Oskar Lafontaine: "Als ehemaliger Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei Deutschlands stehe ich heute vor Euch und sage, die Linke steht in der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung."
Kurt Beck: "Ich sehe keinen Schatten der CDU auf uns. Wenn Schatten auf Dich fällt, musst Du immer zuerst nach dem Stand der Sonne gucken. Vielleicht ist es ja nur ein Zwerg."
Peter Ramsauer: "Das ist Ausdruck vor allem der Hilflosigkeit der SPD und der Angst, zwischen der Linken auf der einen Seite und der Union auf der anderen Seite programmatisch, inhaltlich zerrieben zu werden."
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die SPD, ist in der Zange. Der Druck kommt von rechts wie von links. Eingekeilt sieht sie CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer. Die Genossen selbst versuchen sich zumindest verbal freizustrampeln. Doch die Bilder, die SPD-Chef Kurt Beck bemüht, erscheinen vielen als nicht stimmig. Zweifellos: Die Sozialdemokraten haben einen Haufen Probleme.
Die Umfragewerte sind im Keller, die Mitgliederzahl schrumpft, und die neue Linke macht den alten Genossen Ärger, allen voran deren konvertierter Vorsitzender Oskar Lafontaine. Der Saarländer, wie ihn manche Sozialdemokraten nur noch nennen, lässt an seinen ehemaligen Parteifreunden kein gutes Haar. Attacke heißt die Methode seines persönlichen Feldzuges gegen die SPD. Zu all dem kommt noch der Dauerstress mit dem Koalitionspartner Union hinzu, der dem Ansehen der Sozialdemokraten und ihrer Glaubwürdigkeit schadet. Der Konflikt kulminierte vergangene Woche nach den lautstarken, aber für die SPD unergiebigen Verhandlungen zum Thema Mindestlohn im Koalitionsausschuss. Die anschließenden Reaktionen spiegeln die Zerrissenheit der Großen Koalition wider. CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder:
"Also die Große Koalition zeigt, sie kann Probleme lösen, so dass wir sagen können, ein guter Tag für die Menschen in unserem Land."
Die Union ist gegen den gesetzlichen Mindestlohn. Daher sind die Christdemokraten mit dem wolkigen Kompromiss , der Einigung auf kleinstem Nenner, zufrieden. Die Sozialdemokraten hingegen waren erzürnt. Die Genossen wollen in der Arbeitsmarktpolitik mit sozialer Gerechtigkeit punkten. Doch noch ist in diesem Kampf nichts erreicht. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering:
"Ich habe nicht das Gefühl, dass man wirklich das Problem lösen will, sondern dass man es möglichst geräuschlos aus dem Verkehr ziehen will."
Der Vorsitzende der FDP, Guido Westerwelle, meldet sich gern und zu vielem zu Wort. Seine Zustandsbeschreibung der schwarz-roten Koalition, die für beide Seiten negativ ausfällt, klingt in oppositioneller Zuspitzung so:
"Wir haben eine Regierung, die nichts löst, die aussitzt, die nicht mehr miteinander kann, in Wahrheit auch gar nicht mehr miteinander will. Diese Regierung hält nur noch eine einzige Sache zusammen, und das ist die Angst der Regierungsparteien vor dem Wähler."
Ein baldiges Ende der Koalition sieht selbst der forsche Liberale nicht, obwohl er das Wort Neuwahlen gern in den Mund nimmt. Doch rein rechnerisch reicht es zur Zeit nicht für ein schwarz-gelbes Bündnis. Und wer sich wie die SPD bei Umfragewerten von knapp 30 Prozent und darunter eingepegelt hat, wird nicht so schnell den Kram hinschmeißen. Nach Westerwelles Ansicht hat der Rosenkrieg in der Vernunftbeziehung zwischen Union und SPD schon begonnen. Davon will SPD-Generalsekretär Hubertus Heil jedoch nicht sprechen. Er ist davon überzeugt, dass die CDU taktiert.
"Bei uns ist der Eindruck gewachsen, dass es großen Teilen der Union beim Thema Existenz sichernde Löhne, beim Thema Mindestlöhne, nicht um Überzeugung, sondern um taktische Fragen ging. Wie sieht man möglichst gut aus, wie lässt man die Luft aus dem Thema? Das ist ein Unterschied zu uns. Für uns ist die Frage Existenz sichernde Löhne eine tiefe politische Überzeugung, wenn Sie so wollen eine Herzensangelegenheit."
