Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Gebäude auf der Flucht

Es gibt viele Stararchitekten, doch kaum einer ist so beliebt wie Frank Gehry. Jahr für Jahr machen sich Pilgerscharen auf den Weg nach Bilbao, um das Guggenheim-Museum zu sehen. Die Kunst scheint dabei fast nebensächlich, angesichts einer spektakulären Architektur, die einer maroden Industriestadt wieder Hoffnung geben konnte. Heute wird Frank Gehry 80 Jahre alt. Kaum zu glauben, wenn man an die vielen furchtlosen, skulpturalen Gebäude denkt, an die vielen Museen, Kulturbauten und Wohnhäuser, die in den letzten Jahren auf der ganzen Welt entstanden sind.

Von Adolf Stock | 28.02.2009
    Ende der 70er-Jahre zerlegte der Architekt Frank Gehry sein Einfamilienhaus in Santa Monica und fügte es mit den billigsten Materialien wie Maschendraht, Wellblech und Rigips wieder völlig neu zusammen. Dekonstruktivismus heißt seitdem die Methode, mit der Frank Gehry der Bautradition den Rücken kehrte.

    "Der dekonstruktive Architekt behandelt die reinen Formen der architektonischen Tradition wie ein Psychiater seine Patienten - er stellt die Symptome einer verdrängten Unreinheit fest. Diese Unreinheit wird durch eine Kombination von sanfter Schmeichelei und gewalttätiger Folter an die Oberfläche geholt: Die Form wird verhört", "

    beschreibt der amerikanische Architekturtheoretiker Mark Wigley den Dekonstruktivismus. Frank Gehry hatte den französischen Philosophen Jaques Derrida gelesen, und Künstlerfreunde wie Richard Serra oder Claes Oldenburg haben ihn damals bestärkt, neue architektonische Wege zu gehen.

    Frank Gehry wurde am 28. Februar 1929 in Toronto geboren. Sein eigentlicher Name ist Ephraim Goldberg. Er ist Sohn polnischer Einwanderer. Das Misstrauen gegen allzu festgefügte Formen und Regeln leitete er selbst von seiner jüdischen Herkunft ab. Studiert hat er während der 40er-Jahre in Amerika, in Cambridge und Kalifornien. 1962 gründete er in Los Angeles sein eigenes Architekturbüro, doch erst in den 80er-Jahren kam der weltweite Erfolg.

    " "Er ist gegenwärtig der führende Architekt in der Welt."

    Ein grandioses Lob von seinem Kollegen Philip Johnson, der 1988 im New Yorker Museum of Modern Art mit einer Ausstellung dem Dekonstruktivismus zum Durchbruch verhalf.

    Gehrys größter Geniestreich steht in Bilbao. Die Dependance des New Yorker Guggenheim-Museums von 1997 ragt mit seinen Flügeln und Armen weit in das Gefüge der Stadt und gibt ihr ein neues Gesicht. Ein Bau, der die nordspanische Industriestadt nach dem wirtschaftlichen Ruin aus der Agonie reißen konnte. Seitdem wird der Bilbao-Effekt weltweit bewundert und kopiert.

    In seinem Büro bastelt Frank Gehry Modelle aus Pappkarton, stets auf der Suche nach neuen spektakulären Formen. Es ist ein nie endender Prozess. Auch wenn die Auftraggeber stöhnen, Gehry stellt sich und seine Entwürfe unaufhörlich infrage, selbst dann noch, wenn die Bauarbeiter längst auf der Baustelle stehen. Seine Gebäude sind so lange auf der Flucht, bis sie am Ende zu einem labilen, ästhetisch reizvollen Gleichgewicht finden. Die Ergebnisse sind weltweit zu sehen, biomorphe Gebilde, wie das Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein, die zwei tanzenden Wohntürme am Moldauufer in Prag, eine Bank am Pariser Platz in Berlin oder die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles, die 2003 eröffnet wurde.

    "Die Zahl der Auffahrunfälle hier an der Ecke hat enorm zugenommen. Die Leute, die vorbeikommen, halten an und fragen sich, was um Himmels Willen ist das? Seit ein paar Wochen kommen ganze Hochzeitsgesellschaften aus der Kathedrale, die einen Block weiter ist, hierher und machen ihre Hochzeitsfotos vor dem Eingang der Walt-Disney-Konzerthalle."

    Mit soviel Interesse hatte Deborah Borda, Präsidentin des Philharmonie-Verbandes, gar nicht gerechnet. Lillian Disney, die Witwe des großen Comic Zeichners, gab für den Neubau 50 Millionen Dollar, doch zunächst konnte sie mit Gehrys Entwurf nicht viel anfangen.

    "Für mich ist es immer wie eine Blume, eine geöffnete Rose mit Blütenblättern. Als Lillian es nicht verstand, habe ich ihr eine Schüssel mit weißen Rosen gebracht und gesagt: So wird es aussehen, es ist eine Hommage in Gedanken und Gefühlen."

    Frank Gehry erfindet völlig neue Bauten. Dabei entspricht die skulpturale Hülle nicht den gestalteten Innenräumen. Es entstehen Restflächen, die er für die notwendige Infrastruktur nutzt - von der Heizungsanlage über die Teeküche bis hin zum Abstellraum. Ohne die Computer-Technologie aus dem Flugzeugbau wären Gehrys Bauten gar nicht denkbar. "Alchemist der dritten Dimension" hat man ihn genannt, aber vielleicht ist Gehry ja doch nur ein Romantiker, ein zeitgenössischer Träumer, der uns phantastische Häuser schenkt.