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Gazelle mit Übergewicht

Browser.- Auf der Usenix-Konferenz in Montreal hat Microsoft sein Browser-Projekt Gazelle vorgestellt. Gerüchte kursieren, nach denen es sich dabei um Microsofts Antwort auf Googles Chrome-OS handeln soll: also um einen Browser mit integriertem Betriebssystem.

Von Achim Killer |
    In ihrem Gazelle-Projekt baut die Forschungsabteilung von Microsoft Funktionen in den Browser ein, wie man sie von Betriebssystemen her kennt. Und das ist auch nötig, sagt Ray Valdez vom Beratungsunternehmen Gartner. Denn längst schon müssen Browser mehr können, als bloß in HTML geschriebene Web-Seiten anzuzeigen:

    "Verglichen mit früher, erfüllen moderne Browser sehr vielfältige Aufgaben: Sie verarbeiten intern Programme. Die holen sie sich von Web-Sites. Und diese Programme sind in dynamischen Sprachen wie Java-Script geschrieben. Deshalb wird der Browser tatsächlich intern zu einem Betriebssystem."

    Und die vornehmste Aufgabe nun, die ein Betriebssystem zu bewältigen hat, ist der Programmabsturz: Wenn bei einem Stück Software, das auf dem Rechner läuft, ein Fehler auftritt, dann soll das tunlichst nicht das ganze System in die Knie zwingen. Deshalb isoliert das Betriebssystem einzelne Teile gegeneinander, während der Prozessor sie verarbeitet. Auch heutige Browser können das schon, Googles Chrome etwa oder der jüngste Internet-Explorer. Jede Web-Anwendung bekommt einen eigenen sogenannten Prozess. Das ist das, was zu einem bestimmten Zeitpunkt vom Prozessor verarbeitet wird, bevor er sich dem nächsten Prozess zuwendet. Mit Gazelle nun geht Microsoft einen Schritt weiter und weist einer Web-Anwendung unter Umständen sogar mehrere Prozesse zu, dann beispielsweise, wenn sie von verschiedenen Domains stammt. Die Software ist so sehr kleinteilig isoliert. Gazelle ist eine Art ausfallsicherer Browser, wegen der hochentwickelten Betriebssystemfunktionalität, über die er verfügt. Eines allerdings ist Gazelle nicht: ein Browser, der ohne Betriebssystem läuft. Microsoft hat ihn auf Vista entwickelt. Googles Chrome-OS-Projekt verfolgt ein anderes Ziel: Mit Hilfe von ein paar zusätzlichen Funktionen soll Chrome auf ein Betriebssystem verzichten können. Sheri McLeish von Forrester Research beschreibt die Vorteile dieses Ansatzes so:

    "Werden Browser und Betriebssystem eng integriert, dann erhöht dies für den Anwender Surf-Komfort und -Geschwindigkeit. Und die Notwendigkeit, dies zu tun, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass immer mehr Anwendungsprogramme im Web laufen. Die verlangen nach mehr Rechenleistung."

    Google will ein schlankes und schnelles System entwickeln, indem es ein paar wenige Betriebssystemfunktionen quasi von außen an den Browser anklebt, Microsoft ein sicheres, indem es den Browser intern zu einem veritablen Betriebssystem ausbaut. Schnell sind denn auch die Prototypen, die Microsoft bislang von Gazelle gebaut hat, wirklich nicht. Im Gegenteil: Der Browser muss sehr viele Software-Prozesse koordinieren. Und das verschlingt Rechenleistung, Rechenleistung, die für die eigentlichen Web-Anwendungen fehlt. Der Name Gazelle ist insoweit irreführend: Für eine Gazelle ist das, was Microsoft entwickelt, viel zu fett. Sollte daraus je ein Produkt werden, so auf keinen Fall eines für Netbooks mit schwachen Prozessoren. Microsoft sei derzeit von Google getrieben, sagt Ray Valdez. Aber der Konzern ist nicht bereit, sich überall hin treiben zu lassen: Microsoft wird nicht völlig ins Web gehen. Die Konzernstrategie sieht zwar vor, dass Software im Internet verarbeitet wird, aber auch, dass noch genügend auf dem PC verbleibt. Mit dabei vielleicht auch ein fetter Browser Namens Gazelle:

    "Es handelt sich um ein großes Unternehmen mit einem gut eingeführten Produkt-Portfolio. Es existiert ein fester Kunden- und Anwenderkreis sowie bewährte Vertriebswege. In einem solchen Umfeld ist es schwierig, eine Technologie oder eine Idee einzuführen, die alles durcheinanderbringt."