Mit diesem Thema wollen die Sozialdemokraten ihre verschreckte Klientel, Facharbeiter, Arbeiter, Arbeitslose, und die Gewerkschaften wieder für sich gewinnen, sie überzeugen, dass die SPD nach wie vor für Arbeitnehmer kämpft und das Feld nicht den neuen Linken überlässt. Die hatten den Mindestlohn schon im Bundestagswahlkampf 2005 auf ihre Fahnen geschrieben und sehen sich damit als die wahren Erben der Arbeiterbewegung. Den SPD-Genossen sind jedoch in der Großen Koalition die Hände gebunden. In vielen Fällen haben sie als der kleinere Partner mehr Kompromissbereitschaft zeigen müssen als ihre Kollegen von der Union. Hubertus Heil:
"Da gibt es Bremsklötze, und da gibt immer wieder welche, die in der CDU-Führung sagen, ja möglicherweise vernünftig, aber das kriegen wir bei uns nicht durchgesetzt. Ich will daran erinnern, dass die SPD-Führung in der Lage ist, war, es bewiesen hat und sein wird, zu Verabredungen und auch zu Kompromissen, die manchmal für uns nicht ganz leicht sind, handlungsfähig auch Durchsetzung zu garantieren. Wir erwarten das auch vom Koalitionspartner, wenn man miteinander vorankommen will."
Der Zwang zur Kompromissbereitschaft hat dazu geführt, dass die Profile der Partner nicht mehr deutlich erkennbar sind. Während die SPD in der Großen Koalition Federn lassen musste, hat es der Union, zumindest was die Umfragewerte angeht, nicht geschadet. Ihr marktradikales Wahlprogramm von 2005 haben die Christdemokraten hinter sich gelassen. Sie geben sich in der Familien- wie in der Klimapolitik einen modernen Anstrich und wollen vor allem Frauen ansprechen. Der CDU-Wirtschaftsflügel warnt bereits vor dieser Entwicklung und spricht schon von einer Sozialdemokratisierung der Union. Doch das weist CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla entrüstet zurück. Er sieht die Dinge ganz anders.
"Ich habe den Eindruck, dass die SPD christdemokratisiert und nicht die CDU sozialdemokratisiert. Ob das jetzt die Unternehmenssteuerreform ist, ob das die Rente mit 67 ist, ob das die Haushaltsentwicklung ist, ob das jetzt die kommende Erbschaftssteuerreform ist, das sind doch Kerngedanken der Christlich Demokratischen Union. Wir bestimmen wesentliche Eckpfeiler der Regierungspolitik in Berlin, und ich glaube, dass sich das mittlerweile auch in der Bevölkerung durchgesetzt hat, und manche Vorbehalte, die es am Anfang in unserer Partei gegeben hat, sind mittlerweile behoben."
Behobene Vorbehalte in der eigenen Partei, davon kann in der SPD keine Rede sein. Seit Beginn der Großen Koalition haben die Sozialdemokraten knapp 40.000 Mitglieder verloren, bei der CDU sind es rund 25.000. SPD-ler finden sich in der derzeitigen Politik ihrer Partei nicht wieder. Axel Theißen aus Eddelak im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein ist es auch so ergangen. Der damalige Vorsitzende des SPD-Ortsvereins ist Ende vergangenen Jahres mit seiner gesamten Genossenschaft ausgetreten. Nun sind sie alle Mitglieder einer neu gegründeten Wählergemeinschaft. Axel Theißen spricht stellvertretend für viele.
"Bei der SPD war der soziale Gedanke der Grundsatzgedanke der SPD. Ich bin Arbeiter, und das war mein Beweggrund. Diesen Gedanken habe ich auch noch, den haben wir eigentlich alle, nur wir werden nicht mehr vertreten in der SPD."
Die Sozialstaatsreformen gehen zu Lasten der SPD, erklärt der Hamburger Parteienforscher Elmar Wiesendahl. Einschnitte für die Arbeitnehmer, so der Politikprofessor an der Führungsakademie der Bundeswehr, werden von den Wählern gnadenlos abgestraft.
"Die Sozialdemokratie hat ein Riesenproblem, ihre alte Stammwählerschaft zu mobilisieren und gleichzeitig das Kleinbürgertum hinter sich zu scharen. Hauptpunkt ist, dass die Eingriffe, die die Politik macht, einseitig zu Ungunsten dieser Wahlklientel durchgesetzt werden, während andere Teile der Wählerschaft durchaus besser dastehen. Und dieses Ungerechtigkeitsempfinden richtet sich massiv gegen die Sozialdemokratie."
Für politische Gegner wie die Linke, in der unter anderem enttäuschte Sozialdemokraten und Gewerkschafter ihr neues Zuhause gefunden haben, ist dieser Zustand hochwillkommen. Daraus will das neu gegründete Bündnis aus Linkspartei und WASG Kapital schlagen. Ihr Vorsitzender Oskar Lafontaine nützt jede Gelegenheit, um die aus seiner Sicht arbeitnehmerfeindliche Politik der Sozialdemokraten lautstark vorzuführen.
"Was im vorletzten Jahrhundert die Regel war, nämlich Altersarmut, haben die Reformchaoten der letzten Jahre jetzt für Deutschland wieder vorprogrammiert. Und deshalb braucht es eine Linke, die das wieder verändert, die zum Kampf antritt und sagt, wir kämpfen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer."
