nationale Regierung nach Brüssel zu reisen, dort Entscheidungen zu fällen – und dann zu Hause zu wehklagen, dass einem "Brüssel" mal wieder keine Wahl lasse? Richtig: das tun die Chefs mit Gusto, ob sie nun Gerhard Schröder, Jacques Chirac oder Tony Blair heißen.
    Zweite Frage an Gauweiler: Wer verbietet eigentlich deutschen Abgeordneten, etwa Gauweiler, in der Europapolitik der nationalen Regierung bei solchem Doppelspiel endlich auf die Finger zu klopfen? Das verbietet nicht Brüssel noch irgendein EU-Vertrag. Nein, das verhindern allein ein Mangel an persönlicher Courage und die Mängel in der parlamentarischen Hausarbeit. In der Karlsruher Anhörung zum Europäischen Haftbefehl kam es denn auch prompt zum Offenbarungseid der Parlamentarier, von Grün über Rot bis zu Schwarz. Haben wir nicht gewusst, ging viel zu schnell, hat uns keiner gesagt. So klang das in Karlsruhe, und darüber, ja dagegen hätte Gauweiler längst klagen können.

    So aber agitiert der Abgeordnete gegen die Lösung statt gegen das Problem, gegen den Verfassungsvertrag statt gegen die organisierte Verantwortungslosigkeit der alten EU-Verträge. Gauweiler will kein besseres Europa. Er wünscht sich gar kein Europa.