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Gebauer: Bereitschaft zum Doping "unbegrenzt groß"

Viele Sportler nehmen einen frühen Tod oder Krankheiten durch Doping in Kauf, um in ihrer Jugend Höchstleistungen zu vollbringen, sagt der Sportphilosoph Gunter Gebauer von der FU Berlin. Anders als diese wollten Politik und Verbände das Doping eindämmen.

Gunter Gebauer im Gespräch mit Beatrix Novy | 05.08.2013
    Beatrix Novy: Sport ist gesund, ist Fair Play, gehört überhaupt ins Reich der Freiheit. Dagegen spricht, dass Sport tief vom Leistungsthema bestimmt ist, schon die Teilnehmer eines harmlosen Volkslaufs decken sich mit Nahrungsergänzungs- und Schmerzmitteln ein. Und schon sind wir beim Doping. Die Dopingdiskussion kommt einem ja immer vor wie das beständige Hinterherhinken des sportlichen Ideals der Drogenfreiheit hinter der Drogenrealität. Ende der letzten Woche kam unter einiger Aufregung eine Studie des Innenministeriums erstmals zur Sprache, die sich mit Studien aus den 70er-Jahren wiederum beschäftigt: Untersuchungsreihen zum Doping. Die ist noch nicht publiziert, aber so viel ist offenkundig, dass Dopingforschung ausdrücklich betrieben wurde. Und nun meine Frage an den Sportphilosophen Gunter Gebauer: Da liegt der Verdacht ja nahe: mit dem Ziel der praktischen Anwendung.

    Gunter Gebauer: Man wird ja wahrscheinlich kaum größere Studien über Doping in Auftrag geben, wenn man nicht im Hinterkopf eine mögliche Anwendung hat, zumal in einer Zeit, in der die Bundesrepublik in eine offene Konfrontation sportlich gesehen mit der DDR geraten ist. Und es zeichnete sich ab, zu jener Zeit, als die ersten Studien in Auftrag gegeben wurden, dass die DDR deutlich besser positioniert war als die Bundesrepublik.

    Novy: Das heißt, der Verdacht ist nicht weit hergeholt, angesichts des Systemwettstreits, in dem damals die Bundesrepublik stand?

    Gebauer: Nein. Es ist eher so, dass man sagen kann, es ist enttäuschend, dass sich die Bundesrepublik überhaupt auf diesen Systemwettstreit eingelassen hat. Es ist begreiflich, weil 1972 die Bundesrepublik zwar die Olympischen Spiele zugesprochen erhielt für München, zur gleichen Zeit aber erstmalig eine getrennte Olympiamannschaft oder zwei getrennte Olympiamannschaften antraten. Vorher gab es eine gemeinsame Olympiamannschaft und in München hat die DDR das Recht erhalten, eine eigene Mannschaft zu schicken, und die Angst auf westdeutscher Seite war ungeheuer groß, dass diese Mannschaft besser sein könnte.

    Novy: Warum war diese Angst so ungeheuer groß, dass man sich auf das Niveau des Feindes begeben musste?

    Gebauer: Man braucht ja nur mal zu schauen, wie die Verhältnisse aussahen. Die Bundesrepublik konnte mit Recht von sich behaupten, dass sie viel bessere Lebensverhältnisse, viel mehr Wohlstand geschaffen hatte als die DDR. Die DDR kam mühsam aus den Trümmern hoch, das hat vielerlei Gründe gehabt, aber sie konnte bestechen durch großartige Erfolge im Sport. Und das wollte der westdeutsche Sport, der ja nun auch viel mehr Menschen vertrat, über 50 Millionen, zwischen 50 und 60 Millionen Einwohner gegenüber 17 Millionen in der DDR, mit einem hoch entwickelten Sportsystem, mit ganz vielen Praktikern, mit ganz vielen Leuten, die Sport trieben damals – das war auch die Zeit eines großen Sport-Booms -, da wollte man es nicht auf sich sitzen lassen, dass man sportlich in der Spitzenleistung deutlich hinter der DDR zurückblieb.

    Novy: Nun gut, das ist historisch, das sind andere Verhältnisse. Was kann diese Studie, was jetzt darüber rauskommen wird, uns über 20 Jahre nach dem Ende des Ostblocks sagen?

    Gebauer: Zunächst einmal kann man feststellen, dass in Westdeutschland eine Reihe von Sportmedizinern dabei war, frefelhafterweise, gegen die Ethik des Sports, gegen ihren eigenen Berufsstand, gegen das Ethos des Mediziners dabei war, Manipulation am Menschen vorzunehmen. Und das ist auch deswegen so bedrückend, weil ja die deutsche Medizin, wenn wir jetzt zurückgehen ins Dritte Reich – wir können auch zurückgehen in die Zeit des Ersten Weltkrieges -, sozusagen führend, muss man bittererweise sagen, in der Menschenmanipulation war. Das fing schon an in der Zeit des Ersten Weltkrieges, dass mit Medikamenten versucht wurde, die Leistung von deutschen Fliegern und von deutschen Bodentruppen und so weiter zu steigern, und diese ganzen Forschungsergebnisse sind auch sorgfältig gesammelt worden und in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ausgewertet worden und sie sind auch weitertransportiert worden in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

    Novy: Es gibt einen engen Zusammenhang von Sport und Gewalt, unter anderem Gewalt gegen sich selbst, was mit dieser Selbstoptimierungstendenz in der Gesellschaft überhaupt ja auch zu tun hat. Nach dem, was Sie gerade gesagt haben, würde ich aber glauben, dass Sie doch einen zivilen Fortschrittsprozess sehen?

    Gebauer: Nicht was die Gewalt der Doper gegen ihren eigenen Körper angeht. Da ist die Bereitschaft, sich selbst zu manipulieren und aus sich Dinge herauszuholen, von denen man nicht mal zu träumen wagt, unbegrenzt groß. Gewalt gegen sich selbst, die sich darin äußert, dass man bereit ist, auch früher zu sterben, dass man sich sagt, na gut, mit 40 bin ich eh tot, die ist sehr groß bei den Sportlern. Sie müssen mal mit den Sportlern im Vertrauen reden und Sie hören dann solche Sprüche, dass es vollkommen egal ist, was später mit ihnen ist, ob sie Invaliden sind, ob sie tot sind, ob sie im Rollstuhl sitzen und so weiter, Hauptsache sie sind im Augenblick der Jugend ihrer Höchstleistung in der Lage, so etwas wie eine Weltspitzenleistung zu erzielen. Da hat sich nichts verändert. Es ist eher die Umgebung, die hier Bremsen einbaut, die sagt, das wollen wir nicht, aber das ist auch ambivalent. Es gibt in der Umgebung, siehe Politik, siehe Hochleistungssysteme, die Sportverbände, natürlich auch die Medien, die von den Sportlern Spitzenleistung erwarten und enttäuscht sind, wenn jemand zum Beispiel bei den Schwimmweltmeisterschaften nur vierter wird, und dann titelt die Zeitung, die jetzt nun gerade die Dopingvorwürfe erhebt, enttäuscht mit einer Riesenüberschrift "Weltmeister über 90 Meter".

    Novy: Das war Gunter Gebauer, Sportphilosoph in Berlin.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.