Oskar Lafontaine verfolgt das Ziel, die ehemaligen SPD-Parteifreunde zu Korrekturen zu zwingen, wie er sagt. Trotz seiner herben Kritik hat er den Sozialdemokraten nach dem Gründungsparteitag der Linken ganz kess eine Koalition angeboten. Wenn die SPD bereit sei, den Mindestlohn durchzusetzen, Hartz IV zurückzunehmen, die Rentenreform rückgängig zu machen und die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen, so Lafontaine in einem "Spiegel"-Interview, könnte Kurt Beck morgen Kanzler sein. Denn nach dem Bundestagswahlergebnis von 2005 kommen Sozialdemokraten, Grüne und Linke zusammen auf 51 Prozent. In reinen Zahlen ausgedrückt haben diese drei Parteien insgesamt 40 Abgeordnete mehr im Bundestag als Union und FDP.
Doch auf solche Rechenspielchen will sich die SPD gar nicht einlassen. Mit Empörung hat sie das Angebot zurückgewiesen. Mit dieser Gruppierung sei keine seriöse Bundespolitik zu machen, erklärt SPD-Chef Kurt Beck. Die SPD werde sich in keinen Schraubstock zwischen Union und Linke pressen lassen. "Wir sind das Original", sagt Beck mit Blick auf die neue Linke. Der Mainzer Ministerpräsident schlägt zurück: Führende Vertreter der Linken macht er verantwortlich für das DDR-Unrecht an Mauer und Stacheldraht.
"Dort sitzen Leute an maßgeblicher Stelle, die das Gebot der Freiheit mit Mauer und Stacheldraht, mit Schießbefehl und Ausschnüffeln von Menschen, und zwar Deutschen, ihren Landsleuten, beantwortet haben."
SPD-Fraktionschef Peter Struck zielt nicht auf die Vergangenheit der Linken ab, wenn er mit ihr ins Gericht geht. Sein Ziel ist: Er will die Partei im Parlament entlarven.
"Wir dürfen sie nicht ignorieren, wir müssen sie attackieren, auch hier im Deutschen Bundestag. Wir müssen klarmachen, dass die politischen Vorstellungen der Linken nicht realisierbar sind, allein aus finanziellen Gründen, dass eine Partei, die verspricht, im Himmel ist Jahrmarkt, nun wirklich keine reale Politik im Deutschen Bundestag umsetzen kann. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass die Linke in Fragen der Außenpolitik unser Land in eine außenpolitische Isolierung führen würde, die auch schwere negative Auswirkungen auf Wirtschaftsentwicklung und dergleichen hätte."
In der Union witzeln manche bereits, dass es Christdemokraten gebe, die jeden Tag eine Kerze für Oskar Lafontaine aufstellen und sich wünschen, dass er möglichst lange an der Spitze der Linken bleibe. Denn er sei der Garant dafür, dass kein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene zustande komme.
Nichtsdestotrotz macht sich der Koalitionspartner Union inzwischen Sorgen um die SPD. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla mahnte, es werde Zeit, dass die Nervosität bei den Sozialdemokraten angesichts der schlechten Umfragewerte und der Linken wieder abnehme. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Norbert Röttgen, meint, die SPD müsse ihre Haltung zur Linken unbedingt ändern.
"Ich glaube, dass die SPD hier einen Fehler macht, ängstlich und reaktiv zu sein gegenüber der Linken, anstatt selbstbewusst und eigenständig Politik zu verfolgen. Aber diese Grundfrage muss die SPD dann selber entscheiden, da kann die Union nur ganz begrenzt helfen. Ich glaube, dass man anständig und fair mit dem Koalitionspartner umgehen muss. Aber die eigenen parteipolitischen Probleme, die muss man schon selber lösen."
Doch das fällt der SPD in ihrer eingekeilten Lage schwer. Sie muss wieder erkennbarer werden, heißt es. Aber wie? Die Konkurrenz mit Oskar Lafontaine an der Spitze besetzt die ganz linken Positionen, und die Union robbt von rechts mehr in die Mitte. Die SPD leidet unter Richtungs-, Vertrauens-, Wähler- und auch Mitgliederschwund. Inzwischen ist es schon so, dass sich Generalsekretär Ronald Pofalla damit brüstet, die CDU zur mitgliederstärksten Partei Deutschlands zu machen.
Die Sozialdemokraten hatten Ende Mai rund 551.000 Mitglieder, die CDU kam auf 546.000. 1998, als Gerhard Schröder mit Rot-Grün in die Regierung zog, hatte die SPD noch 755.000 Mitglieder. Vor allem die Agenda 2010 hat den Genossen schwer zu schaffen gemacht. Mit dieser Politik hat die SPD Wähler wie Mitglieder verloren. Damit kämpfe die Partei auch heute noch, räumt SPD-Chef Kurt Beck ein. Auf seinem Wunschzettel für das Jahr 2007 stand: viele neue Mitglieder. Doch derzeit ist Beck schon froh, wenn es sich einige Abtrünnige wieder anders überlegen.
"Es kommen manche auch wieder zurück oder sind zurückgekommen. Aber ich will deutlich machen, wir werden keinen Weg des Populismus gehen, denn das, was wir gemacht haben, war notwendig. Und es wird sicher auf der anderen Seite darum gehen, immer aufs Neue zu versuchen, das zu erklären und die Zusammenhänge deutlich zu machen und auch die Alternativen, wie diese Republik aussähe, hätte es bei der letzten Bundestagswahl eine Mehrheit gegeben zwischen Union und FDP."
Der SPD-Chef selbst trägt auch bei zu den Leiden seiner Partei. Der Mann aus Rheinland-Pfalz sei keine schillernde Galionsfigur, meinen viele Genossen. Er wehre die Angriffe von links oder rechts nicht mit Bravour ab, wird innerhalb und außerhalb der SPD bemängelt. Bildlich ausgedrückt: Kurt Beck rackert, aber er glänzt nicht.
Für Mainz sei er zwar der Richtige, doch für Berlin? Kritiker meinen, dass sei eine Nummer zu groß für ihn. In seinem Bemühen, sich gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren außenpolitischen Erfolgen in Szene zu setzen, ist Kurt Beck mehrfach gescheitert. Zuletzt geschah dies nach dem Ende des G8-Gipfels, als alle Welt die Kanzlerin lobte, während der SPD-Chef in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über den Neoliberalismus der Union wütete. Das empfanden selbst einige Genossen zu diesem Zeitpunkt als unpassend. Und nicht nur die. Volker Kauder, Vorsitzender der Unionsfraktion:
"Ich habe den Eindruck, dass er versucht hat nach den großen Erfolgen der Bundesregierung, der er ja nicht angehört, etwas Eigenes für sich zu machen. Der Schuss ist nach hinten losgegangen."
Auch von der SPD-Basis hat Kurt Beck mit diesem Schachzug niemanden richtig begeistern können. Ein SPD-Mitglied äußert:
"Ich will meinen Chef nicht kritisieren, aber manchmal ist er nicht ganz so klug, sagen wir es mal so."
Manche Sozialdemokraten an der Basis wie an der Spitze vermissen bei dem SPD-Chef das Einfühlungsvermögen, andere das kraftvolle Eintreten für die traditionellen sozialdemokratischen Werte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
"Er muss energischer noch auftreten, er muss noch energischer die Markenzeichen der Sozialdemokratie in den Vordergrund bringen, insbesondere soziale Gerechtigkeit."
Wie schwer sich Kurt Beck mit seinen Auftritten tut, ist bei der inzwischen legendären Spargelfahrt des Seeheimer Kreises, des rechten Flügels in der SPD, deutlich geworden. Im Mai schippern die Seeheimer wie jedes Jahr mit rund 500 Genossen an Bord über Berlins Gewässer. Auf dem Schiff hält Beck eine kurze Ansprache mit seinen typischen Bandwurmsätzen. Antworten auf drängende Frage "Wie kommen wir aus dem anhaltenden Umfragetief heraus?" gibt er nicht. Seine Rede endet mit der Durchhalteparole.
"Und liebe Genossinnen und Genossen: Alle, die meinen, dass man unsereinen wie einen Spargel irgendwann köpfen könnte, die irren."
Dass es auch anders gehen kann, zeigt an diesem Abend der Vizekanzler Franz Müntefering. Er stiehlt Kurt Beck die Schau und bringt die Genossen in Schwung.
"Wenn man weiß, dass es eine richtige Politik gibt, und wenn man weiß, dass diese Politik zurzeit noch nicht populär ist, dann muss man nicht weglaufen vor dieser richtigen Politik, sondern muss dafür kämpfen, dass sie populär wird. Da muss man die Menschen dafür gewinnen. Dafür müssen wir streiten, liebe Genossinnen und Genossen."
Franz Müntefering beweist auf der Spargelfahrt der Seeheimer Steuermannqualitäten. Doch die Richtung müsste eigentlich ein anderer vorgeben. Der Abend zeigt: Die Genossen sind verunsichert und sehnen sich nach Führung. Johano Strasser kennt sich mit dem Innenleben seiner Partei gut aus. Der Präsident des deutschen P.E.N.-Zentrums galt in den 70er Jahren als Vordenker der Jusos, für seine Gegner war er ein Bürgerschreck. Nach wie vor setzt sich der Schriftsteller und frühere Politikprofessor kritisch mit seinen Genossen auseinander. In seiner Biografie hat er aufgeschrieben, wie er sich die SPD wünscht. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hat Strassers Gedanken auf einer Lesung in Berlin zum Besten gegeben. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge sieht es allerdings so aus, dass Strassers Vorstellungen von einer beeindruckenden SPD Utopie bleiben. Seine Vision der Sozialdemokratie:
"Eine Versammlung kritischer, selbstständiger Köpfe, klar in ihren Grundsätzen und unerschütterbar in ihrem Engagement für die Mühseligen und Beladenen, aber jederzeit bereit, sich der veränderten Realität zu stellen. Diskussionsfreudig, misstrauisch gegenüber hohlen Phrasen und bombastischen Inszenierungen. An nichts als der Wahrheit interessiert und mutig, wenn es darum geht, das Bestehende zu verändern. Ach, wäre das schön, wenn unser Laden so wäre."
Kurt Beck: "Ich sehe keinen Schatten der CDU auf uns. Wenn Schatten auf Dich fällt, musst Du immer zuerst nach dem Stand der Sonne gucken. Vielleicht ist es ja nur ein Zwerg."
Peter Ramsauer: "Das ist Ausdruck vor allem der Hilflosigkeit der SPD und der Angst, zwischen der Linken auf der einen Seite und der Union auf der anderen Seite programmatisch, inhaltlich zerrieben zu werden."
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die SPD, ist in der Zange. Der Druck kommt von rechts wie von links. Eingekeilt sieht sie CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer. Die Genossen selbst versuchen sich zumindest verbal freizustrampeln. Doch die Bilder, die SPD-Chef Kurt Beck bemüht, erscheinen vielen als nicht stimmig. Zweifellos: Die Sozialdemokraten haben einen Haufen Probleme.
Die Umfragewerte sind im Keller, die Mitgliederzahl schrumpft, und die neue Linke macht den alten Genossen Ärger, allen voran deren konvertierter Vorsitzender Oskar Lafontaine. Der Saarländer, wie ihn manche Sozialdemokraten nur noch nennen, lässt an seinen ehemaligen Parteifreunden kein gutes Haar. Attacke heißt die Methode seines persönlichen Feldzuges gegen die SPD. Zu all dem kommt noch der Dauerstress mit dem Koalitionspartner Union hinzu, der dem Ansehen der Sozialdemokraten und ihrer Glaubwürdigkeit schadet. Der Konflikt kulminierte vergangene Woche nach den lautstarken, aber für die SPD unergiebigen Verhandlungen zum Thema Mindestlohn im Koalitionsausschuss. Die anschließenden Reaktionen spiegeln die Zerrissenheit der Großen Koalition wider. CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder:
"Also die Große Koalition zeigt, sie kann Probleme lösen, so dass wir sagen können, ein guter Tag für die Menschen in unserem Land."
Die Union ist gegen den gesetzlichen Mindestlohn. Daher sind die Christdemokraten mit dem wolkigen Kompromiss , der Einigung auf kleinstem Nenner, zufrieden. Die Sozialdemokraten hingegen waren erzürnt. Die Genossen wollen in der Arbeitsmarktpolitik mit sozialer Gerechtigkeit punkten. Doch noch ist in diesem Kampf nichts erreicht. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering:
"Ich habe nicht das Gefühl, dass man wirklich das Problem lösen will, sondern dass man es möglichst geräuschlos aus dem Verkehr ziehen will."
Der Vorsitzende der FDP, Guido Westerwelle, meldet sich gern und zu vielem zu Wort. Seine Zustandsbeschreibung der schwarz-roten Koalition, die für beide Seiten negativ ausfällt, klingt in oppositioneller Zuspitzung so:
"Wir haben eine Regierung, die nichts löst, die aussitzt, die nicht mehr miteinander kann, in Wahrheit auch gar nicht mehr miteinander will. Diese Regierung hält nur noch eine einzige Sache zusammen, und das ist die Angst der Regierungsparteien vor dem Wähler."
Ein baldiges Ende der Koalition sieht selbst der forsche Liberale nicht, obwohl er das Wort Neuwahlen gern in den Mund nimmt. Doch rein rechnerisch reicht es zur Zeit nicht für ein schwarz-gelbes Bündnis. Und wer sich wie die SPD bei Umfragewerten von knapp 30 Prozent und darunter eingepegelt hat, wird nicht so schnell den Kram hinschmeißen. Nach Westerwelles Ansicht hat der Rosenkrieg in der Vernunftbeziehung zwischen Union und SPD schon begonnen. Davon will SPD-Generalsekretär Hubertus Heil jedoch nicht sprechen. Er ist davon überzeugt, dass die CDU taktiert.
"Bei uns ist der Eindruck gewachsen, dass es großen Teilen der Union beim Thema Existenz sichernde Löhne, beim Thema Mindestlöhne, nicht um Überzeugung, sondern um taktische Fragen ging. Wie sieht man möglichst gut aus, wie lässt man die Luft aus dem Thema? Das ist ein Unterschied zu uns. Für uns ist die Frage Existenz sichernde Löhne eine tiefe politische Überzeugung, wenn Sie so wollen eine Herzensangelegenheit."
Mit diesem Thema wollen die Sozialdemokraten ihre verschreckte Klientel, Facharbeiter, Arbeiter, Arbeitslose, und die Gewerkschaften wieder für sich gewinnen, sie überzeugen, dass die SPD nach wie vor für Arbeitnehmer kämpft und das Feld nicht den neuen Linken überlässt. Die hatten den Mindestlohn schon im Bundestagswahlkampf 2005 auf ihre Fahnen geschrieben und sehen sich damit als die wahren Erben der Arbeiterbewegung. Den SPD-Genossen sind jedoch in der Großen Koalition die Hände gebunden. In vielen Fällen haben sie als der kleinere Partner mehr Kompromissbereitschaft zeigen müssen als ihre Kollegen von der Union. Hubertus Heil:
"Da gibt es Bremsklötze, und da gibt immer wieder welche, die in der CDU-Führung sagen, ja möglicherweise vernünftig, aber das kriegen wir bei uns nicht durchgesetzt. Ich will daran erinnern, dass die SPD-Führung in der Lage ist, war, es bewiesen hat und sein wird, zu Verabredungen und auch zu Kompromissen, die manchmal für uns nicht ganz leicht sind, handlungsfähig auch Durchsetzung zu garantieren. Wir erwarten das auch vom Koalitionspartner, wenn man miteinander vorankommen will."
Der Zwang zur Kompromissbereitschaft hat dazu geführt, dass die Profile der Partner nicht mehr deutlich erkennbar sind. Während die SPD in der Großen Koalition Federn lassen musste, hat es der Union, zumindest was die Umfragewerte angeht, nicht geschadet. Ihr marktradikales Wahlprogramm von 2005 haben die Christdemokraten hinter sich gelassen. Sie geben sich in der Familien- wie in der Klimapolitik einen modernen Anstrich und wollen vor allem Frauen ansprechen. Der CDU-Wirtschaftsflügel warnt bereits vor dieser Entwicklung und spricht schon von einer Sozialdemokratisierung der Union. Doch das weist CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla entrüstet zurück. Er sieht die Dinge ganz anders.
"Ich habe den Eindruck, dass die SPD christdemokratisiert und nicht die CDU sozialdemokratisiert. Ob das jetzt die Unternehmenssteuerreform ist, ob das die Rente mit 67 ist, ob das die Haushaltsentwicklung ist, ob das jetzt die kommende Erbschaftssteuerreform ist, das sind doch Kerngedanken der Christlich Demokratischen Union. Wir bestimmen wesentliche Eckpfeiler der Regierungspolitik in Berlin, und ich glaube, dass sich das mittlerweile auch in der Bevölkerung durchgesetzt hat, und manche Vorbehalte, die es am Anfang in unserer Partei gegeben hat, sind mittlerweile behoben."
Behobene Vorbehalte in der eigenen Partei, davon kann in der SPD keine Rede sein. Seit Beginn der Großen Koalition haben die Sozialdemokraten knapp 40.000 Mitglieder verloren, bei der CDU sind es rund 25.000. SPD-ler finden sich in der derzeitigen Politik ihrer Partei nicht wieder. Axel Theißen aus Eddelak im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein ist es auch so ergangen. Der damalige Vorsitzende des SPD-Ortsvereins ist Ende vergangenen Jahres mit seiner gesamten Genossenschaft ausgetreten. Nun sind sie alle Mitglieder einer neu gegründeten Wählergemeinschaft. Axel Theißen spricht stellvertretend für viele.
"Bei der SPD war der soziale Gedanke der Grundsatzgedanke der SPD. Ich bin Arbeiter, und das war mein Beweggrund. Diesen Gedanken habe ich auch noch, den haben wir eigentlich alle, nur wir werden nicht mehr vertreten in der SPD."
Die Sozialstaatsreformen gehen zu Lasten der SPD, erklärt der Hamburger Parteienforscher Elmar Wiesendahl. Einschnitte für die Arbeitnehmer, so der Politikprofessor an der Führungsakademie der Bundeswehr, werden von den Wählern gnadenlos abgestraft.
"Die Sozialdemokratie hat ein Riesenproblem, ihre alte Stammwählerschaft zu mobilisieren und gleichzeitig das Kleinbürgertum hinter sich zu scharen. Hauptpunkt ist, dass die Eingriffe, die die Politik macht, einseitig zu Ungunsten dieser Wahlklientel durchgesetzt werden, während andere Teile der Wählerschaft durchaus besser dastehen. Und dieses Ungerechtigkeitsempfinden richtet sich massiv gegen die Sozialdemokratie."
Für politische Gegner wie die Linke, in der unter anderem enttäuschte Sozialdemokraten und Gewerkschafter ihr neues Zuhause gefunden haben, ist dieser Zustand hochwillkommen. Daraus will das neu gegründete Bündnis aus Linkspartei und WASG Kapital schlagen. Ihr Vorsitzender Oskar Lafontaine nützt jede Gelegenheit, um die aus seiner Sicht arbeitnehmerfeindliche Politik der Sozialdemokraten lautstark vorzuführen.
"Was im vorletzten Jahrhundert die Regel war, nämlich Altersarmut, haben die Reformchaoten der letzten Jahre jetzt für Deutschland wieder vorprogrammiert. Und deshalb braucht es eine Linke, die das wieder verändert, die zum Kampf antritt und sagt, wir kämpfen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer."
Oskar Lafontaine verfolgt das Ziel, die ehemaligen SPD-Parteifreunde zu Korrekturen zu zwingen, wie er sagt. Trotz seiner herben Kritik hat er den Sozialdemokraten nach dem Gründungsparteitag der Linken ganz kess eine Koalition angeboten. Wenn die SPD bereit sei, den Mindestlohn durchzusetzen, Hartz IV zurückzunehmen, die Rentenreform rückgängig zu machen und die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen, so Lafontaine in einem "Spiegel"-Interview, könnte Kurt Beck morgen Kanzler sein. Denn nach dem Bundestagswahlergebnis von 2005 kommen Sozialdemokraten, Grüne und Linke zusammen auf 51 Prozent. In reinen Zahlen ausgedrückt haben diese drei Parteien insgesamt 40 Abgeordnete mehr im Bundestag als Union und FDP.
Doch auf solche Rechenspielchen will sich die SPD gar nicht einlassen. Mit Empörung hat sie das Angebot zurückgewiesen. Mit dieser Gruppierung sei keine seriöse Bundespolitik zu machen, erklärt SPD-Chef Kurt Beck. Die SPD werde sich in keinen Schraubstock zwischen Union und Linke pressen lassen. "Wir sind das Original", sagt Beck mit Blick auf die neue Linke. Der Mainzer Ministerpräsident schlägt zurück: Führende Vertreter der Linken macht er verantwortlich für das DDR-Unrecht an Mauer und Stacheldraht.
"Dort sitzen Leute an maßgeblicher Stelle, die das Gebot der Freiheit mit Mauer und Stacheldraht, mit Schießbefehl und Ausschnüffeln von Menschen, und zwar Deutschen, ihren Landsleuten, beantwortet haben."
SPD-Fraktionschef Peter Struck zielt nicht auf die Vergangenheit der Linken ab, wenn er mit ihr ins Gericht geht. Sein Ziel ist: Er will die Partei im Parlament entlarven.
"Wir dürfen sie nicht ignorieren, wir müssen sie attackieren, auch hier im Deutschen Bundestag. Wir müssen klarmachen, dass die politischen Vorstellungen der Linken nicht realisierbar sind, allein aus finanziellen Gründen, dass eine Partei, die verspricht, im Himmel ist Jahrmarkt, nun wirklich keine reale Politik im Deutschen Bundestag umsetzen kann. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass die Linke in Fragen der Außenpolitik unser Land in eine außenpolitische Isolierung führen würde, die auch schwere negative Auswirkungen auf Wirtschaftsentwicklung und dergleichen hätte."
In der Union witzeln manche bereits, dass es Christdemokraten gebe, die jeden Tag eine Kerze für Oskar Lafontaine aufstellen und sich wünschen, dass er möglichst lange an der Spitze der Linken bleibe. Denn er sei der Garant dafür, dass kein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene zustande komme.
Nichtsdestotrotz macht sich der Koalitionspartner Union inzwischen Sorgen um die SPD. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla mahnte, es werde Zeit, dass die Nervosität bei den Sozialdemokraten angesichts der schlechten Umfragewerte und der Linken wieder abnehme. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Norbert Röttgen, meint, die SPD müsse ihre Haltung zur Linken unbedingt ändern.
"Ich glaube, dass die SPD hier einen Fehler macht, ängstlich und reaktiv zu sein gegenüber der Linken, anstatt selbstbewusst und eigenständig Politik zu verfolgen. Aber diese Grundfrage muss die SPD dann selber entscheiden, da kann die Union nur ganz begrenzt helfen. Ich glaube, dass man anständig und fair mit dem Koalitionspartner umgehen muss. Aber die eigenen parteipolitischen Probleme, die muss man schon selber lösen."
Doch das fällt der SPD in ihrer eingekeilten Lage schwer. Sie muss wieder erkennbarer werden, heißt es. Aber wie? Die Konkurrenz mit Oskar Lafontaine an der Spitze besetzt die ganz linken Positionen, und die Union robbt von rechts mehr in die Mitte. Die SPD leidet unter Richtungs-, Vertrauens-, Wähler- und auch Mitgliederschwund. Inzwischen ist es schon so, dass sich Generalsekretär Ronald Pofalla damit brüstet, die CDU zur mitgliederstärksten Partei Deutschlands zu machen.
Die Sozialdemokraten hatten Ende Mai rund 551.000 Mitglieder, die CDU kam auf 546.000. 1998, als Gerhard Schröder mit Rot-Grün in die Regierung zog, hatte die SPD noch 755.000 Mitglieder. Vor allem die Agenda 2010 hat den Genossen schwer zu schaffen gemacht. Mit dieser Politik hat die SPD Wähler wie Mitglieder verloren. Damit kämpfe die Partei auch heute noch, räumt SPD-Chef Kurt Beck ein. Auf seinem Wunschzettel für das Jahr 2007 stand: viele neue Mitglieder. Doch derzeit ist Beck schon froh, wenn es sich einige Abtrünnige wieder anders überlegen.
"Es kommen manche auch wieder zurück oder sind zurückgekommen. Aber ich will deutlich machen, wir werden keinen Weg des Populismus gehen, denn das, was wir gemacht haben, war notwendig. Und es wird sicher auf der anderen Seite darum gehen, immer aufs Neue zu versuchen, das zu erklären und die Zusammenhänge deutlich zu machen und auch die Alternativen, wie diese Republik aussähe, hätte es bei der letzten Bundestagswahl eine Mehrheit gegeben zwischen Union und FDP."
Der SPD-Chef selbst trägt auch bei zu den Leiden seiner Partei. Der Mann aus Rheinland-Pfalz sei keine schillernde Galionsfigur, meinen viele Genossen. Er wehre die Angriffe von links oder rechts nicht mit Bravour ab, wird innerhalb und außerhalb der SPD bemängelt. Bildlich ausgedrückt: Kurt Beck rackert, aber er glänzt nicht.
Für Mainz sei er zwar der Richtige, doch für Berlin? Kritiker meinen, dass sei eine Nummer zu groß für ihn. In seinem Bemühen, sich gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren außenpolitischen Erfolgen in Szene zu setzen, ist Kurt Beck mehrfach gescheitert. Zuletzt geschah dies nach dem Ende des G8-Gipfels, als alle Welt die Kanzlerin lobte, während der SPD-Chef in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über den Neoliberalismus der Union wütete. Das empfanden selbst einige Genossen zu diesem Zeitpunkt als unpassend. Und nicht nur die. Volker Kauder, Vorsitzender der Unionsfraktion:
"Ich habe den Eindruck, dass er versucht hat nach den großen Erfolgen der Bundesregierung, der er ja nicht angehört, etwas Eigenes für sich zu machen. Der Schuss ist nach hinten losgegangen."
Auch von der SPD-Basis hat Kurt Beck mit diesem Schachzug niemanden richtig begeistern können. Ein SPD-Mitglied äußert:
"Ich will meinen Chef nicht kritisieren, aber manchmal ist er nicht ganz so klug, sagen wir es mal so."
Manche Sozialdemokraten an der Basis wie an der Spitze vermissen bei dem SPD-Chef das Einfühlungsvermögen, andere das kraftvolle Eintreten für die traditionellen sozialdemokratischen Werte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
"Er muss energischer noch auftreten, er muss noch energischer die Markenzeichen der Sozialdemokratie in den Vordergrund bringen, insbesondere soziale Gerechtigkeit."
Wie schwer sich Kurt Beck mit seinen Auftritten tut, ist bei der inzwischen legendären Spargelfahrt des Seeheimer Kreises, des rechten Flügels in der SPD, deutlich geworden. Im Mai schippern die Seeheimer wie jedes Jahr mit rund 500 Genossen an Bord über Berlins Gewässer. Auf dem Schiff hält Beck eine kurze Ansprache mit seinen typischen Bandwurmsätzen. Antworten auf drängende Frage "Wie kommen wir aus dem anhaltenden Umfragetief heraus?" gibt er nicht. Seine Rede endet mit der Durchhalteparole.
"Und liebe Genossinnen und Genossen: Alle, die meinen, dass man unsereinen wie einen Spargel irgendwann köpfen könnte, die irren."
Dass es auch anders gehen kann, zeigt an diesem Abend der Vizekanzler Franz Müntefering. Er stiehlt Kurt Beck die Schau und bringt die Genossen in Schwung.
"Wenn man weiß, dass es eine richtige Politik gibt, und wenn man weiß, dass diese Politik zurzeit noch nicht populär ist, dann muss man nicht weglaufen vor dieser richtigen Politik, sondern muss dafür kämpfen, dass sie populär wird. Da muss man die Menschen dafür gewinnen. Dafür müssen wir streiten, liebe Genossinnen und Genossen."
Franz Müntefering beweist auf der Spargelfahrt der Seeheimer Steuermannqualitäten. Doch die Richtung müsste eigentlich ein anderer vorgeben. Der Abend zeigt: Die Genossen sind verunsichert und sehnen sich nach Führung. Johano Strasser kennt sich mit dem Innenleben seiner Partei gut aus. Der Präsident des deutschen P.E.N.-Zentrums galt in den 70er Jahren als Vordenker der Jusos, für seine Gegner war er ein Bürgerschreck. Nach wie vor setzt sich der Schriftsteller und frühere Politikprofessor kritisch mit seinen Genossen auseinander. In seiner Biografie hat er aufgeschrieben, wie er sich die SPD wünscht. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hat Strassers Gedanken auf einer Lesung in Berlin zum Besten gegeben. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge sieht es allerdings so aus, dass Strassers Vorstellungen von einer beeindruckenden SPD Utopie bleiben. Seine Vision der Sozialdemokratie:
"Eine Versammlung kritischer, selbstständiger Köpfe, klar in ihren Grundsätzen und unerschütterbar in ihrem Engagement für die Mühseligen und Beladenen, aber jederzeit bereit, sich der veränderten Realität zu stellen. Diskussionsfreudig, misstrauisch gegenüber hohlen Phrasen und bombastischen Inszenierungen. An nichts als der Wahrheit interessiert und mutig, wenn es darum geht, das Bestehende zu verändern. Ach, wäre das schön, wenn unser Laden so wäre."

